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Beschäftigung
"Der Mindestlohn ist kein Hemmnis"

Zu Beginn des neuen Jahres ist der gesetzliche Mindestlohn auf 8,84 Euro gestiegen. Zwei Jahre nach seiner Einführung habe der Mindestlohn zu einer besseren Beschäftigungslage und mehr Beschäftigten geführt, sagte DGB-Vorstand Stefan Körzell im DLF. Zugleich forderte er, die Finanzkontrolle müsse bei Schwarzarbeit härter durchgreifen.

Stefan Körzell im Gespräch mit Doris Simon | 02.01.2017
    Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des DGB, während der Jahresauftakt-Pressekonferenz des DGB
    Stefan Körzell, DGB-Vorstand und Mitglied der Mindestlohnkommission (imago / Jürgen Heinrich)
    "Wir fordern eine Aufstockung auf bis zu 10.000 Kontrolleure", sagte Körzell - DGB-Vorstand und Mitglied der Mindestlohn-Kommission - im Deutschlandfunk. Im Rahmen der Einführung des Mindestlohns seien 1.600 zusätzliche Stellen bei der "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" zugesagt worden, die beim Zoll angesiedelt ist. "Das reicht nicht", so Körzell. Millionen müssten zusätzlich kontrolliert werden, das sei nicht zu schaffen. Die Arbeitgeber müssten merken, dass der Gesetzgeber genau hinsehe.
    Die Erhöhung des Mindestlohns zu Jahresbeginn von 8,50 auf 8,84 Euro mache eine Lohnerhöhung von vier Prozent aus, erläuterte der Gewerkschafter. Das könne sich sehen lassen. Im Schnitt habe die Lohnerhöhung im vergangenen Jahr bei 2,5 Prozent gelegen. "Wir haben eine bessere Beschäftigungslage, mehr Beschäftigte, der Mindestlohn ist kein Hemmnis", meinte Körzell.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Für viele ist es eine sehr gute Nachricht. Der Mindestlohn in Deutschland ist mit Beginn des neuen Jahres gestiegen. 8,84 Euro, das sind 34 Cent mehr als bisher, bekommen Arbeitnehmer, die nur den Mindestlohn erhalten. Vollzeit sind das auf den Monat gerechnet etwa 55 Euro mehr. Die 34 Cent in diesem Jahr, das ist die erste Erhöhung des Mindestlohns, seit er vor zwei Jahren eingeführt wurde. Und dazu beigetragen hat auch Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er ist Mitglied der Mindestlohnkommission von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern und jetzt am Telefon. Gutes neues Jahr und guten Morgen, Herr Körzell!
    "Die Erhöhung kann sich sehen lassen"
    Stefan Körzell: Ihnen auch ein gutes neues Jahr. Schönen guten Morgen!
    Simon: 34 Cent mehr Mindestlohn pro Stunde. Wie gesagt, das ist ja schon mal was, aber es klingt doch nach vergleichsweise wenig, wenn man an einige Abschlüsse in den letzten Jahren denkt.
    Körzell: Man muss sehen, 34 Cent macht vier Prozent Lohnerhöhung aus, und wir hatten im Schnitt im vergangenen Jahr Lohnerhöhungen in der Bundesrepublik von 2,5 Prozent. Von daher, denke ich, kann sich die Erhöhung sehen lassen.
    Simon: Aber wir haben – das ist ja jetzt für zwei Jahre.
    Körzell: Ja, aber wir haben auch viele Tarifabschlüsse in der Industrie und auch in der Dienstleistung, die mittlerweile für zwei Jahre abgeschlossen werden, und das haben wir jetzt hier in der Mindestlohnkommission auch widergespiegelt für den Mindestlohn.
    Simon: Nach zwei Jahren Mindestlohn kommt der Arbeitgeberpräsident zu dem Schluss, der Mindestlohn erschwere den Sprung in die Beschäftigung.
