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Berliner Hipster, aufgepasst!

Der Hipster ist in Berlin schon zahlreich vertreten, nun soll er auch in Leipzig auf dem Vormarsch sein. Eine klare Definition für ihn gibt es nicht, aber eins ist er sicher nicht: beliebt. Angeblich ist er reich, treibt die Mieten in die Höhe und schwimmt stets im Strom. Eine Bestandsaufnahme vor Ort.

Von Martin Becker | 08.04.2013
    Die Straßen von Leipzig sind leer. Ein Rentner führt seinen übergewichtigen Dackel spazieren. Irgendwo weit entfernt zerschellt eine Bierflasche. Und da, aus der Schwärze der Nacht, taucht ER auf. Ein Mann mit Angst. Ein Mann, über den wir nichts wissen. Nur, dass er geduckt auf die Schaufensterscheibe eines Cafés zusteuert. Nur, dass er seinen Stift zückt und eine Botschaft hinterlässt: "Scheiß. Hipster."

    "Also, als es hier dran stand, ist mir durch den Kopf gegangen: Eigentlich cool, jetzt hat hier jemand Vandalismus betrieben. Ich mochte auch den Schriftzug, auch die Art und Weise, wie er das geschrieben hat. Das waren gute Buchstaben, eine gute Farbe in schönem Lack, halt dieses Hellblau."

    Der Tatort: Das "Hotel Seeblick", ein cooles Café im coolen Leipziger Süden. Hipsterhort, sagt man. Der Stift: abwischbar. Das Motiv für die Tat: Hipsterhass. Aber wie sieht er aus? Fragen wir Lele. Der kellnert im Seeblick. Und der hat seine eigene Hipster-Definition. Eine von tausend, wie ich noch feststellen werde. Der Hipster, sagt Lele...

    "...ist ja auch eigentlich so ein bisschen Emo in blond. Emo-Look in blond, oder so."

    Vor dem Hipster kommt der Ruf, das ist sicher: Leipzig sei das bessere Berlin, wurde geschrieben. Leipzig sei Hypezig. Überhaupt, in Leipzig kannst du billig, bunt und lustig leben. Alles, was man in Berlin, dem schlechteren Leipzig, auch mal konnte. Mitte der 90er ist Dirk aus der Hauptstadt verschwunden. Weil alles irgendwann der gleiche Quark wurde:

    "Das hat mich da weggetrieben. Und zwar nicht, weil es bunter wurde vermeintlich, sondern, weil es grauer wurde. Die Häuser wurden schlüpferfarben, aber alles, was passierte, wurde einfarbig."

    Dirk ist seit Jahren in der Gastronomie. Er gehört zu den Betreibern des "Kafič", des Cafés der Leipziger "Galerie für Zeitgenössische Kunst". Hipsterdichte: auf den ersten Blick hoch. Dass Leipzig sich mit der Hauptstadt messen will, wundert Dirk nicht. Dieser Größenwahn sei nicht neu:

    "Wenn die sagen: Leipzig ist das bessere Berlin – ich meine, wir wollten die Olympiade machen, das sagt mehr über die Stadt aus als alles andere."

    Ganz wohl fühlt sich Dirk nicht bei dem, was gerade in der Stadt passiert: Vielleicht, weil Schlagzeilen wie "Hypezig" den Hype erst auslösen. Und dann sagt Dirk noch etwas Seltsames, als wir lange genug über die bösen, blöden Hipster geredet haben. Behalten wir es im Hinterkopf:

    "Also, unter uns Hipstern, wir duzen uns doch, wir nennen uns doch beim Vornamen, oder?"

    Nur fünfhundert Meter vom "Kafič" entfernt treffe ich Jonas. Der klebt gerade Plakate für ein Konzert. Der lebt von 300 Euro im Monat. Hipster, die wir fürchten, sehen anders aus. Und trotzdem: Jonas soll einer sein. Sagen die Leute. Und er kann das nicht mehr hören:

    "Ich hab dann irgendwann gesagt: Ja, nenn mich Hipster, nenn mich Was-auch-immer, das ist mir völlig egal, wenn du meinst, du brauchst eine Schublade für alles, was du siehst und wahrnimmst, steck mich ruhig rein, ich pass in alle."

    Des Pudels Kern: Jonas hat Haare. Nicht irgendwo, sondern unter der Nase.

    "Ich hatte letzte Woche noch nen Vollbart. Die Woche davor war ich glatt rasiert – und jetzt habe ich halt mal irgendwie einen Schnäuzer stehen. Was glaubt Ihr denn, darin zu lesen? Was soll denn das sein?"

    Für Jonas geht es bei der ganzen Hipsterei viel zu sehr um Äußeres. Ein Macbook macht noch keinen Hipster. Und Hornbrille oder Schnäuzer im Gesicht heißt: zunächst gar nichts.

    "Meine Statements suche ich mir nicht mit meiner Gesichtsbehaarung aus, die finde ich woanders."

    Die Keimzelle der Gentrifizierung ist der Leipziger Südplatz. Hier, möglicherweise unter der Erde, müssen sie in Serie produziert werden: Die Leipziger Hipster. Iris betreibt seit sieben Jahren einen Laden namens "Herman". Besonderheit: Klamotten nur für Männer, durchaus auch für Hipster.

    "Das Publikum, das sich auf der Straße bewegt, hat sich verändert. Es ist älter geworden, es ist irgendwie teurer angezogen, man sieht vermehrt auch teure Autos hier parken, also, das ist ja nicht aus der Luft gegriffen."

    Für Iris hat die Sache zwei Seiten. Einerseits wird alles saniert, was die Investoren in die Finger kriegen. Andererseits werden so auch Häuser gerettet, die sonst vielleicht schon eingestürzt wären. Über alles andere, sagt Iris, muss man einfach offen reden.

    "Also, ich habe meinen Vermieter beispielsweise ganz konkret angesprochen und hab gesagt, das sind die Dinge, die gerade in der Stadt geschehen – muss ich mich umschauen? Weil ich beispielsweise nicht in der Lage wäre, eine steigende Miete zu tragen."

    Bevor ich mich zurück unter die Hipster mit ihrer Lizenz zum Gentrifizieren und ihren bescheuerten Brillen wage, bitte ich Iris um ein gnadenloses Urteil. Wenn jemand dazu berufen ist, dann sie: Auf einer Hipsterskala von, sagen wir, 1 bis 10: Wo würdest du mich, den Unhipster schlechthin, einsortieren?

    "Oh, du bist wirklich relativ weit oben... also so irgendwo bei der 8 auf jeden Fall."