Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Bespitzelung unter dem Versprechen der Liebe

In dem neuen Roman "Seebachs schwarze Katzen" von Kathrin Schmidt stehen die Spätfolgen der Diktatur im Mittelpunkt des Geschehens. Spätfolgen, die sie im intimsten Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen ansiedelt. Bespitzelung und sogar Manipulation im staatlichen Auftrag - unter dem Versprechen der Liebe.

Von Christel Wester | 14.02.2006
    Eine Abhandlung zum "Einsatz von politisch-operativen Zersetzungsmaßnahmen"
    findet David in einer Schublade seines Vaters, die dieser bisher sorgsam verschlossen gehalten hatte. Diese "politisch-operativen Zersetzungsmaßnahmen" waren psychologischer Natur. Personen sollten in Grenzsituationen geführt werden, die ihren gesamten Lebenszusammenhang in Frage stellten. Und diese Personen waren Frauen. Die Abhandlung trägt den Stempel des Ministeriums für Staatssicherheit.

    Ihr Autor: Davids Vater. Er heißt Bert Willer und ist der Protagonist in Kathrin Schmidts Roman "Seebachs schwarze Katzen". Dieser Bert Willer ist also ein Agent der Stasi gewesen, was sein halbwüchsiger Sohn David in diesem Augenblick allerdings mehr ahnt als wirklich realisiert. Und zwar war Bert Willer ein so genannter "Romeo", einer, der zu Spionagezwecken Liebesaffären unterhält. Als solcher agierte er an zwei Fronten: In der DDR und in der Bundesrepublik. Ging es in der DDR darum, Frauen aus widerständigen Milieus auszuhorchen und zu "destablisieren", wie es in der Abhandlung heißt, so war er in der Bundesrepublik auf der Jagd nach Staatsgeheimnissen nach dem Motto "Charmanter Liebhaber Ost sucht einsame Chefsekretärin West".

    Über die Stasi-Liebeskommandos in der DDR ist bis heute wenig bekannt. Wohingegen 35 westdeutsche Informantinnen nach der Wende enttarnt und wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit oder wegen Landesverrats verurteilt wurden. Die meisten "Romeos" blieben indessen unentdeckt. So auch Bert Willer. Kathrin Schmidt greift also in ihrem dritten Roman ein auch 16 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch brisantes Thema auf. Wer nun aber einen deutsch-deutschen Spionagethriller oder zumindest einen politischen Enthüllungsroman erwartet, liegt falsch.

    "Mir ging es eigentlich um die aus der Vergangenheit herrührenden Verletzungen, die den Menschen in dem Roman überhaupt nicht bewusst sind und die sich auf irgendeine Weise, an irgendeiner Stelle ihrer Biografie wieder hervorschummeln. Und das ist ja in diesem Roman der Fall durch die Akten, die der Junge, der David, im geheimen Fach seines Vaters auffindet. Dadurch wird ja diese ganze Sache ins Rollen gebracht, dass der Vater wieder konfrontiert wird mit seinen alten Verfehlungen und Vergehen. Und er kommt dann auch in Zustände, in denen er gar nicht mehr so richtig weiß, was er gemacht hat oder was andere Leute gemacht haben. Es ist einfach so dieser Gesamtzustand der großen Verwirrtheit und Verwirrung eigentlich, um den es mir möglicherweise geht."

    Bereits in ihrem letzten Roman "Koenigs Kinder" konzentrierte sich Kathrin Schmidt auf die komplexen Innenwelten ihrer Figuren, deren Biografien alle im sozialistischen Osten wurzelten und von Brüchen gekennzeichnet waren. Stärker noch als in "Koenigs Kinder" stehen auch in ihrem neuen Roman "Seebachs schwarze Katzen" die Spätfolgen der Diktatur im Mittelpunkt des Geschehens. Spätfolgen, die sie im intimsten Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen ansiedelt. Bespitzelung und sogar Manipulation im staatlichen Auftrag unter dem Versprechen der Liebe: Schlimmeren Verrat kann man sich gar nicht vorstellen. Der nahe liegenden Gefahr eines kitschigen Melodrams entgeht Kathrin Schmidt jedoch, denn der Roman, den sie geschrieben hat, ist eine Groteske. Dabei blieb die Autorin ihrem eigenwilligen, leicht manierierten und zugleich schnoddrig-ironischen Ton sowie ihrer Liebe zu prallen Metaphern und surrealen Bildern treu. Das zeigt sich bereits in der Eingangsszene.

    "Wie diese Geschichte anfing, ist schwer zu sagen. Die Alte, die Fettvettel Zeit, hockte über dem Beginnen wie eine Bruthenne. Ließ sie nicht los. Der Auftakt verschob sich von Jahr zu Jahr, bis sie endlich, ungefähr 1978, ins Rollen kam. Die Protagonisten waren um diese Zeit schon lange geboren. Bert Willer zum Beispiel wurde gerade achtzehn Jahre alt und in die Partei aufgenommen, die vorgab, Siegerin der Geschichte zu sein und die herrschende Rolle zu spielen im Lande. Im Rollenspiel war die Partei aber keineswegs bewandert, stümperte sich eins im scheinlinken Fach und trumpfte mit der Faust des Geheimdienstes auf, wenn ihr das Spielen verging."

