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Bernhard von Clairvaux
Ein Erneuerer der christlichen Religiosität

Statt Jesus Christus als hoheitlichen Gott-König zu verehren, setzte sich der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux dafür ein, dass jeder Gläubige mit Jesus direkt in Beziehung treten darf. Damit leitete er einen Paradigmenwechsel in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte ein.

Von Rüdiger Achenbach | 03.03.2015
    Bernhard von Clairvaux wurde zum Begründer der "Jesus-Frömmigkeit".
    Bernhard von Clairvaux wurde zum Begründer der "Jesus-Frömmigkeit". (M. C. Hurek / dpa / picture alliance)
    Dieser Beitrag ist eine Wiederholung vom 30.04.2013.
    "Der Glaube, für den ich bereit bin zu sterben, ist in Gefahr. Denn jener Petrus Abaelard lehrt etwas völlig Neues und seine Bücher überqueren die Meere, überspringen die Alpen und seine neue Glaubenslehren, seine neuen Dogmen verbreiten sich über die Provinzen und Reiche und werden frei verteidigt."

    Als Bernhard von Clairvaux diesen Brief von einem seiner Ordensbrüder erhielt, fühlte er sich in seinen Befürchtungen bestätigt. Petrus Abaelard stand schon seit einiger Zeit auf seiner schwarzen Liste. Denn dieser Abaelard gehörte zu einer Gruppe von Gelehrten, die im 12. Jahrhundert mit den Methoden der Logik für ein neues Wissenschaftsverständnis eintraten. Abaelard forderte auch für die Theologie eine nachvollziehbare philosophische Beweisführung. Er war nicht mehr bereit, sich auf die Autorität der Kirchenväter zu beschränken. Durch eine Fülle von Belegen hatte er nachgewiesen, dass sich auch die Kirchenväter in ihren Schriften widersprachen. Damit war für ihn offensichtlich, dass man sich nicht einfach nur auf irgendwelche Texte berufen konnte, sondern alle Aussagen mussten mit den Methoden der Logik überprüfen werden. Der Philosophiehistoriker Kurt Flasch:

    "Abaelard gab dem Begriff der Wissenschaft eine neue Strenge und Lebensnähe. Eine neue Konzeption des Wissens brach sich Bahn. Abaelard hatte auf die Wissenschaftsentwicklung der nächsten Jahrhunderte großen Einfluss. Aufs Ganze gesehen wurde er einer der erfolgreichsten Neuerer in der Geschichte der Philosophie."
    Scholastik als Bruch mit der traditionellen Mönchstheologie
    Man hat Abaelard auch den "Vater der Scholastik" genannt, obwohl es auch andere Vertreter dieser neuen Wissenschaft gab, die nun auch in die Theologie den Dialog und die geistige Auseinandersetzung einführten. Diese Entwicklung war eindeutig ein Bruch mit der traditionellen Mönchstheologie, die sich allein auf das Traditionswissen konzentrierte. Entsprechend groß war die Ablehnung dieses neuen wissenschaftlichen Denkens vor allem bei vielen Mönchen. Auch Bernhard lehnte diese neue Richtung, für die besonders Petrus Abaelard stand, grundsätzlich ab.

    "Der Pariser Philosoph lässt ausschließlich gelten, was sein Verstand durchdringen kann, alles Sonstige weigert er sich zu glauben. Aber im Gebet wird Gott wohl würdiger gesucht und leichter gefunden als in der Disputation."

    Hier stießen zwei grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen christlicher Religiosität aufeinander, die monastische Theologie, also die traditionelle Theologie der Mönche, und die aufkommende Scholastik.

    Bernhard war nicht bereit zu akzeptieren, dass aus dem Glauben eine Wissenschaft gemacht werden sollte. Für ihn ging es bei dem christlichen Glauben um ein mystisches Erleben, aber keinesfalls um eine logische Argumentation. Er bezeichnet Abaelards Ansichten als ein gefährliches Gift und sieht in ihm einen Zerstörer der christlichen Religion und nennt ihn einen neuen wütenden Herodes. Und da Abaelard selbst nach einer dramatischen Liebesaffäre Mönch geworden war, aber immer wieder das Kloster verließ, um an irgendwelchen bekannten Schulen zu lehren, wo er dann einen regen Zulauf an Studenten hatte, schrieb Bernhard nach Rom:

    "Peter Abaelard beweist mit seinem Lebenswandel, mit seinem Verhalten und mit seinen Büchern, die nun ans Licht gebracht wurden, dass er ein Verfolger des katholischen Glaubens und ein Feind des Kreuzes Christi ist. Rein äußerlich sieht er aus wie ein Mönch, aber in seinem Inneren ist er ein Häretiker."

