Künstlerkollektive in Brandenburg

Einst Panzer – jetzt Bildhauer

Eine Besucherin im Atelierhaus Panzerhalle in Groß Glienicke betrachtet einige Gemälde beim "Tag der offenen Ateliers" 2017.
Eine Besucherin im Atelierhaus Panzerhalle in Groß Glienicke betrachtet einige Gemälde beim "Tag der offenen Ateliers" 2017. © dpa / picture alliance / Ralf Hirschberger
Von Vanja Budde · 20.08.2018
Wenn sich Künstlergruppen bilden, wollen sie meistens zusammen kreativ sein. Oft hat diese Kooperation aber finanzielle Ursachen, denn Atelierraum wird immer teurer. In Groß Glienicke bei Potsdam haben sich Bildhauer in einer ehemaligen Panzerhalle angesiedelt.
Groß Glienicke bei Potsdam lag früher an der schwer bewachten deutsch-deutschen Grenze. Die idyllischen Badeseen waren damals Teil des Todesstreifens rund um West-Berlin. Und wo heute teure Stadtvillen zu verkaufen sind, stand früher eine der wichtigen Grenzschutz-Kasernen der DDR – mit einer Panzerhalle, in die nach der Wende Künstler einzogen. Bis ein Investor die Halle 2007 abriss. Einige der Künstler blieben in der Nachbarschaft, bekamen von der Stadt Potsdam ein Ausweichdomizil gleich nebenan: Das "Neue Atelierhaus Panzerhalle" in einem Seitengebäude der ehemaligen Kaserne. 22 Mieter sind sie dort mittlerweile wieder. Bildhauerin Birgit Cauer ist eine von ihnen:
"Das Schöne ist, dass man in Austausch kommt mit dem Stein. Man braucht keine Kraft. Man braucht Kraft, wenn man festhält. Dann ist es sehr anstrengend. Die Werkzeuge habe ich ganz locker in der Hand und es geht eigentlich eher darum, dass ich den Fäustler drauffallen lasse und dann gibt’s einen Rückstoß und dann bin ich schon halb wieder oben, kann den Fäustler erneut fallen lassen. Ich muss gar nicht viel arbeiten, sondern die Dinge arbeiten für mich. Das ist eine ganz wesentliche Grunderfahrung: Ich muss gar nicht viel machen, ich muss es nur zulassen."
Die Mitglieder der Ateliergemeinschaft teilen sich 1300 Quadratmeter in der ehemaligen Kaserne. Das Gebäude hat auch schon als Schule gedient. Die Räume sind groß und hell, mit Fenstern ins Grüne. Potsdam ist nah, dennoch ist die Miete auch nach einer kräftigen Erhöhung noch bezahlbar. Trotzdem trauert Cauer dem alten Domizil aus den wilden Nachwende-Jahren ein wenig nach:
"Ich bin in der Panzerhalle seit 2004, da war noch die alte Panzerhalle. Und ich bin hierhergegangen, weil ich den Ort so toll fand. Wir sind mit den Autos reingefahren in die große Halle, rückwärts ans Atelier dran – das war toll! Also für Bildhauer ein Eldorado. Das waren ganz andere Dimensionen."
50 Meter lang, zwölf Meter breit, acht Meter hoch: Ein gigantisches Gemeinschaftsatelier. Gegründet von Bettina Schilling, die ein paar Türen weiter an Collagen und Rauminstallationen arbeitet. 1992 hatte sie das frühere Kasernengelände der DDR-Grenztruppen entdeckt. Die Kolonie wuchs schnell auf 20 Mitglieder. Alljährliche Gemeinschaftsausstellungen lockten viele Neugierige in den Kiefernwald von Groß Glienicke, machen die Künstlergruppe über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus bekannt.

