Dienstag, 23. April 2024

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Bernhard Vogel verteidigt Zuspitzungen im Wahlkampf

Der CDU-Politiker Bernhard Vogel erwartet mit den Wahlen in Hessen und Niedersachsen ein Abflauen des Koalitionsstreits in Berlin. "Ich glaube, wenn die Wahlen jetzt am Sonntag in acht Tagen vorbei sind, dann wird doch hoffentlich die notwendige Ernüchterung auf allen Seiten einziehen", sagte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Moderation: Christoph Heinemann | 15.01.2008
    Christoph Heinemann: Shakespeare in Berlin: Seit Tagen erfreut uns die Koalition mit viel Lärm um nichts, ohne darauf zu achten, wie es euch gefällt. Nun hat Angela Merkel den Spielplan geändert. Die Chefin selbst versucht sich heute mit der widerspenstigen Zähmung. Überraschend kurzfristig lud die Bundeskanzlerin für 12 Uhr zur Pressekonferenz. Der Haussegen hängt schief in der Koalition. Ist ja auch nicht einfach: vormittags gemeinsam regieren, nachmittags gegeneinander Wahlkampf führen.

    Am Telefon ist Bernhard Vogel, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, ehemaliger Ministerpräsident des Freistaates Thüringen und des Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Guten Tag!

    Bernhard Vogel: Guten Tag, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Vogel, Sie verfügen über die Erfahrung der Gleichzeitigkeit des Regierungs- und des Parteichefs. Was raten Sie? Wie muss sich Angela Merkel verhalten? Muss sie als CDU-Vorsitzende und Wahlkämpferin Öl ins Feuer gießen oder als Kanzlerin die Wogen glätten?

    Vogel: Nein. Das ist zwar eine etwas schwierige, aber eine ganz natürliche und selbstverständliche Phase. Frau Merkel ist Bundeskanzlerin und muss das Kabinett führen und die Richtlinien der Politik bestimmen, aber es gibt keinen Grund zu verschweigen, dass sie die Vorsitzende des größeren Koalitionspartners ist und dass gelegentlich einmal deutlich werden muss: Die Regierung ist das eine, aber das Profil der sie tragenden Parteien ist das andere. Und ich bin ganz sicher, dass Frau Merkel diese Aufgabe auch in Zukunft gut erfüllen wird.

    Heinemann: Geht beides, Regieren und Wahlkämpfen?

    Vogel: Ja, selbstverständlich. Denn in einer Demokratie gehören Wahlkämpfe mit zum Geschäft. Man kann ja nicht so tun, als ob man mit der Übernahme der Kanzlerschaft aus der Partei und aus der Parteiführung ausscheidet. Natürlich gehört beides zusammen, auch wenn es vorübergehend einmal schwierig ist.

    Heinemann: Auch in einer doch etwas schwierigen Konstellation wie einer Großen Koalition, wo die Rollenverteilung Koch und Kellner doch nicht so klar ist?

    Vogel: Nein, aber auch in der ersten Großen Koalition, die wir hatten, war Kurt Georg Kiesinger selbstverständlich Bundeskanzler - übrigens sehr erfolgreicher Bundeskanzler mit einem exzellenten Wahlergebnis bei der Bundestagswahl -, und er war gleichzeitig Parteivorsitzender. Sie haben das ja angesprochen: Auf der anderen Ebene, auf Landesebene, habe ich dieselbe Erfahrung gemacht, sowohl in einer FDP-Koalition wie in einer SPD-Koalition. Das ist manchmal schwierig und da muss man manchmal sehr wachsam sein, aber es ist eine Selbstverständlichkeit, und es ist deswegen auch zu bewältigen.

    Heinemann: Herr Vogel, der CDU gefallen nicht alle Rezepte, die in Hessen angerührt werden. Roland Kochs Vorschlag, die Strafmündigkeit für Kinder herabzusetzen, ist einstimmig zurückgewiesen worden. Überzieht Roland Koch?

    Vogel: Es ist Wahlkampf in Hessen, und Wahlkampf in Hessen ist eine schwierige Sache, denn dort sind die Mehrheitsverhältnisse immer sehr hart erkämpft worden. Dafür muss man ein gewisses Verständnis haben, auch dass einmal das eine oder andere sehr deutlich, sehr, sehr deutlich formuliert wird. Übrigens tun das seine Kritiker ja auch. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag war ja nicht zimperlich mit seinen Formulierungen.

    Natürlich bin ich ganz selbstverständlich der Meinung, dass man Kinder nicht in Gefängnisse sperren soll. Das ist ja selbstverständlich. Aber was ich etwas bedauere: In der ganzen Diskussion wird ständig über die Täter und ihre Behandlung gesprochen. Von den Opfern ist mir in der ganzen Diskussion ein bisschen zu wenig die Rede.

    Heinemann: Das tut ja Roland Koch auch nicht.

    Vogel: Ich sage ja. Insgesamt ist mir in letzter Zeit zwar sehr viel von den Tätern, aber ein bisschen zu wenig von den Opfern die Rede. Und im Übrigen: So richtig es ist, dass man sich mit der Rückkehr von Straffälligen in die Gesellschaft beschäftigt, eine Strafe muss auch eine Strafe sein, weil sie sonst nicht abschreckt und weil sie sonst nicht wieder gutmacht, was an Vergehen geschehen ist.

