Mittwoch, 24. April 2024

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Berliner Tanztage
Die jungen Wilden am Start

Bei den Berliner Tanztagen stellt sich der choreografische Nachwuchs vor. Das Festival in den Berliner Sophiensälen zeigt, was den jungen Tanz so bewegt.

Von Elisabeth Nehring | 09.01.2014
    Willkommen im Ashram! Willkommen zur göttlichen Erleuchtung! Willkommen zu Inspiration, Liebe und Glück – natürlich immer verbunden mit dem Universum!
    Angesichts so eines Empfangs kann einem schon ein bisschen mulmig werden. "Divine Love Electric", angekündigt als neue spirituelle Bewegung, hatte eingeladen, sich ganz auf sie einzulassen: Schuhe ausziehen, auf Teppichen im rötlichen Licht niederlassen und bitte die allumfassende, niemals endende Freundlichkeit des Universums empfangen. Drunter geht’s nicht! Man kann sich auch für 100 Euro in den nächsten Tagen weiter erleuchten lassen oder für etwas weniger Geld schicke Devotionalien erwerben.
    Ringelpietz mit Anfassen
    Die Performerinnen Hana Lee Erdmann und Allison Lorenzen sind die erleuchtete Kerngruppe der Bewegung; sie können wirklich schön singen, lassen aber dazu nicht nur eine ihrer Anhängerinnen tanzen, sondern auch die Zuschauer: bitte den Nächststehenden an die Hand nehmen und auf geht's zum Ringelpietz mit Anfassen - inklusive Mitsprechen des göttlichen Mantras. Das hat schwer was von beginnender Gehirnwäsche; der einzige Grund, warum man nicht nach zehn Minuten fluchtartig den Raum verlässt, ist, dass man nicht weiß, ob sie es ernst meinen oder das Ganze vor Ironie nur so trieft. Man bekommt es auch bis zum Schluss nicht raus. Und das gibt dieser Eso-Show wiederum den Charme einer gewissen Verwirrung, mit der man ja ganz gerne mal ein Theater verlässt.
    "Departing Things" zur Eröffnung
    Weniger doppelbödig ging es dagegen am Tanztage-Eröffnungsabend zu, als Jorge De Hoyos sich in der gemeinsam mit seinen drei Tänzern entwickelten Choreografie "Departing Things" den Phänomenen des An- und Abreisens widmete: mit Rucksäcken gehen sie da über die Bühne, lauschen lange in sich hinein, summen chorisch in verschiedenen Tonlagen, legen sich gegenseitig Hände auf und rücken eng zusammen. Sehr nett ist diese Introvertiertheit und sehr, sehr artig!
    Überhaupt gewinnt man angesichts so einiger Tanztage-Produktionen den Eindruck: Jugend – dein Name sei brav! Und fragt sich, wo eigentlich die kritischen, lautstarken, meinungs- und streitfreudigen jungen Menschen dieser Welt sind. In diesen ersten eineinhalb Januarwochen auf jeden Fall nicht in den Sophiensälen!
    Kleinere Highlights
    Dennoch gab es auch zumindest kleinere Highlights, wie die künstlerische Liaison zwischen dem Tänzer Ahmed Soura und dem Musiker Johannes Lauer, der mit präparierter Posaune, Tamburin und einer großen Muschel akustisch auf die tänzerische Improvisation seines Bühnenpartners reagierte.
    Und die jungen Performer der Calvin Klein Group zogen eine ganze Stunde lang verschiedene Beziehungsszenen in Zeitlupe durch - eine absolute, dem Film abgeschaute Entschleunigung, die Melodramatik gebiert und den Blick aufs Detail lenkt: verdrehte Augen, in denen das Weiß länger als üblich zu sehen ist, verzerrte Gesichter, übertriebene Gesten. Dabei müssen immer wieder helfende Hände von außen ans Werk: Der Stuhl wird erst während des verlangsamten Hinsetzens auf die Bühne gestellt, das zu Boden geworfene Papier wird von einer Hand genauso in Slow Motion versetzt wie alles andere.
    Die konsequente, überraschende und witzige Auseinandersetzung mit medialen Techniken, Pop- und Filmkunst auf der Bühne, die die Calvin Klein Group hier betreibt, erinnert von Ferne an die Arbeiten so bekannter Kollegen wie Big Art Group aus New York oder die Superamas aus Wien. Und gibt Hoffnung, dass die künstlerische Jugend von heute noch mehr will, als nett zueinander sein.