Wölfe kommen über die Lange Brücke

"Wir machen das immer noch, aber wir sind jetzt flexibler, wir gehen jetzt nach Potsdam, wir gehen jetzt überall hin. Letztes Jahr haben wir ein großes Projekt gemacht hier im Garten, auch mit den Flüchtlingen zusammen und es ergibt sich immer wieder was Neues."
Die Flüchtlinge wohnen nebenan: Ein Teil der ehemaligen Kaserne dient ihnen als Unterkunft. Mit diesen Nachbarn laufen auch heute noch gemeinsame Aktionen, doch jede Künstlerin und jeder Künstler arbeitet auch für sich allein an eigenen Projekten. Über Bettina Schillings Wand trabt ein Rudel lebensgroßer, mit einem Teppichmesser ausgeschnittener Wölfe. Ein Symbol für das misstrauisch beäugte Fremde: "Das ist auf der Langen Brücke in Potsdam ... und die Wölfe kommen vom Bahnhof und gehen in den Landtag. Das ist so ein Bodenbelag. In letzter Zeit arbeite ich viel auf Bodenbeläge, das ist dann auch wasserdicht. Und hinten sind die befestigt mit so einem Styropor."
Auch Michael M. Heyers gehört zum Urgestein des Kollektivs. Er macht Skulpturen, Installationen und Wandobjekte, sein großes Thema ist der Kreis: "Hier im Atelierhaus sind knapp zwei Dutzend Künstler, die alle in unterschiedliche Richtungen arbeiten. Das Gespräch untereinander ist sehr befruchtend und Sie holten mich ja gerade von meinem Kollegen nebenan, der demnächst eine Ausstellung hat und logistische Probleme hat – und da redet man dann drüber. Der kam rüber und sagt: 'Kannst du mir helfen?' Das ist eben eine Sache und Netzwerke sind immer gut, um sich irgendwo zu behaupten."
Die Förderung für große Ausstellungsprojekte zum Beispiel ist als gemeinnütziger Verein einfacher zu stemmen. Gemeinsam kann man auch den Raum für die Kunst besser gegen Begehrlichkeiten verteidigen, sagt die Bildhauerin Birgit Cauer: "Wir sind ja eigentlich hier, um unsere eigene Arbeit zu machen. Das ist ja das Wichtigste. Ja, wir wollen arbeiten in unserem Raum, der soll möglichst sicher sein, möglichst günstig sein (lacht), am besten unkündbar und ja, das ist das, was wir brauchen, eigentlich einen sicheren Arbeitsplatz."

Immer mehr Berliner suchen hier ein Atelier

Das "Neue Atelierhaus Panzerhalle" habe nach all den Jahren einen anerkannt guten Ruf und sei so bekannt, dass die Gruppe nicht einfach nolens volens auf die Straße gesetzt werden könne. Den Schutz des Schwarms in der Brandenburger Provinz suchen mittlerweile auch Künstler aus Berlin, wo der Druck der Immobilieninvestoren auf die Kreativen stetig steigt:
"Wir haben jetzt sogar einen UdK-Professor hier seit Neuestem, der keinen Raum mehr gefunden hat, das wäre vor zwei, drei Jahren undenkbar gewesen, der wäre nie hier rausgekommen, um sein Atelier hier zu haben. Aber mittlerweile: Die finden einfach nichts mehr und dann ziehen eben Leute auch in Erwägung, auch aus Neukölln oder so hierher zu kommen."
Von den Neuen wird erwartet, dass sie sich nicht nur für die eigene Kunst, sondern auch für die Gemeinschaft und deren Ausstellungsprojekte engagieren. 22 Individualisten mit eigenen Zielen und eigenem Ehrgeiz, ein Publikum zu finden, müssen dann an einem Strang ziehen: Eine Herausforderung, bestätigt Gründerin Bettina Schilling:
"Ja, das ist: Da kann man sich in Toleranz üben. (lacht) Aber das kriegen wir schon hin. Wir machen regelmäßig ein Treffen, also eine Art Jour fixe einmal im Monat. Und es ist natürlich auch freigestellt zu kommen oder nicht zu kommen, aber es wird schon erwartet, dass man kommt, weil man sich dann in die Auseinandersetzung auch einbringt."
Schloss Wiepersdorf war der Landsitz von Bettina und Achim von Arnim, heute ist es ein Künstlerhaus.
Schloss Wiepersdorf war der Landsitz von Bettina und Achim von Arnim.© Imago / Rainer Weisflog
Rot, braun und gelb liegen die Blätter zuhauf im Park von Schloss Wiepersdorf. Goldenes Herbstlicht, blauer Himmel: Wer hier eines der begehrten Künstlerstipendien ergattert hat, schätzt sich glücklich. So wie die Malerin und Objektkünstlerin Dorothea Neumann. Sie kann zwei Monate lang im umgebauten Stall des Schlosses wohnen und sich ungestört vom Alltag ganz ihrem Werk widmen. Dorothea Neumann ist die Vorsitzende der Künstlerinnengruppe "Endmoräne".

