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Berliner Verkehrspolitik
Neuer Senat setzt auf mehr Dialog mit Radfahrern

In einem "Raddialog" mit Bürgern will der Berliner Senat neue Konzepte für die Verkehrspolitik entwerfen. Gefährliche Kreuzungen sollen analysiert und umgestaltet werden, um die Gefahr für Radfahrer zu minimieren. Es soll wieder Frieden herrschen auf den Straßen der Hauptstadt.

Von Thomas Weinert | 07.03.2017
    Fahrradfahrer fahren auf einem Fahrradweg an einer Kreuzung in Berlin geradeaus, während ein Auto rechts abbiegen will, davor weist ein Schild über den Toten Winkel als Unfallgefahr hin.
    Fahrradfahren in Berlin ist alles andere als entspannt. (dpa picture alliance/ Stephanie Pilick)
    Auf dem Weg nach Charlottenburg zu einem traurigen Termin. Vor wenigen Stunden ist eine Radfahrerin auf einer großen Kreuzung von einem Lkw überfahren worden, die Frau stirbt noch an der Unfallstelle. Der ADFC, der Allgemeine Deutsche Fahrradclub, lädt spontan zu einem Sit-In an der Unfallstelle. Und es gilt Regine Günther zu treffen, die neue parteilose Verkehrssenatorin von Berlin. Gerüchte sagen, sie werde mitmachen bei der kurzen Besetzung der Kreuzung, um ein Zeichen zu setzen.
    Angekommen am Unfallort gibt ein Polizist, der die Kreuzung absperrt, Auskunft über das Geschehen
    "Ja, ein Lkw kam von der Knobelsdorfstraße aus Richtung Stadtautobahn und wollte nach rechts in die Königin-Elisabeth-Straße abbiegen und übersah eine Radfahrerin, die er überrollt und die Radfahrerin ist am Unfallort verstorben."
    Auch Heinrich Strößenreuther tritt auf, der derzeit wohl bekannteste Fahrradfahrer in Berlin:
    Autor: "Nun ist diese Kreuzung ja für Fahrradfahrer vergleichsweise gut ausgestattet, mit einer eigenen Ampelanlage, mit gut gekennzeichneten Radwegen. Wo ist das Problem hier und wo ist das Problem grundsätzlich in Berlin?"
    Heinrich Strößenreuther: "Das Problem hier und auch in allen anderen Städten in Deutschland ist, dass wir jedes Jahr ein Prozent mehr Kraftfahrzeuge haben, in Zahlen in Berlin sind es 17.000 Kraftfahrzeuge, die jedes Jahr neu in die Stadt kommen. Die stehen alle unter Stress, weil die Flächen für den Pkw- und Lkw Verkehr nicht vergrößert werden. Wir haben ein Bußgeldkatalog, der lachhaft ist für ein anständiges Verhalten."
    Zahl der Kraftfahrzeuge steigt jährlich
    Heinrich Strößenreuther ist PR-Fachmann und Fahrradaktivist und er hat es geschafft, dass für ein Fahrradvolksbegehren in kurzer Zeit 100.000 Stimmen gesammelt wurden. Ein ganzer Katalog an verkehrspolitischen Forderungen, die nun Eingang finden sollen in eine ökologische Verkehrswende, eingeleitet von Rot-Rot-Grün. Vor allem: Sicherheit für die Radfahrer! So ist es eine Berliner Spezialität, an großen Kreuzungen auf zwei Spuren rechts abzubiegen – die linke Spur der Rechtsabbieger hat dabei einen sehr schlechten Überblick über den von hinten kommenden Radverkehr.
    "Wir haben deswegen auch veranlasst, dass unfallträchtige Kreuzungen analysiert werden, umgestaltet werden, und man sieht, dass es sehr oft die gleichen Kreuzungen sind und das ist bei uns auch im 100 Tage Programm verankert, das soll umgesetzt werden. Unser Anspruch ist schon, dass man genau diese Brennpunkte so verändert, dass sich die Menschen da sicher bewegen können auf Straßenland."
    Regine Günther, die neue Verkehrssenatorin, will in einer Mischung aus Sofortmaßnahmen, den Vorstellungen der Koalition und den Punkten aus dem Volksentscheid der Verkehrspolitik in Berlin neue Akzente geben. Stichwort: Raddialog:
    "Wir wollen ja die ganze Stadtgesellschaft mitnehmen, insofern haben wir uns für ein Verfahren entschieden, dass alle sich gleichberechtigt mit ihren Ideen anhand verschiedener Kriterien einbringen können und wir halten das für einen sehr guten Weg nach vorn."
    Strößenreuther will mehr Einfluss seiner Initiative
    Heinrich Strößenreuther dagegen will mehr Einfluss seiner eigenen Initiative, derzeit finden sich nach seinen Angaben nur etwa 20 Prozent der Forderungen des Volksbegehrens in dem Entwurf zum neuen Radgesetz der Koalition:
    "Konkret haben wir ein Radverkehrsgesetz erarbeitet als Volksentscheid Fahrrad, wir haben 100.000 Unterschriften gesammelt in dreieinhalb Wochen, das ist Rekordzeit in Deutschland. Das Gesetz liegt jetzt beim Senat zum Prüfen und wird geprüft und geprüft – wir haben Untätigkeitsklage erhoben."
    Was also wird schlussendlich stehen im neuen Berliner Radgesetz?
    "Na ja, wenn ich das heute wüsste, dann bräuchten wir ja den ganzen Dialog nicht. Sondern es geht jetzt natürlich darum zu gucken, was kann man reinschreiben, was soll man reinschreiben. Was steht im Gesetz, was steht in einem Maßnahmenkatalog und da möchte ich schon den Ball bei den Akteuren innerhalb des Raddialogs belassen und nicht präjudizieren, was da drin stehen soll oder kann. Genau das wird Aufgabe des Raddialogs sein, hier Einverständnis zu entwickeln."
    An jenem Abend, an dem die junge Radfahrerin in der Nähe des Kaiserdamms in Charlottenburg überfahren wurde, bekam Regine Günther gerade ihre Ernennungsurkunde als Senatorin, der Terminkalender war voll an diesem Tag.
    "Insofern hat mich das sehr berührt. Ich konnte da nicht hinkommen an diesem Tag. Aber vielleicht wäre es auch unangemessen gewesen, da gleich am ersten Abend aufzuschlagen, aber glauben sie mir: Wir sind da dran."
    Rot-Rot-Grün muss schnell Ergebnisse liefern
    Rot-Rot-Grün muss liefern. Ansonsten stehen die Chancen gut, dass in Zukunft ein Volksentscheid den Berliner Radverkehr regelt. Und das wäre eine Blamage für grüne Verkehrspolitik.