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Beschuss von Atom-Zwischenlagern als Gefahr

"Das deutet schon darauf hin, dass es relativ konkrete und auch veränderte Sicherheitslagen zu geben scheint", kommentiert Gerd Rosenkranz von der Deutsche Umweltwelthilfe die aktuelle Anweisung der Bundesregierung, neue, zehn Meter hohe und etwa einen Meter dicke Schutzmauern um Atom-Zwischenlager zu errichten. Und er empfindet es als unlogisch, dass dies nicht auch für Atomkraftwerke gilt.

Gerd Rosenkranz im Gespräch mit Jule Reimer | 13.01.2012
    Jule Reimer: Die Anweisung der Bundesregierung kam sozusagen bei Nacht und Nebel, wie die "Süddeutsche Zeitung" titelte. Deutschlands größtes Atommüll-Lager, gelegen neben den beiden Atommeilern Gundremmingen, muss mit neuen Schutzmauern ausgestattet werden, zehn Meter hoch und fast einen Meter dick. Auch andere Atommüll-Zwischenlager sollen besser gesichert werden. In der Politik wachse nämlich die Angst vor einer neuen Qualität von Terroranschlägen, vor einem gezielten Beschuss der Zwischenlager. Viel mehr war nicht zu erfahren, es gehe um Sicherheitsfragen – alles geheim, erklären Experten.

    – Ich bin jetzt mit Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe in Berlin verbunden. Herr Rosenkranz, Sie befassen sich seit Jahren mit Sicherheitsfragen von Atomkraftwerken. Nicht nur Greenpeace, auch der politischen Opposition in Berlin gehen diese neuen Auflagen nicht weit genug. Es heißt zum Beispiel bei Greenpeace, auch die Atommeiler selbst müssten besser geschützt werden. Macht das Sinn?

    Gerd Rosenkranz: Na ja, die Frage stellt sich natürlich, warum die Zwischenlager gefährdet sein sollen und die Atomkraftwerke selber nicht. Aber grundsätzlich muss man sagen, dass natürlich alle sicherheitsgerichteten Maßnahmen zunächst mal hilfreich sind. Das ist ja nicht selbstverständlich; lange, lange Jahre haben sich die Betreiber immer gewehrt gegen zusätzliche Maßnahmen und haben gesagt, wenn überhaupt, dann muss das der Staat bezahlen. Nun zahlen sie es selber. Und das deutet schon darauf hin, dass es relativ konkrete und auch veränderte Sicherheitslagen zu geben scheint.

    Reimer: Das heißt, Sie haben jetzt nicht den Eindruck, die Bundesregierung gibt jetzt zu, oder Bundesregierung und Kraftwerksbetreiber geben jetzt zu, dass vorher eigentlich schon die Sicherheit nicht ausreichend gegeben war bei Zwischenlagern und Atomkraftwerken?

    Rosenkranz: Also, es gab schon immer ein Unbehagen darüber, dass wir uns seit den Angriffen in den USA auf das World Trade Center immer nur konzentriert haben auf die Angriffe aus der Luft, obwohl allgemein bekannt ist, dass man heute sozusagen panzerbrechende Waffen relativ leicht beschaffen kann – möglicherweise nicht nur im militärischen Bereich – und weil wir es deshalb mit einer viel komplexeren Gefährdungslage zu tun haben, als nur aus der Luft. Insofern ist die Tatsache, dass jetzt reagiert wird, erst mal positiv zu bewerten, aber sie zeigt eben auch, dass die Sorgen offenbar groß sind.

    Reimer: Würden Sie denn bei den Atomkraftwerken dann anders ansetzen? Es ist ja so, dass die Siedewasser-Reaktoren, die älteren Siedewasser-Reaktoren, wo es auch heißt, dass die in der Tat eine recht dünne Schutzhülle haben, dass die ja alle abgeschaltet sind. Und die Meiler, die jetzt noch laufen, sind alles Reaktoren, die schon deutlich besser ausgestattet sind.

    Rosenkranz: Ja, das ist so. Die am stärksten gefährdeten Reaktoren, ob aus der Luft oder vom Boden aus, sind abgeschaltet. Aber die Mauern, die auch die neueren Atomkraftwerke umgeben, die Kuppeln, die haben von der Dicke her die gleiche Größenordnung wie die Mauern der Zwischenlager, sodass das erklärt werden muss. Wer Mauern baut um Zwischenlager, muss erklären, warum er bei den Atomkraftwerken glaubt, das sei nicht so problematisch. Ich glaube, dass da noch ein Erklärungsbedarf ist, ohne dass man Sicherheitsfragen, die wirklich geheim bleiben müssen, behandeln muss.

    Reimer: Sie haben angemerkt, dass die Kritik in der Vergangenheit war, sich zu sehr auf eine Bedrohung von oben konzentriert zu haben. Gleichzeitig ist es jetzt aber so, dass die Zwischenlager ja offenbar von oben nicht zusätzlich geschützt werden. Oder wie muss man sich so ein Hallendach eines Zwischenlagers vorstellen?

    Rosenkranz: Das ist so. Das Problem eines gezielten Flugzeugangriffs auf ein Zwischenlager oder auf ein großes Atommülllager ist genauso wenig behoben, wie das auf ein Atomkraftwerk. Die Atomkraftwerke sind sicherlich die, die solche Abstürze besser aushalten, aber auch nicht vollständig geschützt sind. Insofern ist das nicht logisch. Das ist einfach immer so, dass man immer nur mit einer bestimmten Maßnahme bestimmte Angriffsszenarien abdecken kann. Und ich sage, es ist gut, dass man diese Mauern baut, aber man zeigt, dass man im Grunde letztlich hilflos ist. Das ist ja ein Grund, warum wir die Atomkraftwerke abschalten. Ein Grund, warum man vielleicht jetzt mit den Zwischenlagern anfängt, ist, dass man die wahrscheinlich noch 30 oder 40 Jahre haben wird, während die Atomkraftwerke hoffentlich in zehn Jahren alle abgeschaltet sind.

    Reimer: Folgt dann nicht daraus, wir müssen so schnell wie möglich ein unterirdisches Endlager für den Atommüll finden und vielleicht nicht lange rumsuchen und vielleicht doch auf Gorleben zurückgreifen?

    Rosenkranz: Das ist ja nun leider nicht so einfach. Selbst, wenn es eine politische Einigung gäbe – darauf hoffe ich sehr und es gibt ja auch einen Fortschritt mit der Bund-Länder-Kommission, die sich jetzt mit der Endlagerung befasst -, aber selbst, wenn das politisch unproblematisch wäre, müssten die Brennelemente aus den Kraftwerken zunächst über einige Jahrzehnte an der Oberfläche bleiben, um ihre Wärme abstrahlen zu können. Erst dann können sie unterirdisch gelagert werden. Also, man muss schon ein sicheres Konzept finden für die Zwischenlagerung.

    Reimer: Zwischenlager sichern ja, aber bei der Sicherheit von Atomkraftwerken gibt es noch Erklärungsbedarf, sagt Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Vielen Dank nach Berlin.

    Rosenkranz: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.