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Berufsleben als Teambesprechung

Ob bei der Berliner Stadtreinigung, in der JVA Lingen oder bei der 14. Panzerdivision der Bundeswehr in Neubrandenburg: Besprechungen laufen formelhaft und standardisiert ab. Regisseur Stefan Landorf zeigt das in seinen zwei Filmen "Besprechung" und "Aufnahme".

Von Josef Schnelle | 11.06.2011
    Die Filmkamera ist ein magischer Gegenstand. Sie kann Dinge zeigen, die normalerweise nicht sichtbar sind. Winzige Details, versteckte Reaktionen, lediglich angedeutetes Lächeln. Außerdem hat die Kamera analytische Qualitäten. Über das bloße Protokollieren hinaus kann sie Strukturen sichtbar machen. Und wenn dann noch eine kreative Montage hinzukommt, dann können Dokumentarfilme sein wie wissenschaftliche Arbeiten. Solche Filme dreht beispielsweise der Berliner Regisseur Harun Farocki, der zuletzt Verhandlungen von Finanzmanagern zeigte. Einer ähnlich kühlen und akribischen Arbeitsmethode hat sich aber nun auch Stefan Landorf verschrieben. Sein Film "Besprechung" beschäftigt sich mit ebenjenem Ritual, das die Arbeitswelt der Menschen zu strukturieren scheint. Am Anfang schieben Schauspieler farbige Flächen hin und her und zelebrieren genüsslich Standardsätze einer x-beliebigen Besprechung so herausgelöst aus ihrem Zusammenhang, dass man sie sich sozusagen auf der Zunge zergehen lassen kann:

    "Also ich denke nicht, dass unser Monitoring das Monitoring des Partners ersetzen sollte. Das auf keinen Fall."

    Nach dieser Einleitung geht es tatsächlich in Besprechungen zum Beispiel der Berliner Stadtreinigung, der Justizvollzugsanstalt Lingen, dem medizinischen Dienstleister Glaxo Smith Kline in München oder bei der 14. Panzerdivision der Bundeswehr in Neubrandenburg. Das formelhafte, formelle, ganz gleich mit welchem Gegenstand sich die konkrete Besprechung befasst, wird deutlich. Landorf gönnt uns aber auch einen Augenblick der Stille in Besprechungsräumen, die mit ihrer Standardbestuhlung und einer leeren großen Tischfläche eine ganz besondere Kälte ausstrahlen. Bevor er Filmemacher wurde war Stefan Landorf Arzt. Vielleicht daher der kalte analytische Blick auf die Dinge. Seinen ersten Langfilm drehte er noch im Krankenhaus. Der Film "Aufnahme", gedreht 2001, kommt nun im Windschatten des Films "Besprechung" ebenfalls ins Kino. Er ist noch näher am normalen beobachtenden Dokumentarfilm. Ohne jeden Kommentarton wird in Szenen und Beobachtungen die Alltagswirklichkeit eines Krankenhauses wiedergegeben. Auch hier gibt es natürlich Besprechungen. In der folgenden Szene wird von den Neuaufnahmen in der Nacht zuvor berichtet. Der Chefarzt äußert sich dazu. In diesem Fall ist er erstaunt über die Hirnaufnahme einer Patientin:

    "Das hab ich aus Büchern gesehen aber in echt noch nicht. Also die war nicht bewusstseinsgetrübt." - "Die war so stark... Also ich hab das als Minderbegabung interpretiert, weil sie die Fragen gar nicht adäquat beantworten konnte. " - "Das ist ja nur ein schmaler Saum von Cerebrum unter der Kalotte."

    Der Doppelsinn des Filmtitels "Aufnahme", der das Aufnahmegespräch des Arztes ebenso meint wie die filmische Aufnahme, die sich neben den medizinischen Alltagssituationen auch der ganzen Mechanik eines Krankenhauses bis hin zur Wäscherei widmet. Der Film steht in der Tradition von John Greerson, der in den 30er-Jahren die Heringsfischerei in der Nordsee und die Funktionsweise der britischen Post beschrieb.

    Mit "Besprechung" geht Landorf noch einen Schritt weiter in der Abstraktion des filmischen Erzählens. Der Film soll gar nicht mehr ein konkretes Geschehen abbilden. Er beschäftigt sich mit Kommunikationsmechanismen, Sprachhülsen, Sprechhaltungen und den kleinen Binnendramen einer Sitzung. Bei der Bundeswehr wird anders gesprochen als bei der Kinderhilfe. Einige Rituale sind allerdings immer gleich. Am Ende seines Filmes versammelt Landorf die Schauspieler des Anfangs an einem Tisch und lässt sie mit unterschiedlichem Tonfall noch einmal Kernsätze der Besprechungsrituale nacharbeiten, ganz so als sei das Leben eine einzige lange Besprechung in der wir uns stets selbst inszenieren.

    "Also wir haben jetzt schon sechs Tops." - "Also wenn man das jetzt so verbleibt, dass wir das in der nächsten Referatssitzung diskutieren." - "Wollt ich auch grad sagen: wir machen's jetzt auf Wiedervorlage." "Gibt's Nachbrenner? - Wenn nicht, dann wünsch ich eine arbeitsreiche Woche. Herzlichen Dank."