    Es gelang Bernhard schließlich, dass Papst Innozenz II. Abaelard als Häretiker verurteilte. Er wurde zum Stillschweigen verpflichtet und fand Zuflucht im Kloster Cluny, dessen berühmter Abt Petrus Venerabilis den Verurteilten seinerseits als herausragenden Gelehrten schätzte. Venerabilis war nicht der Einzige, der die neue Wissenschaft begrüßte. Schon bald konnte die Scholastik ihren Siegeszug antreten und hat dann im gesamten Mittelalter die Universitäten beherrscht. Die scholastische Theologie bot nun die Möglichkeit, die christliche Überlieferung von der Gotteslehre über die Christologie bis zur Eschatologie systematisch zu durchdenken und darzustellen.

    Bernhard von Clairvaux hat diese Entwicklung trotz seines Kampfes gegen Abaelard und andere nicht aufhalten können. Aber dennoch verteidigte er weiterhin die traditionelle monastische Theologie, die vorrangig auf die mystische Erfahrung des Einzelnen setzte. Der Kirchenhistoriker Ulrich Köpf:

    "Diese Theologie kennt die Fülle der Überlieferung, aber sie wählt daraus aus, was sich zum einzelnen, seinem Leben und seinen Erfahrungen in Beziehung setzen lässt. Ihr gewichtigstes Element ist die Wechselbeziehung von Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis."
    Bernhard verteidigte monastische Tradition

    Der Weg, wie der Einzelne, sich persönlich auf einen bestimmten biblischen Text, wie etwa einen Psalm, einlässt, ist dabei vorgegeben und läuft traditionell über drei Stufen: die Lesung, die Meditation, und die Kontemplation. Es geht also nicht um ein Wissen, sondern um eine ganz persönliche, religiöse Erfahrung.

    Doch indem Bernhard diese monastische Tradition verteidigt, entwickelt er sie auch weiter und wird selbst zu einem Erneuerer in der Geschichte der christlichen Religiosität.

    Der Mediävist Peter Dinzelbacher: "Mit Bernhard beginnt in der Geschichte der Konzentration auf den irdischen Jesus, der bisher im frühen Mittelalter gegenüber der Gottheit Christi ganz zurückgetreten war. Bernhard nennt ihn sogar vertraulich mit seinem persönlichen Namen 'Jesus meus', also 'mein Jesus', ohne den Christustitel zu gebrauchen."

    Während man Jesus Christus also bisher nur ehrfürchtig und unterwürfig als hoheitlichen Gott-König und Weltenherrscher verehrte, setzt sich Bernhard dafür ein, dass jeder einzelne Gläubigen mit Jesus direkt in Beziehung treten darf und ihn persönlich als "mein Jesus" anreden darf.

    Das war für die damalige Zeit geradezu revolutionär. Und Bernhard hat damit einen Paradigmenwechsel in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte eingeleitet, er wird sozusagen zum Begründer der "Jesus-Frömmigkeit", die seit Bernhard von Clairvaux zum festen Bestandteil christlicher Religiosität geworden ist.

    Bernhard weiß natürlich, dass er mit dieser Vorstellung einen ganz neuen Weg einschlägt. Viele Jahrhunderte hatte man im Christentum nur mit Ehrfurcht auf Christus den Kosmokrator geschaut, der selbst am Kreuz immer nur als König dargestellt wurde. Nun setzte sich der Abt von Clairvaux dafür ein, dass man mit Jesus in eine persönliche Beziehung treten konnte. Er verstand diese "Jesus-Frömmigkeit" durchaus als ein Verhältnis von Gegenseitigkeit. Denn Liebe, so der Bernhard, kennt keine Unterwürfigkeit.

