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Berliner Schaubühne
Nina Hoss im Raubtierkapitalismus

Thomas Ostermeier inszeniert Lillian Hellmanns Stück "Die kleinen Füchse". Dabei hat er seine Inszenierung ganz passgerecht um Schauspielstar Nina Hoss herumgelegt und die Handlung auf die Kernintrige eingedampft.

Von Eberhard Spreng | 20.01.2014
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    Nina Hoss zum ersten mal an der Berliner Schaubühne (Foto: Arno Declair, Schaubühne)
    Zweimal sitzt Nina Hoss ganz allen auf einem der schicken schwarzen Sofas im leeren großen Salon: Beim ersten Mal lächelt sie und blickt um sich, so als wären da schon all die reichen Leute, in deren Gesellschaft sie sich in der Weltmetropole New York einzuführen gedenkt. Beim zweiten Mal blickt sie mit verschreckter Mine in die Leere, so als sähe sie da Gespenster, böse Geister mitten aus ihrer Seele, jetzt wo sie ihren Salonfeldzug siegreich beendet hat. Siegreich und mit zahlreichen Opfern.
    Thomas Ostermeier hat seine Inszenierung ganz passgerecht um den Schauspielstar herumgelegt, hat die Handlung auf die Kernintrige eingedampft, die Südstaatenproblematik eliminiert und den Konflikt in die zeitgenössische Banker- und Unternehmerwelt verlegt. So umschmeicheln Regina, ihre Tochter und ihre Brüder sowie weiterer Familienanhang mit durch Höflichkeitsgesten kaum gebändigter Aufgeregtheit den Investor William Marschall, stoßen auf das Geschäft an und freuen sich auf den kommenden Reichtum.
    Aber dazu müsste die von Nina Hoss verkörperte Regina zunächst einmal ihr Drittel des Eigenanteils auftreiben, das für den Deal vereinbart ist. Und dieses Geld kann nur von ihrem herzkranken Mann kommen, der seit fünf Monaten im Krankenhaus liegt, ohne dass sie ihn ein einziges Mal besucht hätte. Eine gescheiterte Ehe einerseits, die habgierigen Brüder andererseits; in diesem Konfliktfeld will sich diese Geschäftsfrau behaupten und für sich außerdem einen höheren Ertrag aus dem investierten Eigenanteil rausschlagen.
    Oscar: "Woher soll dieser größere Anteil kommen?"
    Regina: "Das weiß ich nicht, das ist ja nicht mein Business ... Vielleicht kommt er ja von dir, Oscar."
    Oscar: "Was redet ihr da eigentlich?"
    Ben: "Ich hab nichts gesagt."
    Oscar: "Du nimmst den Mund ganz schön voll heute Abend?"
    Regina: "Findest du? Ihr müsstet mich doch gut genug kennen um zu wissen dass ich nicht verlange was ich nicht auch bekommen kann."
    Den Geschäfts-Drahtzieher Ben spielt Mark Waschke mit unverhohlenem Egoismus und ungetrübter Mackerallüre. Den etwas einfältigen Bruder Oscar verkörpert David Ruhland, immer ein falsches Lächeln auf den Lippen, immer mit lauernd umherirrenden Augen und einer gelegentlichen Ohrfeige für seine ungeliebte Frau Birdie, die er nur aus gesellschaftlichen Gründen geheiratet hat. Eine handfeste Heiratspolitik hat Tradition bei den zugereisten Hubbarts und deshalb will man, um Oscar zu beruhigen und um alles Geld in der Familie zu halten, Reginas Tochter Alexandra mit Oscars Sohn Leo verheiraten.
    Nur einmal sind Alexandra, die Bedienstete Addie, die versponnene, in der Vergangenheit stecken gebliebene Birdie und der herzkranke, herbeigeholte Horace unter sich: Alles Opfer der von Raubtieren ausgetragenen Salonschlacht um Geld und Gier und Anteile. Für kurze Momente lässt Ostermeier ahnen, was hier alles geopfert wird im Spiel der Hyperperformer und Leistungsträger. Mit kurzem Szenenapplaus bedankt sich das Publikum bei Ursina Lardi, die Oscars ungeliebte Frau Birdie wie einen gefledderten skurrilen Paradiesvogel verkörpert, der im Pianospiel und im Alkohol nach den Spuren einer untergegangenen Welt sucht.
    "Ich bin wirklich voll und ganz nutzlos. Ich bin direkt von einer triumphalen Nutzlosigkeit. Das ist ja wunderbar. Mich kann man vor keinen einzigen Karren spannen. Ich kann nix."
    Zwischen der triumphalen Nutzlosigkeit der Birdie und der triumphierenden Wirksamkeit der Regina hat Thomas Ostermeier seine Untersuchung von Frauenbildern im Raubtierkapitalismus angesiedelt. Die eine ist nur Spielkarte in den Händen einer Männerrunde, die andere erfrecht sich, selbst zur Spielerin zu werden und die Männer mit deren Waffen zu schlagen. Die wichtigste: Rücksichtslosigkeit. Wie unwahrscheinlich diese Regina, 75 Jahre nach der Uraufführung des Stückes immer noch ist, das soll wohl der kleine Einwurf belegen, nach dem keiner von 30 deutschen Dax-Konzernen von einer Frau geleitet wird.
    Diesen Aktualitätsbeleg hätte es eigentlich nicht gebraucht in einer Inszenierung, die in einem durchgängig schwarzen Raum spielt mit Flügel, Sofas, einer Freitreppe nach oben, ins Nichts. Kaltes, hartes Spitzlicht erinnert an die Ästhetik des zeitgenössischen amerikanischen Kinos. Hier spielt Nina Hoss eine erstaunlich proaktive, offensive Macherin. Nach Ibsens Nora, die ihre Revolte erst noch lernen musste und die mit einem Pistolenschuss endete und einer Hedda Gabler, die die banale Gewalt der Männerwelt letztlich in Selbstvernichtung umformte, gelingt Ostermeier hier die dritte große Studie einer modernen Frau. Auch die letzte Bastion der Weiblichkeit, den Erhalt des Lebens, muss Regina hinter sich lassen, als sie ihrem von Thomas Bading gespielten kranken Mann bei einer Herzattacke die Hilfe verweigert. Diese Frau ist ein Monster, aber man folgt ihrem Tun nicht ohne Sympathie, denn die Welt ist pervers, in der sie sich behauptet.