Donnerstag, 25. April 2024

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Berliner Volksbühne
Christoph Marthalers "Hallelujah (Ein Reservat)"

Von Eberhard Spreng | 19.02.2016
    "Don't leave this camp, please! Nicht aus Freizeit ausscheren! Herausforderung annehmen! You are kindly requested Hallo-Zustand positively zu gestalten. Take your chance!"
    Es gelten Regeln im Freizeituniversum, das zugleich ein Reservat sein soll, aus dem nicht ausgeschert werden darf. Und bevor elf Marthaler-Akteure in diese Welt eintreten, reihen sie in einer Chaos-Choreografie Absperrgitter auf, die sich natürlich zunächst vielfach ineinander verhaken, bevor sie einen dieser länglichen Gänge bilden, die man von Flughäfen kennt: Stauräume fürs ordentliche Schlangestehen. Und dann stellen sie sich vor einem abgetakelten Kassenhäuschen auf.
    Dahinter stehen Bruchstücke eines Vergnügungsparkes, der an den einzigen Freizeitpark erinnern soll, der in der DDR existierte: der Spree-Park im Berliner Plänterwald. Ueli Jäggi hatte in einem einleitenden Monolog ein wenig eintönig erzählt, wie man sich diesen Park vorzustellen hat. Das ist hilfreich, denn anders als in ihren vorhergehenden Arbeiten, hat Bühnenbildnerin Anna Viebrock hier nur einige Fragmente, einige Reliquien auf der Bühne versammelt, ohne sie zu einem Universum zu verdichten: eine rosa Brücke mit hellblauen Aufgängen, ein umgefallener Dinosaurier.
    So verstreut, ja so lustlos zerfallen sah noch keiner ihrer Bühnenräume aus. Vor allem hat er nichts von der Atmosphäre des langsam vor sich hin gammelnden Originals an sich, der Ostalgikern Anlass gibt zu wehmütigen Reisen in die Vergangenheit. Aber genau darum geht es Christoph Marthaler an diesem Abend. Clemens Sienknecht referiert die Vita von Dean Reed, dem in Colorado geborenen Schauspieler und Sänger, der in der DDR als sozialistischer Cowboy eine zweite Karriere machte.
    Hildegard Alex, erst griesgrämige Frau an der Kasse, erzählt von einer DDR Indianistin, die sich als Hawa Toutami dem Stamm der Dakotas anschließen wollte, aber die Ausreise nicht genehmigt bekam. Aber auch westliche Kult-Figuren tauchen im Marthaler Reservat auf: Marc Bodnar spielt einen Pierre Brice, der zu Lebzeiten behauptete, das Schlüsselwort seines Lebens heiße "Mut". Später wird er herrlich radebrechend deutsch reden wie das Schauspieleroriginal und anschließend Karl May auf Französisch zitieren.
    Dazu fährt für die Übertitelung ein kleiner Bildschirm herab und alle anderen Akteure kommen an die Rampe, drehen dem Zuschauer den Rücken zu und legen den Kopf in den Nacken, um den Text lesen zu können. Nette Ideen, verstreute Bilder. Wäre da nicht auch die Musik des Wilden Westens und seine Country Ableger und vor allem eine grandiose Tora Augestad:
    "I don't want to hear a love song
    I got on this airplane just to fly
    And I know there's life below
    But all that it can show me
    Is the prairie and the sky"
    "Boulder to Birmingham" von Emmylou Harris singt Tora Augestad mit demselben schmerzschönen Glanz wie Dolly Parton "Little Sparrow". Und dann singt das Ensemble auch noch wunderbar a a cappella. Die musikalische Kernkompetenz des Regisseurs zeigt sich hier wieder in einer klugen Auswahl und schön interpretierter Musik.
    Nicht gelungen ist allerdings die dramaturgische Konzeption des Abends. Zu Beginn dämmert das Freizeitvergnügen auf, das von restriktiven Regeln und dem Spaßdiktat begleitet wird. Das hätte eine herrliche Metapher für unsere vergnügungsversessene Zivilisation und ihre Unfreiheiten werden können.
    Dann ist vom Sehnsuchtsraum Wilder Westen die Rede, der in vergangenen Jahrhunderten auch zahllose deutsche Emigranten anzog. Dann wieder wird der Indianerkult recht eklektisch aus Ost- und Westdeutscher Sicht illustriert. Am Ende verharrt ein trauriger Theaterbär hinter der Absperrung. Noch ein Bild, das irgendwie zum Thema passt und irgendwie auch wieder nicht. Wie auch immer man's wendet, man wird nicht klug draus und weiß nicht, wo dieses sogenannte Reservat zu verorten ist.