    Die "Fettvettel Zeit" gewinnt in "Seebachs schwarze Katzen" geradezu allegorischen Charakter, eine hässliche Alte, die sich durch die ganze Handlung zieht und den Figuren auflauert, um sie mit der Vergangenheit zu bedrängen.

    "Die Zeit steht vielleicht am ehesten für das Gefühl, das ich gegen der Ende der DDR hatte: nämlich unter einen dicken Glocke zu sitzen Schnitt darunter hervorschauen konnte man ja, es war ja wie eine Glasglocke, die über einem war, aber man kam nicht durch, man kam nicht raus, man hatte immer das Gefühl auf einer Insel zu leben und so von der Zeit abgeschieden zu sein, dass sich das Weltgeschehen in der Zeit eigentlich außerhalb dieser Glocke abspielte."

    Bleiern lastet diese lähmende Atmosphäre auf den Romanfiguren, sie können der Fettvettel Zeit nicht entkommen. Diese hässliche Alte ist jedoch
    ambivalent: Sie ist sehr wohl auch eine Triebkraft, die das Verdrängte ans Licht bringt. Und das ist die Agententätigkeit Bert Willers mit ihren tödlichen Konsequenzen. Es beginnt mit einer Urlaubsreise, die Willer im Jahre 2004 - inzwischen ist er Mitte vierzig - mit seinem 16-jährigen Sohn unternimmt. Vor drei Jahren hat sich seine Frau, so glaubt er zumindest, nach der Diagnose einer unheilbaren Krankheit das Leben genommen. Auf Teneriffa, so hofft Willer, könnte er David wieder näher kommen. Nach dem Tod seiner Frau ist die Entfremdung zwischen Vater und Sohn immer größer geworden. Kurz vor der Reise entdeckt David jedoch die diskreditierenden Unterlagen.

    Als "Romeo" der Stasi führte Bert Willer ein Doppelleben: Neben seinem Familienalltag mit Frau und Kind in Berlin, hatte er über Jahre eine Geliebte, die er in staatlichem Auftrag bespitzeln und eben "destabilisieren" sollte. Hinzu kamen später weitere "Romeo"-Aufträge in Westdeutschland, die im Roman allerdings nur am Rande erwähnt werden. Im Mittelpunkt steht Bert Willers "Romeo"-Aktivität in der DDR. Gleichwohl zieht Kathrin Schmidt sukzessive auch Westdeutschland in die Erzählung hinein:

    Über Urlaubsbekanntschaften auf Teneriffa und ein Ehepaar in Süddeutschland, das im zweiten Kapitel des Romans ins Zentrum des Geschehens rückt. Es entsteht ein Netzwerk teilweise höchst rätselhafter Beziehungen. Wie schon bei ihrem Roman "Koenigs Kinder" gerät der Leser regelrecht in die Rolle eines Detektivs, der die zunächst völlig undurchsichtigen Personenkonstellationen entschlüsseln muss. Deutlich wird dabei vor allem eins: die "politisch-operativen Zersetzungsmaßnamen" der Krake Stasi waren höchst effektiv und wirken bis heute.

    "Die Krake Stasi, sagen Sie. Das war ja etwas, was wir immer geahnt, vielleicht sogar gewusst haben. Aber in welche Verästelungen das hineinging in der DDR, das haben wir natürlich in dem Sinne nicht gewusst. Das ist ja erst nach der Wende publik geworden, was beispielsweise in der Prenzlauer Berg-Szene los war: Dass da ganz maßgebliche Personen einfach Stasi-involviert waren, das ist schrecklich gewesen, das zu merken und zu erfahren. Das hat aber auch bis in den Westen hineingewirkt. Dieser Bert Willer beispielsweise ist ja einer, der auch im Westen so seine Beziehungen hatte. Und der Westen hat sich das möglicherweise noch gar nicht so sehr gefragt, wie weit das gekommen ist, dass die Stasi da auch bei ihm ganz schön rum fuhrwerken konnte."

    Kathrin Schmidts Intention war allerdings nicht der moralische Fingerzeig auf eine Lücke in der Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte.

    "Inwieweit das ein wirkliches Thema in Deutschland ist oder werden wird, das wage ich überhaupt nicht zu beurteilen und ich würde eher sagen, dass sich dagegen alles sträubt im Moment, dass es da zu einer wirklichen Aufarbeitung der Geschichte kommt. Ich würde nicht mal sagen, dass ich sie für notwendig halte, um im gesamtgesellschaftlichen Maßstab irgendwie da voranzukommen. Aber für mich war es eben notwendig, das zu machen jetzt."

    Die Figuren in Kathrin Schmidts Roman arbeiten auch nicht wirklich etwas auf. Was die Autorin beschreibt, sind beklemmende, alptraumhafte Zustände.
    Das Unternehmen Romeo der Stasi wird zu einem Sinnbild für ein soziales Trauma, das über Kettenreaktionen psychische Katastrophen erzeugt. Etwas weniger Symbolismus hätte dem Roman allerdings gut getan.