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Berliner Werkbund plant ein Stadtquartier
Zeitgemäßes urbanes Bauen und Wohnen

Die geplante WerkBundStadt des Berliner Werkbundes ist wahrscheinlich eines der spannendsten Architekturprojekte der nächsten Jahre in der Hauptstadt. Ein ambitioniertes Projekt, zu dem der Fachverband aus Künstlern, Gestaltern, Politikern, Unternehmern und Handwerkern 33 Architekten eingeladen hat. Das zukünftige Areal konnte nun besichtigt werden.

Von Martina Groß | 26.09.2016
    Modell der Werkbundsiedlung
    Modell der Werkbundsiedlung (© WerkBundStadt Berlin)
    "Das ist überhaupt ein interessantes Thema, die Vermittlung von Architektur, wenn sie nicht gebaut ist. Wie können Sie mit diesem Plan was anfangen?" fragt Paul Kahlfeldt.
    Kahlfeldt, der Architekt und Vorsitzende des Deutschen Werkbundes hält einen Bebauungsplan in der Hand. Wir stehen auf einer Industriebrache zwischen Quedlinburger Straße und Spreebord in Berlin-Charlottenburg. Auf dem 29.000 Quadratmeter großen Areal stehen zwölf gigantische Öltanks. Durch den Asphalt wächst wildes Grün.
    "Hier stehen wir jetzt auf dem zentralen Platz. Dort. Wir stehen jetzt ungefähr hier. Diese Wand gibt es nicht mehr und dahinter ist eine wunderbar neugotische Ziegeleinfassung des Kraftwerks. Wenn wir könnten, dann würde ich Sie auf einen Kaffee einladen da drinnen, und wenn alles gut geht, nutzen wir diese 2.800 Quadratmeter für Sport, Markthalle im Kraftwerk. Das ist ja stillgelegt, dieser Teil."
    Urbanes Quartier mit öffentlichen Plätzen, Straßen und Tiefgarage
    Noch ist es kaum vorstellbar, dass hier vielleicht schon in sechs Jahren 39 Häuser in fünf Blöcken stehen könnten. Ein urbanes Quartier mit öffentlichen Plätzen und Straßen für über 2.000 Menschen. Autos dürften fahren, aber nicht parken. Dafür gäbe es eine Tiefgarage. Zu Fuß könnte man direkt zur Spree durchlaufen.
    "Und dann würden wir in die Tabustraße gehen und zum Siemenssteg gehen und nach Alt-Lietzow hineinlaufen. Wir könnten dann hier da lang laufen, hier an der Kindertagesstätte vorbei in das Quartier reinlaufen. Wir könnten uns bei schönem Wetter auch auf dem Platz setzen. Dort steht ein Hotel, genau an dieser Kante steht ein Hotel, das ist das alte Wohnhaus des Kraftwerkdirektors."
    Rechter Hand liegt das älteste Heizkraftwerk Berlins, 1900 wurde es in rotem Klinker gebaut. Es ist immer noch in Betrieb und macht Lärm. Die nachträglich gebaute Gasentschwefelungsanlage hat die Höhe eines Hochhauses. Zwei Hochhäuser wird es auch in der WerkBundStadt geben.
    "Das ist schon etwas höher, Sie sehen ja, das ist hier alles die Idee auch, der unterschiedlichen Typologien, hohe, niedrige, kleine, große Häuser. Wir könnten auch ein bisschen abschwenken, dann würde hier auch ein hohes Haus stehen wie dieses."
    Ungewohnte Freiheit für Architekten
    33 Architekturbüros haben die Einladung des Werkbundes Berlin 2015 angenommen. Die Architekten haben zunächst ein Konzept für ein zeitgemäßes urbanes Bauen und Wohnen entwickelt, dann ihre Pläne entworfen und erst im nächsten Schritt wird nach Bauherrn und Investoren gesucht. Eine ungewohnte Freiheit und eine große Chance. Einer der 33 Architekten ist Christoph Ingenhoven:
    "Ich finde jede Aufgabe, die für sich die Chance bietet, scharf, also sagen wir mal spitz, einen bestimmten Gedanken oder einen bestimmten Beitrag zum Fortschritt zu bieten. Das finde ich gut. Und in dem Fall ist es so, ich glaube, dass wir hier nach höchsten Umweltstandards bauen können. Ich glaube, das kriegen wir hin. Ich glaube, dass dieses sehr diverse Viertel eine wirklich zeitgenössische Antwort auf das Wohnen in Berlin sein wird."
    Verdichtung statt Zersiedelung
    Die Frage nach der Qualität von Bauen und Wohnen stellt sich der Werkbund seit mehr als 90 Jahren. Dabei ist das Berliner Projekt eine bewusste Abkehr vom Siedlungsgedanken, vom Haus im Grünen und den weiten Wegen. Verdichtung statt Zersiedelung. Kleinteiligkeit und Vielfalt statt der Monotonie heutiger Townhouses. Ein Vorbild sind die Altstädte Regensburgs, Krakaus oder Venedigs, wie Paul Kahlfeldt ausführt. Die WerkBundStadt ist ein Plädoyer für die Rückkehr von Wohnen und Arbeiten an einem Ort. "Mischung" ist das große Stichwort. So soll es sowohl Eigentums- als auch Mietwohnungen geben, 30 Prozent davon sind mietpreisgebunden. Es gibt große und kleine Wohnungen, mit flexiblen Grundrissen.
    "Eben nicht, das ist der große Fehler der Moderne, die Funktion beim Entwerfen determinieren, sondern Freiräume, Möglichkeiten schaffen, dass ein Haus auch nach fünfzig Jahren noch anders genutzt wird", sagt Paul Kahlfeldt. "Und dann würden wir uns umdrehen und würden jetzt hier auf das schöne Haus von Christoph Ingenhoven gucken. Auch ein bisschen höher, also diese Platzfassung."
    Ein zehnstöckiges Gebäude mit großen Fenstern, begrünten Balkonen und Urban Gardening auf dem Dach. Hinter der Fassade aus grünen Ziegeln, in Anlehnung an die Industriebauten in der Umgebung, verbirgt sich eine technische Infrastruktur, die vor allem einer Umweltverträglichkeit Rechnung tragen wird.
    "Ich bin sehr daran interessiert, etwas zu tun, wo die Tatsächlichkeit unseres Lebens, nämlich die Nähe zum Gewerbe, die Nähe zum Lärm, die Nähe zur Eisenbahn wieder ermöglicht wird", sagt Christoph Ingenhoven. "Und wir das nicht versuchen über lange Zeiträume zu lösen, indem wir sagen, wenn das mal alles weggezogen ist, dann können wir da schön wohnen, sondern wie kann man das jetzt hinkriegen, ohne dass der eine oder andere dabei beschädigt wird? Das ist ein großes Thema, das wird in diesem Land und über das Land hinaus auch eine Riesenwirkung entfalten. Wenn man es klug macht."
    Hinweis: Im Haus des Berliner Werkbundes sind bis zum 27. November 2016 zwei Ausstellungen zu sehen: Eine historische, die sich mit den Werkbundsiedlungen beschäftigt und "WerkBundStadt", in der alle Entwürfe und Modelle für das neue Projekt zu sehen sind.