Dienstag, 19. März 2024

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Beschneidungsausstellung in Berlin
"Die Bestätigung des Bundes mit Gott"

Die Beschneidung von Jungen ist eine ebenso alte wie umstrittene Tradition. Die Ausstellung "Haut ab" in Berlin wirft nun einen theologischen Blick auf ein Ritual, das in allen drei großen Weltreligionen zu finden ist. Im Judentum stehe die Beschneidung für einen irreversiblen Bund mit Gott, erklärte die Programmmacherin Cilly Kuglemann im DLF.

Cilly Kugelmann im Gespräch mit Beatrix Novy | 23.10.2014
    Chirurgische Instrumente werden zurechtgelegt, vor einer jüdischen Beschneidungszeremonie für einen acht Tage alten Jungen, in Budapest, Ungarn, am 13 November 2011.
    2012 stufte ein Urteil des Kölner Landgerichts die Beschneidung nicht mehr als ehrwürdige Sitte ein, sondern als Körperverletzung (Bea Kallo / dpa)
    Beatrix Novy: Und jetzt kommt es auf die Betonung an. Zwei Worte: "Haut ab" oder "haut ab!". So ist der Titel einer Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin auch gemeint, doppeldeutig. Es geht um die Beschneidung, die keineswegs nur von Muslimen oder Juden praktiziert wird, und um das moderne Infragestellen eines uralten Identität stiftenden Rituals, sofern es religiös bedingt ist.
    Im Mai 2012 stufte ein Urteil des Kölner Landgerichts die Beschneidung nicht mehr als ehrwürdige Sitte ein, sondern als Körperverletzung. Ein neuer Blickwinkel also, der des individuellen Rechts gegen den des Kollektivs, war da hinzugetreten zu etwas, was bis dahin eigentlich von niemandem groß beachtet worden war.
    Viele Muslime und Juden waren provoziert, waren verunsichert, eine ausführliche Debatte war die Folge. Im Jüdischen Museum in Berlin hat man das nun genutzt für eine vertiefende Ausstellung, nicht zur Debatte, sondern zum Thema selbst. Cilly Kugelmann, die Programmleiterin des Jüdischen Museums, habe ich gefragt: Sie wollen über das Phänomen selbst informieren, auch über den Ursprung dieses Initiationsrituals. Klären Sie das auf?
    Cilly Kugelmann: Wir gehen nicht auf die anthropologischen Ursprünge der Beschneidung ein - das hat auch mit der Bedeutung im Judentum und im Islam und übrigens auch im Christentum nichts zu tun -, sondern auf den theologischen Zusammenhang, und die Beschneidung ist die Bestätigung des Bundes mit Gott. Es ist eine Bundschlussbestätigung, die am achten Tag nach der Geburt eines Knaben vollzogen wird mit diesem Schnitt, mit diesem Abschneiden eines kleinen Stücks der Vorhaut.
    Das ist sozusagen ein irreversibles Zeichen der Zugehörigkeit einmal zur Gruppe der Juden und zum anderen zur jüdischen religiösen Tradition, und nach jüdischer Auffassung wird damit die Schöpfung vollendet.
    Beschneidung im Alltag und als Kunst
    Novy: Es ist ein vielfältiges Thema und Sie zeigen es in einer Ausstellung, oder wollen darüber aufklären. Mit welchen Objekten tun Sie das?
    Kugelmann: Wir haben in den drei Bereichen - wir machen das ja komparativ -, das Judentum, den Islam und das Christentum, unterschiedliche Objekte, die den kulturellen Hintergrund dieser drei Religionen auch ein bisschen widerspiegeln.
    Im Judentum sind es in erster Linie religiöse Alltagsgegenstände. Das sind Tora-Vorhänge, auf denen die Szene dargestellt wird, es sind kleine Kästchen, die das Besteck aufnehmen, die der Beschneider für die Beschneidung braucht, es sind Gebetbücher, es sind Bücher mit Segenssprüchen, es sind sogenannte Torawimpel - das ist eine Tradition, die es in West- und Mitteleuropa gegeben hat, eine volkskundliche Tradition -, die Windeln von Jungs, die nach der Beschneidung von der Mutter gewaschen und aneinandergehängt und aneinandergenäht wurden und es wurden Texte darauf gestickt oder gemalt und Bilder, die so den Lebensentwurf eines jüdischen Mannes darstellen. Man kann sagen, von der Wiege bis zur Bahre, was er werden soll, dass er ein frommer und erfolgreicher Mann werden soll, dass er in die Synagoge gehen soll und so weiter.
    So gibt es im jüdischen Bereich diese rituellen Gegenstände in erster Linie und Bilder auch in Büchern, aber es sind keine großen Bildwerke. Im Islam ist der Text ausgestellt, der Sonatext.
    Novy: Es steht nicht im Koran, sondern in der ...
    Kugelmann: Es steht nicht im Koran, sondern in der Interpretation des Korans, und da werden die Kostüme ausgestellt, es wird ein Schattentheater aus dem Osmanischen Reich ausgestellt, die Figuren, mit denen Schattentheater gespielt wurde während der Beschneidung, und es gibt eine sehr, sehr interessante Bilderserie aus den 70er-Jahren über die erste Generation von türkischen Zuwanderern, die die Beschneidung ihrer Jungs ausführen, die damals im Ruhrgebiet geboren wurden. Das sind sehr interessante Bilder, zumal die Kostüme in der Zeit im osmanischen und türkischen Reich. Es ist üblich, die Söhne zu kostümieren, und in der damaligen Zeit haben sie Militärkostüme angehabt und heute geht es wieder in osmanische Kostüme, die ja auch in zahlreichen Geschäften zu kaufen sind.
    Novy: Also eine reiche kulturhistorische Schau zusammengetragen. Wie steht es denn jetzt mit der Problematik der Beschreibung, mit dem Infragestellen nicht nur von außen, von wie heute moderneren, individuelleren Sichtweisen vielleicht ja auch innerhalb des Judentums oder innerhalb des Islams?
    Unterschiedliche Sichtweisen der Beschneidung
    Kugelmann: Ja. In dem letzten Raum werden Filme gezeigt, Filmausschnitte, die durchaus auch die Beschneidung problematisieren. Es gibt zweifelnde jüdische Stimmen in den Filmen, es gibt Ehepaare, die Frau ist katholisch, der Mann ist Muslime, die sich auseinandersetzen, ob ihre Söhne beschnitten werden sollen oder nicht, es gibt kritische Stimmen, selbstkritische Stimmen, es gibt witzige Filmausschnitte, es gibt die Bundestagsdebatte, die am Ende zu dem Bundesgesetz geführt hat. Dieses ganze Spektrum, wie die einzelnen Gruppen zur Beschneidung stehen, ist am Ende in einem Filmraum nachzuvollziehen.
    Novy: Ein Überblick zum Thema Beschneidung in der Ausstellung "Haut ab!" am Jüdischen Museum in Berlin - Sie hörten die Programmleiterin Cilly Kugelmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.