    Heinemann: Herr Vogel, ist Kochs Verbissenheit ins Jugendstrafrecht ein Beleg dafür, dass er inhaltlich sonst nicht viel mehr zu bieten hat?

    Vogel: Wer leugnet, dass der Roland Koch eine Menge zu bieten hat, hat in den letzten Jahren nicht aufgepasst. Nehmen Sie etwa mal seinen beispiellosen Einsatz für einen Kompromiss in der Erbschaftssteuerfrage mit dem Koalitionspartner. Roland Koch hat weiß Gott mehr zu bieten als nur das Strafrecht.

    Heinemann: Wovon im Wahlkampf nicht viel zu merken ist.

    Vogel: Ich weiß nicht, ob so viel davon nicht zu merken ist. Ich war gestern Abend bei einer Wahlkampfveranstaltung in Hessen. Wir haben selbstverständlich auch über die strafrechtlichen Themen gesprochen, aber in den zweieinhalb Stunden, oder wie lange es war, haben wir über sehr viel anderes, über den Frankfurter Flughafen beispielsweise, über die Haushaltslage, über den Wirtschaftsstandort Hessen geredet. Also vor Ort ist das zwar ein, aber nicht das ausschließliche Thema. Es gab eine lebhafte Diskussion. Die Leute haben sehr viele Fragen gestellt nach der Bildungspolitik beispielsweise, keineswegs nur zu diesem Thema, das die Schlagzeilen der Presse gegenwärtig beherrscht.

    Heinemann: Zurück nach Berlin: Was erwarten Sie, Herr Vogel, inhaltlich noch von der Großen Koalition?

    Vogel: Ich glaube, wenn die Wahlen jetzt am Sonntag in acht Tagen vorbei sind, dann wird doch hoffentlich die notwendige Ernüchterung auf allen Seiten einziehen, und dann muss es selbstverständlich mit der Großen Koalition weitergehen. Sie hat einen Auftrag für die ganze Legislaturperiode. Es stehen eine Menge Themen noch auf der Tagesordnung, beispielsweise das eben erwähnte Erbschaftssteuerproblem, um nur eines zu nennen, die Sanierung der Haushalte und vieles andere mehr, der weitere Abbau der Arbeitslosigkeit. Weil wir uns freuen, dass die Arbeitslosigkeit geringer geworden ist, dürfen wir uns doch nicht zufrieden geben mit 3,5 Millionen. Da muss doch Weiteres geschehen.

    Nein, nein! Ich denke, am Sonntag in acht Tagen, wenn dann das Ergebnis noch besprochen und verdaut ist, wird wieder eine Rückkehr zur Arbeit der Großen Koalition selbstverständlich sein und auch im Interesse aller liegen, nicht zuletzt natürlich und vor allem der Wähler.

    Heinemann: Hoffentlich, sagten Sie eben. Sicher sind Sie sich da nicht?

    Vogel: Na ja, ich pflege vorsichtig zu formulieren. Ich hoffe es nicht nur, sondern ich bin mir auch sicher. Sie müssen ja sehen: Immerhin haben die beiden Koalitionsparteien das Verdienst, über ihren Schatten gesprungen zu sein und gegen ihre Wünsche die Große Koalition eingegangen zu sein, weil sie erkannt haben, dass aufgrund des Wahlergebnisses keine andere stabile, handlungsfähige Regierung möglich ist. Und so ganz schlecht sieht ja die Zwischenbilanz der Großen Koalition nun auch keineswegs aus. Es ist ja durchaus manches Gute und Erfolgreiche geschehen.

    "Betroffen" vom Rücktritt Kardinal Lehmanns
    Heinemann: Herr Vogel, zum Schluss ein ganz anderes Thema. Karl Kardinal Lehmann hat heute seinen Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz bekannt gegeben. Sie kennen ihn schon seit langer Zeit. Wie fällt Ihre Würdigung seiner Amtszeit aus?

    Vogel: Ich bin in der Tat betroffen von dieser Nachricht, und sie schmerzt mich, denn seit ich einmal vor Jahrzehnten einen Dr. Lehmann zum Professor auf einem Lehrstuhl in Mainz als Kultusminister berufen habe, fühle ich mich ihm sehr eng verbunden. Ich bedauere seinen Entschluss, aber ich respektiere, dass er sich dem Unvermeidlichen seiner gesundheitlichen Belastung gebeugt hat. Ich freue mich, dass er weiter als Bischof von Mainz amtieren wird, und ich kann nur heute schon sagen: Er hat in einer besonders schwierigen Zeit die Aufgabe, die Deutsche Bischofskonferenz zu führen, in hervorragender Weise bewältigt. Man wird erst später ganz würdigen, wie verdienstvoll diese Tätigkeit war in einer Bischofskonferenz in einer Zeit der katholischen Kirche, wo geschlossene Einstimmigkeit nicht mehr so selbstverständlich war wie in den Jahrzehnten vor Lehmann.

    Heinemann: In den "Informationen am Mittag" sprachen wir im Deutschlandfunk mit Bernhard Vogel, dem Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaligen Ministerpräsident des Freistaates Thüringen sowie von Rheinland-Pfalz. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Vogel: Bitte. Gerne, Herr Heinemann.