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Berufsausbildung
"Wir brauchen eine breitere Ausrichtung"

Eine spezifische Berufsausbildung erleichtert zwar den Eintritt in den Arbeitsmarkt. Danach verschlechtern sich allerdings die Chancen, wenn die Lehre zu eng auf einen Berufszweig zugeschnitten ist. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo. Frühe Spezifizierung müsse daher verringert werden, sagte Studienleiter Ludger Wößmann im DLF.

Ludger Wößmann im Gespräch mit Kate Maleike | 13.10.2016
    Azubis feilen im Qualifizierungszentrum von VW Kassel in Baunatal an der Werkbank.
    Je spezifischer die Ausbildung, desto größer die Gefahr, in späteren Jahren keinen Job zu finden. So das Ergebnis der Ifo Studie. (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Kate Maleike: Das ifo Institut in München zählt zu einem der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Europa und am dortigen Zentrum für Bildungsökonomik ist jetzt eine Studie durchgeführt worden, die zeigt, dass Menschen mit einer berufsspezifischen Ausbildung in jungen Jahren gute Beschäftigungschancen haben, die Gefahr, die Arbeit zu verlieren, aber steigt, wenn diese spezifischen Kompetenzen im Laufe der Zeit durch technischen oder strukturellen Wandel nicht mehr nachgefragt werden. Das klingt vielleicht etwas abstrakt, aber für Professor Ludger Wößmann, den Leiter der Studie, ergibt sich daraus großer Handlungsbedarf für unsere Berufsausbildung hier in Deutschland. Guten Tag, Herr Wößmann!
    Ludger Wößmann: Guten Tag!
    Maleike: Bevor wir zu den Konsequenzen kommen, erst mal zur Studie selbst! Was haben Sie konkret herausgefunden?
    Wößmann: Ja, wir haben uns für verschiedene Länder angeschaut in der PIAAC-Studie, das ist das sogenannte Erwachsenen-PISA, wo Erwachsene in verschiedenen Ländern auf ihre Bildung getestet werden, wie der Unterschied in den Beschäftigungsmöglichkeiten ist zwischen Leuten, die eine berufsspezifische Ausbildung gemacht haben, und Leuten, die halt eine allgemeinere Ausbildungsprogramme durchlaufen haben. In Deutschland kennen wir das ja sehr gut, wir haben das duale Ausbildungssystem, wo man eben gleichzeitig in einem Betrieb konkret auf den Beruf vorbereitet wird und dann eben zur Berufsschule geht und dort auch sehr konkrete berufsspezifische Kompetenzen erwirbt. Und im Gegensatz dazu gibt es viele Länder, die haben so was eigentlich gar nicht, sondern da lernt man in allgemeinbildenden Schulen und springt dann quasi auf den Arbeitsmarkt. Und das Problem daran ist, dann ist man nicht sehr gut auf einen einzelnen Beruf vorbereitet und häufig gelingt dann der Übertritt in die Arbeitswelt nicht so gut. Und das ist der positive Aspekt der Berufsausbildung, wie wir sie kennen, dass sie es nämlich erleichtert, direkt in den Arbeitsmarkt zu kommen.
    Studie untersucht spezifische und allgemeine Ausbildung
    Maleike: Genau, das wird ja auch von den Arbeitgebern immer wieder im Moment auch als positives Beispiel für die Berufsausbildung angeführt, dass es wunderbare Beschäftigungschancen gibt. Aber im späteren Lebensverlauf wird es dann schwierig, so zumindest sagen Sie das, durch diese Studie auch belegt. 16 Länder sind da ja beforscht worden. Jetzt kann man verstehen, dass da vielleicht, sagen wir mal, bestimmte Berufsbilder, wenn sie aus der Arbeitswelt verschwinden, dann auch in der Ausbildung schwierig werden oder für die Menschen, die dahingehend spezifisch ausgebildet sind. Nehme ich jetzt mal aber ein Beispiel aus der akademischen Welt, also der Kernkraftwerksingenieur oder so, der wird ja vielleicht in Zukunft dann nur noch rückbauen aber sicherlich auch nicht mehr so viele Berufschancen haben?
    Wößmann: Genau, richtig. Es geht hierbei eben auch nicht darum, ob man sozusagen nur eine mittlere Reife und dann eben die entsprechende Berufsausbildung macht oder eben eine höhere Ausbildung macht. Das heißt, ob man zur Universität geht oder nicht. Also, sowohl an der Universität oder Hochschule können Sie relativ berufsspezifische Programme durchlaufen oder allgemeinere, und Sie können in gewisser Weise, wobei es das in Deutschland nicht so sehr gibt, aber eben auch im Bereich dessen sozusagen in der Dauer einer normalen Berufsausbildung stattdessen zum Beispiel einfach nur die Highschool abschließen und damit dann auf den Arbeitsmarkt gehen, wo Sie auch allgemeinere Kompetenzen erworben haben. Und in unserer Studie geht es genau um diesen Unterschied zwischen der berufsspezifischen Ausbildung und der allgemeinen Ausbildung, hat nicht in erster Linie was mit der Dauer der insgesamten Bildungszeit zu tun.
    Fazit: Berufsausbildung muss breiter ausgerichtet werden
    Maleike: Kommen wir doch da mal zu den Konsequenzen, die ich anfangs angesprochen hatte. Was heißt denn das dann für das deutsche Ausbildungssystem, wie muss es jetzt reagieren aus Ihrer Sicht?