    "Ich habe gelesen, dass Gott die Zuneigung ist. Dass er die Ehre oder die Würde ist, habe ich nicht gelesen. Also wenn Gott liebt, will er nichts anderes, als wiedergeliebt werden. Ehren mag, wer starr vor Furcht ist, wer vor Bewunderung erschrickt: nichts davon trifft auf den Liebenden zu. O Amor, stürmische, heftige Liebe, du reißt Ordnungen um, missachtest das Herkommen, was immer zur Schicklichkeit und zur Vernunft gehört."

    Die Beschreibungen für die gegenseitige Liebe zwischen dem einzelnen und seiner Seele mit Gott übernimmt Bernhard überwiegend aus dem Hohen Lied des Alten Testaments. Doch während man bisher traditionell in der Braut des Hohen Liedes die Kirche gesehen hatte, die dem Liebenden, also Gott gegenübersteht, wagt Bernhard es nun, in der Seele jedes einzelnen diese Braut zu sehen. Damit wird in diesem mystischen Liebesverhältnis jeder Gläubige zur Braut Gottes. Peter Dinzelbacher:

    "Das bedeutet nicht weniger als die Verlagerung weg von der Heilsgeschichte eines Kollektivs, also dem der unzähligen Mitglieder der katholischen Kirche, hin in den Bereich der seelischen Erfahrung des einzelnen."

    Bernhard Leistung besteht also besonders darin, dass er das Verhältnis von Mensch und Gott innerhalb der christlichen Theologiegeschichte individualisiert. Das göttliche Mysterium soll sozusagen in den Menschen treten. Er schreibt dazu:

    "Jede Seele erfährt die Gottesbegegnung nach ihren Verdiensten anders. Und jede einzelne findet das Geheimnis für sich und sagt: Mein Geheimnis gehört mir."

    Bernhard von Clairvaux konzentriert sich jetzt auch auf den historischen Menschen Jesu, den jeder als "mein Jesus" anreden darf. Die Scheu vor dem vormals verehrten Weltenherrscher wird völlig überwunden, in dem Bernhard konkrete Meditationen über das Erdenleben des Heilands empfiehlt. Zum Beispiel in der Passionsbetrachtung. Denn gerade durch seine Leiden, so Bernhard, ist der Erlöser den Menschen nahe gekommen. Auf diese Weise ist auch die Passionsfrömmigkeit des späteren Jahrhunderts von Bernhard vorbereitet worden.

    Der Kirchenhistoriker Ulrich Köpf: "In der Geschichte der Christologie hat Bernhard einen tiefen Einschnitt, ja geradezu einen Umbruch bewirkt. Er hat erstmals konsequent von der seit bald tausend Jahren vorherrschenden Betrachtung des Gottmenschen Christi weggeführt zu einem Verständnis Christi, das von seiner Bedeutung für den einzelnen Gläubigen ausgeht."

    Dabei steht Bernhard zum Beispiel bei seiner Betrachtung einzelner Szenen der Bibel ganz in der Tradition seiner Zeit, in der die Heiligen Schriften nicht wörtlich, sondern durch die Allegorese ausgelegt wurden. Ulrich Köpf:

    "Danach ist der wörtliche Sinn einer Aussage nicht ihr wirklicher und letztgültiger Sinn, sondern bloß vordergründige Erscheinung. Hinter dem in Buchstaben ausgedrückten Wortlaut liegt ein tieferer und wahrer Sinn verborgen."

    Und gerade diese Wahrheit kann für Bernhard nur durch persönliche Erfahrung in der Meditation und im Gebet erschlossen werden. Damit hält er an monastischer Theologie fest. Er will die Heilige Schrift nicht erklären, sondern persönlich anwenden. Dabei geht es immer um Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis zugleich.

    Der Höhepunkt ist die mystische Vereinigung der Seele mit Gott, verstanden als eine Vorwegnahme des Zustands der Gerechten im Himmel. Diese Spiritualität Bernhards übt seit Jahrhunderten bis heute auf viele Menschen eine enorme Anziehungskraft aus.
    Doch Bernhard lebte nun keineswegs ausschließlich der Kontemplation verpflichtet zurückgezogen in seinem Kloster, immer wieder verließ er die Abgeschiedenheit von Clairvaux, um sich aktiv an kirchenpolitischen Entscheidungen zu beteiligen.

    Dazu fühlte er sich besonders herausgefordert, als schon bald einer seiner Schüler zum Papst gewählt werden sollte.