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Besatzungskinder
Väter gesucht

Etwa eine Viertelmillion Kinder wurden von Soldaten aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Russsland in der Nachkriegszeit in Deutschland gezeugt. Viele suchen ihre Väter bis heute. Niels Zussblatt, Archivar im "National Personnel Records Center" in den USA, ist oft letzte Anlaufstelle: Doch auch er kann nicht immer helfen.

Von Anja Nehls | 23.10.2017
    Undatierte Aufnahme: Auf dem Schulhof unterhalten sich zwei Besatzungskinder mit ihren Schulkameraden
    Undatierte Aufnahme: Auf dem Schulhof unterhalten sich zwei Besatzungskinder mit ihren Schulkameraden (dpa Koll)
    Drei Frauen stehen am Kuchenbuffet im Berliner Alliertenmuseum und können gar nicht mehr aufhören, sich gegenseitig ihre Geschichte zu erzählen. Es geht um ihren Vater: "Ja, die haben ihn alle gekannt. Die Mama wollte ihm eine Geburtsurkunde ihm geben, damit er mich anmelden kann, dass er der Vater war, dann hat er weggemusst. Ja, wenn ein Kind kam, dann waren die alle weg. Das war die große Liebe, ich habe Hunderte von Briefen daheim, die die sich hin und hergeschickt haben."
    Die drei stammen aus Bayern und Baden-Württemberg, sind zwischen 62 und 70 Jahre alt und dunkelhäutig. "Brown Babies", wie sie sich selber nennen, denn ihr Vater war ein schwarzer amerikanischer Soldat: "Bei uns ist nichts verschweigen worden. Weil Du kannst ja nichts verschweigen, weil wir ja dunkel sind. Wir tragen es wie eine Visitenkarte vor uns her. Wir können das ja nicht verleugnen."
    "Von Scham besetzt"
    Circa 250.000 Kinder wurden von Soldaten in der Nachkriegszeit in Deutschland gezeugt. Von Amerikanern, Briten, Franzosen und Russen - während der Zeit der Besatzung, aber auch noch danach, als aus den Besatzungsmächten die Schutzmächte geworden waren. Irgendwann wurden die Soldaten abgezogen und verschwanden.
    Zurück blieben Mutter und Kind. In vielen Familien war das ein Geheimnis. Dass sie die Tochter eines französischen Soldaten ist, hat Margot Jung von ihrer Mutter lange nicht erfahren: "Und es war ja auch immer sehr von Scham besetzt. Es war ein kleines katholisches Dorf und dann noch die Franzosen waren halt die Feinde. Das war eine ganze andere Zeit. Ich war ihr dann auch nicht böse. Sie hat die Schwangerschaft auch spät bemerkt, da war er schon wieder in Algier, da war ja auch Krieg und schon abgereist. Und sie hat es ihm nie gesagt. Also mein Vater wusste nichts von meiner Existenz."
    Vater unbekannt
    Und sie hat nichts von seiner Existenz gewusst, sondern Jahre lang nur geahnt: "Und dann habe ich in ihrem Schrank zwei Bilder entdeckt, und dann habe ich gedacht: Das muss er sein und die habe ich mir versteckt. Aber sie hat nie gesagt, die Bilder fehlen oder so, aber das war für mich, da hatte ich was."
    Erst 2006 gibt die Mutter der inzwischen über 50-jährigen Tochter einen kleinen Zettel mit einer Adresse. Margot Jung forscht nach, findet das Dorf, nimmt Kontakt mit der Familie auf und fährt nach Frankreich - leider war der Vater da schon fünf Jahre tot.
    "Aber ich hätte ihn sehr gerne kennengelernt - persönlich. Das muss auch ein wunderbarer Mensch gewesen sein. Ich habe ja jetzt auch viel von ihm erfahren und konnte in das Haus, wo er gelebt hat, konnte sein Schlafzimmer sehen, seinen Salon daneben, wo er gelesen hat. Und das war ein ganz großes Geschenk für mich. Also ich wurde da wie die verlorene Tochter irgendwie, das war sehr, sehr schön."