    Wößmann: Ich glaube, es ist eben besonders wichtig, dass wir nicht nur daran denken, sozusagen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen, sondern eben auch in den Blick zu nehmen, dass den jungen Menschen Kompetenzen vermittelt werden müssen, die sie über ihr gesamtes Berufsleben werden nutzen können. Und das heißt vor allem, dass wir eben diese sehr frühe Spezialisierung der Auszubildenden verringern müssen, wir jetzt einfach die Bildung in dem Bereich breiter ausrichten müssen.
    Das heißt, ein erster, ganz offensichtlicher Punkt ist: Wir haben extrem viele Ausbildungsberufe in Deutschland, weit über 300, andere Länder, die auch ein ausgeprägtes berufliches Bildungssystem haben wie die Schweiz zum Beispiel, haben weit weniger als die Hälfte davon. Es gibt bei uns zum Beispiel 30 verschiedene kaufmännische Ausbildungsberufe. Also, es gibt den Kaufmann oder Kauffrau für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen oder einen Kauffrau/Kaufmann für Spedition- und Logistikunternehmen. Und es fällt diesen Menschen dann nachher sehr schwer, in andere Branchen zu wechseln.
    In der Schweiz hat man es zum Beispiel so gemacht, dass die ersten zwei Jahre der kaufmännischen Ausbildung es nur eine einzige gibt, das ist bei allen gleich, und im dritten Jahr kann man sich dann spezialisieren. Das würde dazu führen, dass man später möglicherweise sich leichter in andere Branchen umorientieren kann. Darüber hinaus müssen wir eben auch darüber nachdenken, dass eben wir letztendlich den allgemeinbildenden Anteil an Ausbildungsinhalten an den Berufsschulen stärken sollten. Möglicherweise hilft dabei auch so eine Modularisierung.
    Da gibt es einzelne Module, die in den verschiedenen Ausbildungsberufen genutzt werden und darüber ich dann eben gleichzeitig auch zumindest ein breiteres Berufsfeld schon mal kennengelernt habe. Und nicht zuletzt bedeutet das Ganze natürlich, dass wir gerade im Bereich der beruflichen Bildung dann die lebenslange Weiterbildung stärken müssen, dass wir eben die Menschen immer wieder fit machen müssen, dass sie auch weiterhin sozusagen kompetent in ihrem Arbeitsmarkt nachgefragt werden, anlernen können. Wir sehen nämlich, dass gerade Menschen, die durch die duale Berufsausbildung in Deutschland gegangen sind, relativ wenig Weiterbildung im Vergleich zum Beispiel zu Akademikern machen.
    Betriebe wollen bislang mehrheitlich spezifische Ausbildung
    Maleike: Das sind, Herr Wößmann, ziemlich dicke Bretter, die Sie dann da bohren müssen, weil natürlich allein die Reduzierung der Ausbildungsberufe ein sehr ernsthaftes Thema ist. Welches Signal sehen Sie, dass sich das, was Sie fordern, also die ich sage mal Entspezialisierung, die etwas generalistische Ausbildung in … zum Beispiel im kaufmännischen Beruf, dass das kommen kann?
    Wößmann: Ja, das ist sicherlich recht schwierig, es ist auch wichtig, sich bewusst zu machen, dass hier die Interessenlagen der einzelnen Betriebe und Unternehmen möglicherweise nicht dieselben sind wie die Interessen jedes einzelnen Auszubildenden, zumindest über die lange Frist. Also, als Betrieb möchte ich, dass jemand ganz konkret für das, was ich heute und jetzt brauche, ausgebildet ist. Und eigentlich ist es dem Betrieb relativ egal, ob das in 20 oder 30 Jahren noch nützlich ist, weil, so weit braucht man gar nicht denken, möglicherweise ist der Azubi dann längst woanders.
    Aber es geht hier darum, die einzelnen Menschen für ihr Leben lang fit zu machen für den Arbeitsmarkt. Das heißt, man muss da sicherlich ein bisschen anders denken. Es ist ganz interessant und wo eine gewisse Hoffnung herkommt, dass man in einigen der großen Unternehmen genau diesen Aspekt aber sieht und man sieht, dass sie merken, wenn Sie sich zum Beispiel einen Autobauer wie BMW anschauen, sie wissen, die Menschen, die bei ihnen als Azubis reinkommen, die werden den wahrscheinlichen Großteil ihres Erwerbslebens bei ihnen bleiben. Und deswegen denken die aktiv darüber nach: Wie können wir die fit machen langfristig?
    Und deswegen legen gerade die intern viele der Ausbildungsberufe zusammen und sagen eben gerade in den ersten ein, zwei Jahren: Nein, wir wollen die nicht ganz speziell ausbilden, sondern verbreitern das und bilden die aus für verschiedenste Anwendungsfälle. Das sind genau diese Zeichen dessen, was wir in unserer Studie auch finden, dass wir, wenn wir längerfristig denken, die Leute breiter fit machen müssen.
    Maleike: Ausbildung Generale sozusagen.
    Wößmann: Richtig.
    Maleike: Danke für die Information! Dr. Ludger Wößmann war das, der Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik in München. Und sein Institut hat eine neue Studie vorgelegt, die zeigt, wann eine spezifische Berufsausbildung zum Nachteil wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.