    "Der Mindestlohn ist kein Hemmnis"
    Körzell: Das ist etwas, das erschließt sich mir nicht. Das ist auch ein Geheimnis von Herrn Kramer. Wir haben eine bessere Beschäftigungslage, wir haben 700.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mehr. Der Mindestlohn ist kein Hemmnis, wir sehen an anderer Stelle, dass Ausnahmen zum Beispiel für Langzeitarbeitslose nicht das bewirken, was die Arbeitgeber immer gesagt haben: Wenn der Mindestlohn für Langzeitarbeitslose ausgesetzt wird, dann kommen sie besser in Beschäftigung. Das ist ein totes Instrument, das hat mittlerweile auch die Bundesarbeitsministerin feststellen müssen.
    Simon: Auf den Punkt kommen wir gleich. Bleiben wir noch mal gerade bei der Kritik, es werde der Sprung in die Beschäftigung insgesamt erschwert. Sie sprachen von einer besseren Beschäftigungslage, aber hätten ohne Mindestlohn nicht noch mehr Mitarbeiter eingestellt werden können?
    Körzell: Das IAB der Bundesagentur für Arbeit spricht davon, dass 60.000 Minijobs nicht geschaffen worden sind, weil es den Mindestlohn gibt. Das Mindestlohngesetz sollte aber auch verhindern, dass das Wachstum bei den Minijobs zunimmt. Und damit, muss man sagen, ist das an dieser Stelle gelungen. Und wir stellen an anderer Seite fest, dass doch viele Minijobs erstmalig in Teilzeitjobs umgewandelt worden sind. Das ist ein positives Ergebnis, gerade auch für Frauen, die sich erstmalig selbstständig Rentenversicherungsansprüche erarbeiten können.
    Simon: Herr Körzell, Sie haben eben die Langzeitarbeitslosen angesprochen. Es war ja gedacht worden, dass der Mindestlohn für die funktioniert, wenn die Hürde möglichst niedrig ist – andersherum muss ich es sagen. Die bekommen ja noch keinen Mindestlohn, weil man gesagt hat, wenn die Mindestlohn kriegen, dann werden die nicht eingestellt. Sie sagten, das funktioniert nicht.
    Körzell: Nein, das funktioniert nicht. Das hat Bundesarbeitsministerin Nahles, also die Bundesregierung auch extra untersuchen lassen in einer Extra-Erhebung, weil man hier sehr schnell wissen wollte, ob dieses Instrument zieht. Langzeiterwerbslose, die mindestens ein Jahr erwerbslos sind, können ein halbes Jahr unterhalb des Mindestlohns beschäftigt werden. Und man muss feststellen, und das ist keine Analyse des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sondern eine Regierungsanalyse aus dem Bundesarbeitsministerium, dieses Schwert ist tot, es werden keine Anträge massenhaft gestellt bei der Bundesagentur für Arbeit auf Bescheinigung der Langzeitarbeitslosigkeit, um die Ausnahme zu generieren. Hier kam es zu keinen Beschäftigungseffekten, und von daher kann das, was Herr Kramer von der BDA hier auch sagt, dass der Mindestlohn eine Schranke wäre, nicht stimmen.
    "Wir waren von Anfang an gegen Ausnahmen beim Mindestlohn"
    Simon: Heißt das für Sie umgekehrt, dass man Langzeitarbeitslosen vom ersten Moment an auch Mindestlohn zahlen sollte?
    Körzell: Ja, das haben wir immer betont. Wir waren von Anfang an gegen Ausnahmen beim Mindestlohn. Er ist die unterste Haltelinie. Darunter sollte niemand arbeiten. Dann kam diese Ausnahme hinein in das Gesetz, und man muss feststellen, sie zieht nicht.
    Simon: Aus Ihrer Sicht, in welchen Bereichen hat denn der Mindestlohn am meisten gebracht?
    Körzell: Wenn man sich mal das Gastgewerbe anschaut, das ist ja großflächig vom Mindestlohn betroffen, und dort ist sich ja von den Arbeitgebern auch am meisten gegen den Mindestlohn gewehrt worden. Hier haben wir nicht nur Lohnsteigerungen im Durchschnitt von 15 Prozent, sondern wir haben auch eine Zunahme der Beschäftigung im Gastgewerbe bundesweit von 12,7 Prozent. Das zeigt, dass der Mindestlohn nicht dazu geführt hat, dass es keine neuen Arbeitsplätze gibt, sondern dass Beschäftigung auch steigt.