Große Sommerwerkstatt

"Auf diesem Kunsthof im Oderbruch in Lietzen, das ist auch noch unsere Vereinsadresse, da lebte eine Künstlerin, die Erika Stürmer-Alex, und die Künstlerinnen haben schon zu DDR-Zeiten dort Workshops gemacht, Theater, Tanz. Und das hat denen so viel Freude gemacht und die haben da so viel kreatives Potenzial entwickelt, dass sie 91 gesagt haben: Wir gründen einen Verein. Weil man dann natürlich auch Fördergelder beantragen kann."
Die "Endmoräne" hat bis heute ausschließlich weibliche Mitglieder. Anders als im "Neuen Atelierhaus Panzerhalle" arbeiten die Künstlerinnen nicht an einem gemeinsamen Ort. Doch einmal im Jahr kommen sie zu einer großen Sommerwerkstatt zusammen, in verlassenen und normalerweise verschlossenen Orten in Brandenburg – in Industrieruinen, leeren Ställen und Fabriken, verwaisten Büro-Etagen und verfallenen Bahnhöfen.
"Und dann leben wir dort 14 Tage und arbeiten dann an dem Ort, zu dem Ort, zu der Geschichte des Ortes, zur Architektur des Ortes, also jede überlegt sich: 'Was mache ich?' Ja, und dann geht das los. Und wir haben ja immer Gastkünstlerinnen auch, aus allen Ländern hatten wir schon Gastkünstlerinnen."
Im vergangenen Sommer hatte die "Endmoräne" eine ehemalige Papierfabrik in Eberswalde vorübergehend zu neuem Leben erweckt: "Es waren unglaublich viele Leute aus Eberswalde da, die dort auch gearbeitet hatten. Und in Wittenberge in der Nähmaschinenfabrik war es auch so. Die kommen dann zwischendurch, erzählen uns auch, wie das Leben war, wie die Arbeit war usw. Ja, und das ist auch ein Grund mit, weshalb wir das machen, aber natürlich der Hauptgrund ist, da wir ja Künstlerinnen sind: Wir wollen Kunst machen. Und da man ja an diesen Orten eine Kunst machen kann, die man sonst nirgends machen kann, also Installationen, Video, Objekt, Performance undsoweiter, ja, wollen wir das einfach machen."

Es riecht nach Klebstoff

In ihrem Atelier in Schloss Wiepersorf arbeitet Neumann über die Dichterin und Schriftstellerin Eva Strittmatter. Sie benutzt gerne Fundstücke und fertigt hier Bilder aus Scherben vom Glas der Frühbeete der ehemaligen Gärtnerei des Schlosses. Im Atelier riecht es stark nach Klebstoff.
"Das habe ich dann gewaschen und habe das dann verarbeitet. Das hat mich inspiriert, weil, Eva Strittmatter spricht von einem 'Schneemond' oder einem 'Eismond'."
Die 25 Künstlerinnen der "Endmoräne" wollen keine Männer aufnehmen, nicht aus Prinzip, sondern weil sie seit vielen Jahren so gut miteinander klarkommen, erzählt Dorothea Neumann.
"Es muss ja auch sozial harmonieren, wir müssen alle an einem Strang ziehen. Und wir wollen das einfach mit Frauen, nur Frauen. Und das funktioniert wunderbar. Es ist toll."
Obwohl jede Künstlerin nach dem eigenen Fortkommen strebt, gebe es keine Konkurrenz untereinander, meint die Vorsitzende der Gruppe. Das sehen auch die Mitglieder der "Panzerhalle" so. Wohl aber gebe es Meinungsverschiedenheiten und Konflikte, berichtet Gründerin Bettina Schilling:
"Es wäre auch falsch, wenn alles so Friede, Freude, Eierkuchen wäre, sondern es braucht auch diesen Kontrast miteinander. Und wir sind keine homogene Gruppe jetzt im künstlerischen Sinne, sondern jeder hat auch so seine eigenen Interessen, aber das ist auch das Spannende. Und nicht so sein wollen wie der oder schlechter oder besser, diese Merkmale, das ist irgendwie unter Profis kein Argument."
Im Gegenteil seien die Gedanken und künstlerischen Ansätze der Anderen eine Bereicherung, sagt die Bildhauerin Birgit Cauer. Und eine Inspiration auch für das eigene Schaffen.
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