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Berliner Staatsballett
Unentschieden, unausgegoren und konventionell

Der neue Berliner Staatsballettchef Nacho Duato präsentiert die eigens für das Haus kreierte Choreografie "Static Time". Eines wurde dabei klar: Auf der Höhe der ästhetischen Entwicklung des Tanzes, sei er klassisch, modern oder zeitgenössisch, befindet sich auch der neue Staatsballettchef nicht.

Von Elisabeth Nehring | 15.05.2015
    Der Spanier Nacho Duato
    Neun Monate hat sich Nacho Duato seit seinem Amtsantritt Zeit gelassen, seine erste, eigens für das Staatsballett kreierte Choreografie zu präsentieren. (AFP PHOTO / Lionel Bonaventure)
    Neun Monate hat sich Nacho Duato seit seinem Amtsantritt Zeit gelassen, seine erste, eigens für das Staatsballett kreierte Choreografie zu präsentieren. Das heißt, nicht nur die Ruhe weghaben, sondern auch die Erwartungen ganz schön hochschrauben. Und tatsächlich geht es in der Uraufführung mit dem unbestimmten Titel "Static Time" erst mal ganz gut los: Ein riesiges, viereckiges Objekt schwebt über den Köpfen der Tänzer, etwas bedrohlich und scheinbar sehr gewichtig.
    Leider ist es auf der Bühne so weit nach hinten verfrachtet worden, dass man schnell merkt: Seine volle Wirkung im Verhältnis zu den Körpern der Tänzer kann es gar nicht entfalten. Dass es auch keine Funktion hat, realisiert man erst im Verlauf der 30 Minuten, die dieses lang erwartete Stück währt.
    Kratzige Geigen treffen auf verlorene Pianotöne
    Und in denen man überall das rätselt, was man da sieht und hört: Zum Beispiel das Hin- und Hergleiten der Tänzer, ihre plötzlichen Ausbrüche, in denen Extremitäten geschüttelt werden oder ein unerwartetes Zittern durch die Körper geht. Die Begegnungen zweier Männer, von denen der eine - scheinbar im Schmerz gefangen - immer wieder die Hände über dem Kopf zusammen schlägt und vom anderen gestützt, aber auch gezogen und manipuliert wird. Oder - auf akustischer Ebene - der Wechsel zwischen kammermusikalischen Sätzen von Mozart, Rachmaninow und Schubert sowie hinzukomponierten Einlagen, in denen kratzige Geigen auf verlorene Pianotöne treffen.
    All' das bleibt in seiner Aussagekraft diffus; die Choreografie will mehr als Abstraktion, aber weniger als Narration; sie ist unentschieden, unausgegoren, aber schlimmer noch: durch und durch konventionell. Nacho Duato schafft es weder, das Stück auf tänzerischer, inhaltlicher, atmosphärischer oder musikalischer Ebene zu Entfaltung und Klarheit zu bringen, noch eine Bewegungssprache zu entwickeln, die über ein hundertfach gesehenes choreografisches Standardrepertoire hinausgeht. Selbst die sonst so zuverlässig in der A-Klasse agierenden Staatsballetttänzer bleiben seltsam verschwommen in dieser floskelhaften Choreografie, die überall Bedeutungsschwere behauptet, aber nirgendwo einlöst.
    Drogenaffines Schmerzenspaar
    Dass sie auch anders können, zeigen die Tänzer in der zweiten Duato-Kreation des Abends, dem 2001 für die Compania Nacional de Danza entstandene Gruppenstück "White Darkness". Hier wird eine Reihe von Duetten temperamentvoll, ja mit Witz und Leichtigkeit getanzt, unglücklicherweise aber auch von theatralischen, unfassbar kitschigen Szenen kontrastiert, in denen sich ein drogenaffines Schmerzenspaar zuweilen in effektheischenden Sandkaskaden räkeln muss. Der Geschmack der Achtzigerjahre lässt grüßen!
    Immerhin wurde - zur Ehrenrettung dieses durch zwei Pausen endlos aufgeblähten Abends - zwischen die beiden Duato-Erzeugnisse eine Arbeit von Jiri Kylián gesetzt. Die Choreografie "Click - Pause - Silence" seziert die Körper der glänzenden agierenden Tänzer, isoliert einzelne Bewegungen und lässt sie dann wieder in gespannter Ruhe verharren. In seiner Präzision und Klarheit offenbart Kyliáns Dreißigminüter einen deutlichen qualitativen Unterschied zwischen dem choreografischen Vermögen des Staatsballettchefs und dem seines ehemaligen Mentors.
    Dennoch kann auch Kyliáns Stück nicht über die zentrale Frage hinweghelfen: Werden wir am Staatsballett in den nächsten Jahren noch anderes zu sehen bekommen als Duato und seine persönlichen Lieblingschoreografen? Das wäre mehr als wünschenswert. Denn - das hat dieser dreiteilige Abend gezeigt - auf der Höhe der ästhetischen Entwicklung des Tanzes, sei er klassisch, modern oder zeitgenössisch, befindet sich auch der neue Staatsballettchef ganz sicher nicht.