    Simon: Aber Herr Körzell, gerade in der Gastronomie kommt es auch immer wieder vor, dass der Mindestlohn nicht gezahlt wird. Offiziell natürlich schon, aber tatsächlich nicht.
    Körzell: Das ist etwas, das erleben wir auch immer wieder, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich an uns wenden. Hier fordern wir, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit massiver kontrolliert, damit das Gesetz auch seine volle Wirkung entfalten kann. Dazu gibt es dort zu wenig Beschäftigte. Wir fordern eine Aufstockung der Beschäftigten bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf bis zu 10.000 Kontrolleuren, damit hier auch entsprechend durchgegriffen werden kann.
    "Millionen Arbeitnehmer und Betriebe müssen zusätzlich kontrolliert werden"
    Simon: Sie meinen die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll. Da warem, wie gesagt, in der Vergangenheit Hunderte Stellen nicht besetzt. Fehlt es denn nach Ihrer Meinung wirklich nur an den Mitarbeitern, oder auch am politischen Willen?
    Körzell: Man muss sehen, es sind ja 1.600 Stellen zugesagt worden im Rahmen der Einführung des Mindestlohns. Die Ausbildung der Menschen dauert natürlich bis 2020. Aber auch das reicht nicht. Wir müssen Millionen Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, und Betriebe müssen zusätzlich kontrolliert werden. Das ist ein solch großer Arbeitsaufwand, dass er mit zusätzlich 1.600 Beschäftigten nicht geschafft werden kann. Deswegen sagen wir, wir brauchen hier einen Aufbau bei der Beschäftigung bis zu 10.000 Beschäftigten, damit auch nachhaltig kontrolliert werden kann und die Arbeitgeber auch merken, hier guckt der Gesetzgeber danach, dass ein Gesetz, das wir gemacht haben, auch umgesetzt wird.
    Simon: Bis gestern gab es ja viele Ausnahmeübergangsregelungen, da galt der Mindestlohn nicht. Seit gestern müssen auch so notorische Niedriglohnbranchen wie Fleischindustrie, Land- und Forstwirtschaft, Großwäschereien, um nur einige zu nennen, wenigstens 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Drohen da nicht Entlassungen oder Einstellungsstopps?
    Körzell: Nein, die drohen nicht. Sie müssen auch nicht 8,50 Euro zahlen, sondern sie müssen 8,84 Euro zahlen. Es gibt nur noch eine Ausnahme, die unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegt. Das ist die der Zeitungszusteller und noch Gartenbau und Landwirtschaft und ein weiterer Bereich, aber das bedroht keine Arbeitsplätze, das hat die Vergangenheit gezeigt.
    "Der Mindestlohn ist eine untere Haltelinie"
    Simon: Auch wer Vollzeit arbeitet mit Mindestlohn, der wird als Rentner oft Grundsicherung beantragen müssen. Wird das so bleiben?
    Körzell: Ja, leider ist das so. Der Mindestlohn ist eine untere Haltelinie. Wir als Gewerkschaften wollen mit den Arbeitgebern Tarifverträge abschließen, die branchengerecht gemacht werden. Dem haben sich die Arbeitgeber seit vielen Jahren verweigert. Deshalb brauchten wir das Mindestlohngesetz. Aber wir können morgen am Tag anfangen, für alle Branchen ordentliche Tarifverträge auszuhandeln, dann wird das Mindestlohngesetz auch wieder obsolet.
    Simon: Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes und Mitglied der Mindestlohnkommission von Arbeitnehmern und Arbeitgebervertretern. Seit gestern liegt der Mindestlohn in Deutschland bei 8,84 Euro, die Ausnahmen sind weitestgehend zurückgefahren. Vielen Dank für das Interview, Herr Körzell!
    Körzell: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.