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"Berliner Runde"
Zeitgemäß oder TV-Relikt?

Bis vor ein paar Jahren wurde in der "Berliner Runde" nach Landtags- oder Bundestagswahlen noch ausgiebig gestritten. Heute werden dort nur noch Floskeln ausgetauscht - wenn die Spitzenpolitiker sich überhaupt noch die Zeit nehmen, im Studio zu erscheinen. Gehört die "Berliner Runde" damit zu jenen Sendungen, deren Zeit abgelaufen ist?

Von Michael Meyer | 24.09.2016
    Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt am Wahlabend (18.09.2005) vor dem Beginn der "Berliner Runde" im ZDF-Hauptstadtstudio.
    Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt am Wahlabend (18.09.2005) vor dem Beginn der "Berliner Runde" im ZDF-Hauptstadtstudio. (picture alliance / dpa / dpaweb / Jens Büttner Pool)
    "Also ich sage Ihnen: Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, in dem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Ich meine, wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen!"
    Diese Szene ist mittlerweile zu einem YouTube-Hit geworden: Der damalige Bundeskanzler Schröder, offenbar noch nicht auf dem neuesten Stand der Zahlen, spricht Merkel bei der Bundestagswahl 2005 in der "Berliner Runde" barsch und heftig das Mandat zum Regieren ab.
    Die Szene ist auch deswegen immer noch sehenswert, weil Schröder mit einer ungeheuren Arroganz agiert - eine Haltung, die sich die Politik heute so kaum noch leisten könnte vor laufenden Kameras.
    Ja, früher war etwas los in der "Berliner Runde", auch "Elefantenrunde" genannt, wenn sich nach der jeweiligen Wahl die Parteigranden noch so richtig beharkten. Etwa 1985, als sich der damalige SPD-Vorsitzende Willy Brandt und Bundeskanzler Helmut Kohl heftig stritten:
    "Nein, Sie sagen dem deutschen Volk die Unwahrheit, Herr Bundeskanzler!" - "So können Sie nicht die Partei behandeln, die in Nordrhein-Westfalen die Mehrheit hat."
    Gezielt provozieren
    Ob derartiges Herumbollern zum Erkenntnisgewinn beiträgt, sei mal dahingestellt. Im Zweifel führt das eher dazu, dass Zuschauer abschalten. Und doch ist rückblickend betrachtet interessant, dass ideologische Gräben sich auch in der "Berliner Runde" noch stärker ausdrückten. Die Grünen-Politikerin Jutta Dithfurth wusste 1987 ganz genau, wie sie den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß provozieren konnte:
    "Sie sind ja etwa seit 30 Jahren einer der besten Vertreter der Atomindustrie." - "Hören Sie bitte auf, von Interessenvertreter zu reden, ich weiß ganz genau, welche unterschwelligen Behauptungen Sie damit verbinden."
    Nun kann heute, einmal abgesehen von der Runde nach der Bundestagswahl, kaum noch von "Elefanten" die Rede sein, eher plätschert alles auf dem Niveau der Fraktionschefs oder Generalsekretäre dahin. Zwar gibt es noch immer manchen Zwist, aber im Klein-Klein der oft marginalen Unterschiede verlieren Gelegenheitspolitik-Interessierte schnell mal den Überblick. Der stellvertretende ARD-Hauptstadtstudio-Chef Thomas Baumann verteidigt die "Berliner Runde" dennoch und klingt dabei selbst ein wenig staatstragend:
    "Landtagswahlen haben nie nur regionale Bedeutung. Deshalb fragt die 'Berliner Runde' nach den bundespolitischen Konsequenzen einer Landtagswahl beispielsweise welche Konsequenzen hat eine Landtagswahl für die Zusammensetzung des Bundesrats, der Bundesversammlung, was bedeutet es für die Stimmung im Land."
    Und auch an der Zusammensetzung der Runde will Baumann nichts ändern – immerhin wurde ja schon mal gefragt, warum die großen Wahlgewinner AfD regelmäßig nicht an diesen Runden teilnehmen:
    "Regeln müssen gelten, andernfalls hätten wir bei anderen Gelegenheiten auch die NPD, die Piraten oder den süd-schleswigschen Wählerverband einladen müssen, das haben wir nicht getan."
    Wenn sich die AfD längerfristig etabliert, wird heftigerer Streit als bisher vorprogrammiert sein, garantiert.
    Zum Fernsehritual erstarrte Interviews
    Ebenso wie die "Berliner Runde" sind die Einzelinterviews mit Politikern zum Fernseh-Ritual erstarrt, "Was nun?" im ZDF, "Farbe bekennen" in der ARD. Wenn Sie glauben, oft wissen Sie schon, was kommt, liegen Sie richtig:
    "Herr Gabriel, Sie wären enttäuscht, wenn wir die Frage nicht stellen würden. "Ich kann sie selbst stellen." - "Führt jetzt kein Weg mehr an Ihnen als Kanzlerkandidat vorbei?"
    Es stellt sich das Gefühl ein: Es muss sich was tun bei der "Berliner Runde" und den Politiker-Interviews, so geht's nicht weiter. Vorbilder könnten "Hard Talk" bei der BBC sein, oder auch so mancher harte Nachfrager in den USA. Da würde vielleicht mehr bei herumkommen. Und, ganz nebenbei: Brauchen wir die Einschätzungen der Partei-Granden überhaupt? Ganz auf Sie verzichten muss man ja nicht – aber so wie bisher möchte man die bleiernen Runden auch nicht mehr sehen. Wo bleibt eigentlich ein neuer Küppersbusch, fragt sich genervte Fernsehzuschauer? Da müssen wir wohl noch ein Weilchen warten.
    "Herr Gabriel, vielen Dank für das Gespräch. Danke für Ihr Interesse. "