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"Berta, Berlin und Magic Bi"

Das Buch hat sich über die Jahrhunderte hinweg formal als durchaus resistent gegen Experimente erwiesen. Ein Buch ist ein Buch, es fängt vorne an, hört hinten auf und dazwischen gibt es mehr oder weniger viel Text.

Ralf Schweikart | 18.10.2003
    Aber man könnte es ja mal versuchen, zumindest mit ein bisschen Experiment. Deshalb nennt sich das Jugendbuch "Berta, Berlin und Magic Bi" des Autors Sobo und des Illustratoren-Teams Laska "Ein Comic-Roman". Ja was nun, Comic? Roman? Nein, es ist beides. Formal funktioniert das ganz einfach. Es fängt wie ein Roman an, mit Seiten voller Buchstaben. Auf Seite 12 folgt die erste Illustration, weil Hauptfigur Berta ein Zeichentalent ist und aus Langeweile vor sich hinkritzelt, am liebsten ein Strichmännchen mit Namen Magic Bi. Nach sechs weiteren Seiten Text erscheint die nächste Zeichnung, dann folgen sie immer kürzeren Abständen, auf Seite 34 mit der ersten Sprechblase. Das Wechselspiel bleibt, bis ab Seite 100 der unterbrechungsfreie Comic beginnt.

    Aber rechtfertigt die Story diesen Stilmix? "Berta, Berlin und Magic Bi" ist eine klassische Ausreißer-Geschichte. Die 15jährige Berta versauert in der Provinz bei ihren strengen Eltern, ihrem drei Jahre jüngeren Halbbruder Klette und der Lauterbacher Schinkenwurst, der einzigen nennenswerten Attraktion vor Ort. Bis sie sich eines Tages nach einem Streit mit dem Stiefvater in einem Möbelwagen versteckt und das Weite sucht. Dummerweise hatte Klette die gleiche Idee, und nun sind sie beide ein Paar wider Willen. Die Reise führt sie nach Berlin, dort hilft ihnen glücklicherweise das Straßenmädchen Jule. Sie finden Unterschlupf in einem Abbruchhaus, lernen darin seltsame Menschen kennen und die beiden Mädchen geraten sogar mitten hinein in einen Raubüberfall auf ein Lottogeschäft.

    Eine Provinzblume kommt also in die Großstadt Berlin. Da werden Erinnerungen wach an die Vorabendserie "Berlin, Berlin". Darin reiste das Mädchen Lolle ihrem Freund nach Berlin hinterher und blieb hängen. Ohne Freund, aber mit vielen neuen Freunden und einer flippigen Freundin. Und, siehe da, es gibt auch eine formale Parallele: In die Handlung von "Berlin, Berlin" integriert sind kleine Zeichentrickfilme mit einer stilisierten Lolle. Sie darf emotional auszuleben, was der realen Lolle nicht erlaubt ist.

    Von dieser durchaus einleuchtenden Funktionalisierung der Comicelemente ist "Berta, Berlin und Magic Bi" weit entfernt. Denn der Berliner Kinder- und Jugendbuchautor Sobo Swobodnik, kurz Sobo, erzählt beileibe keine comicreife, sondern höchstens eine durchschnittliche Geschichte mit vielen Dialogen. Deshalb ist es eher die Absicht, die die Mittel heiligt. Weder der Erzählton noch das Sujet verändert sich mit Zunahme der Bildelemente, sondern die Ausreißer-Geschichte mündet nach einem Italienausflug ganz konventionell in ein Happyend mit Familie und Schinkenwurst.

    Das Illustratorenduo Laska, das sind die Münchner Elke Reinhart und Gerhard Schlegel, machen durchaus bemerkenswerte Comics, zum Beispiel beim etablierten Comic-Verlag Edition 52. Doch dieser Comic ist mit seinen austauschbaren Typisierungen sehr glatt geraten. Auch die Geschichte selbst, die ja im Ansatz etwas durchaus karikaturesk Überzeichnetes hat mit der Wurst-Hochburg und der Beschreibung von Bertas kleinem Bruder Klette, bleibt auf dieser Oberflächlichkeit. Als hätte er sich nicht recht entscheiden können, wird der Tonfall Sobos immer wieder betulich, verwackelt die Perspektive und treffen Figuren und Sprache nicht passgenau aufeinander. Darüber geraten die Passagen ins Hintertreffen, die durch Dialogwitz und sich überschlagende Ereignisse durchaus Spaß machen und erahnen lassen, was da im Wechselspiel von Bild und Text alles möglich gewesen wäre. So bleibt es eben nur bei einem Versuch. Na dann, bis zum nächsten Experiment.

    Sobo & Laska: Berta, Berlin und Magic Bi
    Düsseldorf: aare/Sauerländer 2003
    152 S., 10,90 Euro (ab 12)