Dienstag, 19. März 2024

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Berliner Staatsoper
Mozart auf dem Spielzeugflügel

"Mord an Mozart" heißt das Stück, das Elisabeth Stöppler für die Berliner Staatsoper im Schillertheater inszeniert hat. Rezensentin Julia Spinola hält es für eine Gesinnungsnabelschau mit zu viel Pathos und identifiziert als zentrale Botschaft: Die Gesellschaft erträgt keine Genies.

Von Julia Spinola | 30.01.2016
    Undatiertes Bild von Wolfgang Amadeus Mozart (Attribut Joseph Hickel um 1783).
    In der Berliner Staatsoper im Schillertheater ist Elisabeth Stöpplers "Mord an Mozart" zu sehen. (picture-alliance / dpa / epa Christie's / Ho)
    Roman Trekel schleppt sich als neidzerfressener Salieri mit wuchtigem Baritontimbre und wankendem Gang über die Bühne. Der stimmlich geschmeidigere Tenor Stephan Rügamer mimt währenddessen einen Mozart, wie wir ihn aus Milos Formans "Amadeus"-Film kennen: klettert unanständig kichernd auf Möbel, baumelt von einem der herumstehenden Holzgerüste herab, räkelt sich lasziv auf dem Tisch oder rutscht bäuchlings eine Schräge herunter.
    Leider besitzt Rügamer nicht ganz die passende Statur für jene "cherubische Gestalt", die Rimsky Korsakow in Mozart sah - und die hier wohl intendiert war. Auch die musikalische Koordination bleibt angesichts der akrobatischen Anforderungen ein wenig auf der Strecke. Doch die Musik spielt in dieser Mozart-Collage der Staatsoper ohnehin nur eine prominente Nebenrolle. Sie liefert die Stichworte fürs Szenische, wird als Bedeutungsträgerin gebraucht oder zur stimmungsvollen Untermalung.
    Mozarts Kompositionen auf Spielzeugflügel
    Da können Mozarts Kompositionen schon einmal auf einem Spielzeugflügel geklimpert werden oder in rhythmischer Verschiebung gleichzeitig von Vibraphon, Akkordeon und auf einem verstimmten Klavier gespielt werden. Da erklingen Sätze aus Mozarts Requiem verfremdet vom Band und in einer kompositorischen Übermalung von David Robert Coleman. Und da darf im "Recordare" des Requiems sogar die mädchenhaft gealterte Schauspielerin Angela Winkler einmal mitsingen.
    Die Botschaft, um die es dem Produktionsteam um Elisabeth Stöppler geht, lautet ungefähr: Die Gesellschaft erträgt keine Genies, weil diese die Weltordnung nur durcheinander bringen. Daher triumphieren in der Geschichte immer wieder das Mittelmaß und die Gewalt. Um dies zu illustrieren, werden Zeugen aus Kunst und Wissenschaft auf die bewusst provisorisch anmutende Bühne gerufen: Albert Einstein zum Beispiel, den die von der Komischen Oper ausgeliehene Konzertmeisterin Sophie Heinrich mit weißer Mähne mimt. Aus dem Briefwechsel Einsteins mit Sigmund Freud zur Frage "Warum Krieg" liest Angela Winkler. Sie hämmert dazu einen Maschinengewehrrhythmus in eine alte Schreibmaschine. Gleichzeitig spielen Einstein und der Pianist Adrian Heger eine Violinsonate von Mozart. Angela Winklers Vorlesestunde wird mit der "Großinquisitor"-Episode aus Dostojewskijs Roman "Die Brüder Karamasow" fortgesetzt. Mozart tritt als Jesus mit Dornenkrone auf, der vom Großinquisitor verhaftet wird. Im Hintergrund der Bühne spielen Musiker der Staatskapelle dazu die Streichorchesterfassung von Dmitri Schostakowitschs 8. Streichquartett, dessen Widmung "Für die Opfer von Faschismus und Gewalt" eingeblendet wird.
    Vorlesen mit Kaugummi im Mund
    Zur wüst geschrammelten originalen Quartettfassung liest Angela Winkler dann - warum auch immer - mit einem Kaugummi im Mund weiter und vollzieht mit den letzten Sätzen keuchend den Tod Jesus nach. Roman Trekel wälzt sich dabei auf der Schräge und sticht einen Apfel ab. Schließlich schreibt irgendjemand das in diesem Kontext unvermeidliche Nietzsche-Zitat auf eine Tafel: "Gott ist tot". Der Epilog blendet zu Colemans "Requiem"-Bearbeitung die Schreckensbilder einer Atombombenexplosion und eines Kriegshubschraubers ein.
    Während ringsum die Welt auseinanderzubrechen droht, scheinen die Künstler dieses Staatsopernabends von einer fundamentalen Ratlosigkeit befallen worden zu sein, ob und wie das Theater auf die uns täglich näher rückenden Kriegs-, Terror- und Gewaltnachrichten zu reagieren habe. Ihr Wunsch, einen Kampf der Davidsbündler gegen die Philister auf die Opernbühne zu bringen, indem man möglichst viele kraftspendende innere Gefährten gleichzeitig auf ihr versammelt, ist grundsätzlich sympathisch. Doch leider gelangte der Abend mit seinem Bekenntnispathos und seinem szenischen Dilettantismus über eine ermüdende Gesinnungsnabelschau nicht hinaus.