    Nicht nur Erfolgsgeschichten
    Jetzt hat sie zwei französische Schwestern, eine davon war bereits zum Gegenbesuch in Berlin. Nicht alle der gut 40 im Alliiertenmuseum zusammengekommenen Besatzungskinder, wie Ute Timmerbrink sagt, können solche Erfolgsgeschichten erzählen. Timmerbrink hat nun schon zum zweiten Mal in Berlin ein Treffen organisiert. Sie selbst hat erst mit 52 Jahren erfahren, dass ihr Vater ein amerikanischer Soldat war. Auch sie hat ihn gefunden, nun hilft sie anderen bei der Suche, die ihr selber so wichtig war: "Das ist einfach die Frage nach der Identität, zu wissen, wer ist mein Vater, wo ist die andere Hälfte in meinem Leben."
    Kaum Chancen bei russischen Vätern
    Die Spurensuche führt allerdings weit seltener nach Frankreich, Großbritannien oder Russland, sondern weitaus häufiger in die USA: "Die Franzosen und die Briten waren selber vom Krieg enorm betroffen, in der Nachkriegszeit ging es denen sehr sehr schlecht. Die Amerikaner kamen hierher in einer viel größeren Zahl und sie waren ganz anders motiviert und die waren offen, 'open heart'. Und die wollten mit jungen Mädchen auch Kontakt haben. Und das fiel ihnen auch insofern leicht, weil sie ja auch ganz anders ausgestattet waren, als die Franzosen, Russen, Engländer."
    Wer nach einem russischen Vater sucht hat, kaum eine Chance, so Ute Timmerbrink. Auch in England und Frankreich gibt es wenig Unterstützung von offiziellen Stellen und Archiven. In den USA aber gibt es Niels Zussblatt aus St.Louis: Archivar im "National Personnel Records Center", in dem 55 Mio. Militärakten aller ehemaligen Angehörigen der Army aufbewahrt werden.
    "Brief schreiben, anrufen oder einfach anklopfen"
    Wer wenigstens den Namen des Soldatenvaters weiß, hat gute Chancen, dass Niels Zussblatt fündig wird. Er liefert dann Geburtsdatum, Einsatzorte und -zeiten, Namen der möglichen Ehefrau, der Kinder, Auszeichnungen, notfalls auch das Todesdatum und den Ort der Beerdigung - nur die genaue Adresse gibt es aus Datenschutzgründen nicht: "Wenn es jemand ist, der in den 1980ern in Deutschland gedient hat, dann ist der wahrscheinlich noch am Leben -und wenn der Name nicht sehr häufig ist und man weiß , dass er z.B. aus Chicago stammt und im Internet einen findet mit dem gleiche Namen und dem gleichen Geburtsjahr. Ja, dann kann man einen Brief schreiben oder anrufen oder hinfahren und einfach anklopfen."
    1800 Anfragen hatte Nils Zussblatt im vergangenen Jahr. Die meisten bekommen allerdings trotz seiner Informationen keinen Kontakt zu ihrem Vater:
    Die anderen motivieren
    Der 57-jährige Stefan Jung - nicht verwandt mit Margot Jung - will noch nicht aufgeben. Er kennt inzwischen die Adresse seines mutmaßlichen Vaters in Ohio. Er hat einen Brief geschrieben, aber niemand hat sich gemeldet. Hingefahren ist er bis jetzt nicht: "Also ich möchte nicht so vor der Tür stehen und mal klopfen. Ich weiß nicht, ich fände das auch ihm gegenüber nicht fair, weil ich denke, das wäre so eine Überrumpelungstaktik, das passt nicht. Was irritierend ist, ist, dass die Briefe auch nicht zurückkommen, also man kriegt keine Antwort und ja.
    Enttäuschend, aber kein Drama, weil er in Deutschland eine liebevolle Familie habe, so Stefan Jung. Vielleicht ist es ja auch nicht der richtige Vater, es gibt noch einen zweiten Mann in Ohio mit dem gleichen Namen. Das Treffen mit den anderen Besatzungskindern hat Jung motiviert, doch noch ein bisschen weiterzusuchen: "Ich würde es gerne wissen, ich würde ihn gerne kennenlernen, aber es ist nicht existenzbedrohend."