Donnerstag, 28. März 2024

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Berliner Kreis der Razem-Partei
Sorge um Polens Demokratie

In Polen sorgen sich die Bürger um die Demokratie. Und nicht nur dort: Die Verwandlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in eine staatliche Institution und der Einfluss auf das Verfassungsgericht treibt auch die polnische Community in Berlin auf die Straßen.

Von Claudia van Laak | 21.01.2016
    Gegner der Regierung in Polen demonstrieren gegen die neuen Pressegesetze.
    Gegner der Regierung in Polen demonstrieren gegen die neuen Pressegesetze. (imago/Zuma Press)
    Die Diskussionen sind derzeit lauter und emotionaler als sonst, auch hier, in der polnisch-deutschen Buchhandlung im Berliner Bezirk Neukölln.
    Im Café im hinteren Teil der Buchhandlung sitzen die Studenten Krzysztof Ignaciuk und Pawel Kaliszewski gemeinsam mit Buchhändler Marcin Piekoszewski. Alle drei sind derzeit in erster Linie als Polen-Erklärer unterwegs. Die Frage: "Was ist denn da bei euch los?" haben sie in den letzten Wochen unzählige Male gehört. Krzysztof Ignaciuk ist unzufrieden mit der Berichterstattung der deutschen Medien, sie ist ihm zu holzschnittartig.
    "Das ist alles in einer 0 – 1 – Skala betrachtet. Das ist: die rechte Konservative und die guten Demokraten. Das ist aber leider nicht so. Die Realität in Polen ist leider nicht so einfach."
    So ließen sich die polnischen Parteien nicht in das übliche Links-Rechts-Schema einordnen. Ignaciuk selber hat vor Kurzem eine neue Partei mitgegründet. An der Wand über der Buchhandlungs-Kasse hängen die Flyer. Razem heißt die Partei – "Gemeinsam". Ihr Motto: Eine andere Art von Politik ist möglich. Diese neue Partei hat zwar nur 3,6 Prozentpunkte bei der letzten Wahl geholt, sieht sich aber als kommende Kraft in Polen – ähnlich wie Podemos in Spanien.
    "Unsere Partei heißt Razem, das heißt Zusammen. Wir wollen uns zusammentun - aber mit den Bürgern, und nicht mit denjenigen, die zu der jetzigen Situation geführt haben."
    Die drei hier im Buchhandlungs-Café haben den Berliner Kreis von Razem ins Leben gerufen. Sie sind auch schon gegen die neue polnische Regierung auf die Straße gegangen, trauen aber den Organisatoren der Demonstrationen - dem Komitee zur Verteidigung der Demokratie - nicht so richtig über den Weg. Das seien zum Teil die alten Kader, die ihnen den jetzigen Schlamassel eingebrockt hätten, sagt Buchhändler Piekoszewski.
    "Als Partei wollen wir uns davon eher abgrenzen, weil man nicht ganz bestimmen kann, wer hier so die Fäden zieht."
    "Wir würden ungern mit denjenigen mitkritisieren, die zu dem Ganzen mit falschen Reformen von vorher geführt haben."
    "Also ich kann da immer nur empfehlen, nicht das Kind mit dem Bade auszukippen, und da Unvereinbarkeitsbeschlüsse oder anderes herbeizuführen, sondern sich die Menschen anzuschauen, mit denen man es zu tun hat", rät Thomas Nord, linker Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt/Oder und Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag.
    Kritik an der neuen polnischen Regierung
    Der Zusammenschluss von 30 Bundestagsabgeordneten trifft sich seit dem Regierungswechsel in Polen häufiger als sonst, man ist besorgt über die politische Entwicklung. Einmischen will man sich aber nicht. Nein, sagt Thomas Nord, an einer Demonstration gegen die polnische Regierung werde er auf keinen Fall teilnehmen.
    "Der Staat, das Land, als wir als staatliche Repräsentanten, sollten uns in solchen Zusammenhängen immer eher zurückhaltend verhalten. Denn der Eindruck, Deutsche würden Polen vorschreiben wollen, wie es sich zu entwickeln hat, sollte aus meiner Sicht vermieden werden. Das hat was mit der Geschichte zu tun."
    Ruth Henning sieht das etwas anders. Die langjährige Vorsitzende der deutsch-polnischen Gesellschaft in Brandenburg kritisiert die neue polnische Regierung scharf.
    "Wenn ich gefragt werde, auch in Polen, was ich von einer Regierung, einer Partei, bestimmten Leute halte, dann sage ich das, was ich meine, obwohl ich deutsch bin. Ich zieh mir das nicht an, dass ich als Deutsche keine Stimme haben darf."
    Ruth Henning sympathisiert mit dem Komitee zur Verteidigung der Demokratie, das regelmäßig zu Demonstrationen gegen die polnische Regierung aufruft. Einerseits. Andererseits ist sie skeptisch, was die allgemeine Entwicklung in den osteuropäischen Ländern angeht.
    "Solange es so bleibt, dass die soziale Frage in solchen Ländern, die die Transformation nach 1989 durchlaufen haben, nur von rechts aufgeworfen wird, und nicht von links, dann wird es schwer sein."
    Die neue polnische Partei Razem jedenfalls will die soziale Frage ebenfalls neu aufwerfen – und damit an die Ursprünge der Gewerkschaft Solidarnosc anknüpfen. Die Solidarnosc war es, die in den 1980er-Jahren auch die Solidarität der deutschen Bevölkerung erlangte, schließlich zum friedlichen Umsturz in Polen entscheidend beitrug.
    Und die polnischen Berliner um Buchhändler Marcin Piekoszewski – sie wollen beim nächsten großen Wandel ganz vorne mit dabei sein. Ihr Traum: Wahlsiege wie Podemos in Spanien.