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Besser merken, schneller denken!?

Wenn sich der Körper mit Pillen und Spritzen dopen lässt - warum dann nicht auch der Kopf? Was Pharmakologen erfinden, um Krankheiten wie Demenz und ADHS zu kurieren, findet Anklang auch bei Gesunden, die ihre kognitiven Fähigkeiten verbessern wollen. Doch lassen sich Konzentration, Gedächtnis und Wachheit wirklich mit Medikamenten verbessern?

Von Christoph Gehring | 29.01.2009
    Es war im Jahre 2003 als Eric Kandel, Neurobiologe und Träger des Medizinnobelpreises, vorhersagte, das Gedächtnis werde die erste kognitive Fähigkeit des Menschen sein, "die wir auf molekularer Ebene vollständig verstehen werden". Und deswegen, so glaubte Kandel damals, werde es höchstens noch fünf Jahre dauern, bis die erste Pille gegen das Vergessen marktreif sei. Die fünf Jahre sind bekanntlich verstrichen, ohne dass ein Medikament auf dem Markt wäre, mit dessen Hilfe ältere, zur Vergesslichkeit neigende Menschen aufhören, Hausschlüssel, Lesebrille und Gebetbuch zu verlegen. Und deswegen forschen große Pharmaunternehmen und kleine Start-Ups weiter nach Substanzen, die dem Gehirn Beine machen.

    "Cognitive Enhancement", also eine Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit ist das Ziel. Und die Zielgruppe sind einerseits die Demenzkranken, die in den alternden Gesellschaften der westlichen Industrieländer immer mehr werden. Andererseits aber auch die Leistungsträger dieser Gesellschaften, die - meist unter Zeitdruck - hochkonzentriert geistige Arbeit verrichten müssen: Studenten im Lern- und Prüfungsstress, ehrgeizige Junganwälte, aufstrebende Wissenschaftler, die hoffen, das Potenzial ihres Gehirns mit Hilfe der Pharmaindustrie gezielter, effizienter und vollständiger nutzen zu können. Ein Markt, für den die Pharmaindustrie bisher aber kein passendes Produkt hat.

    "Ich würde nicht behaupten, dass es die Substanz, die eine Substanz gibt, die tatsächlich viele kognitive Leistungen verbessern kann. Es ist eben zum einen so, dass der Begriff der Kognition sehr weit gefasst ist, und dass eben verschiedene Medikamente, oder verschiedene Substanzen, wiederum verschiedene Wirkungen auf verschiedene Bereiche der Kognition haben. Sie merken: Der Terminus "verschieden" kommt in dem Satz häufig vor, denn wir können nicht determinieren, welche Substanz für welche kognitiven Bereiche tatsächlich eine Verbesserung bringt. Wie gut kann ich mich überhaupt machen? Das ist halt der medizinische Teil des Projekts, wo wir uns halt fragen: Was ist überhaupt möglich mit diesen modernen Substanzen, von denen eben behauptet wird, dass doch einiges an kognitiven Verbesserungen ausmachen können?"

    Andreas Franke von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Mainz ist einer der Mitarbeiter des Interdisziplinären Forschungsschwerpunktes Neurowissenschaften, der sich in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt und an der University of British Columbia im fernen Vancouver sehr umfassend dem "Cognitive Enhancement" nähert: Außer der Psychiatrie sind auch Medizinethiker und Philosophen daran beteiligt. Denn die Suche nach der Substanz, die gesunde Menschen wacher, konzentrierter, gedächtnisstärker macht, wirft nicht nur medizinische Fragen auf, sondern auch ethische und philosophische. Zum Beispiel: Was ist schon normal?

    ""Das Projekt hat nicht umsonst den Titel "Normalität - Normalisierung - Cognitive Enhancement". Also es geht uns tatsächlich darum, den Blick zu weiten und zu fragen: Wie entscheiden wir überhaupt, was normal ist? Also wir haben in der Medizin einen negativen Normalitätsbegriff, das heißt wir haben das Vorliegen einer Pathologie und Studien sind darauf angelegt, Untersuchungen sind darauf angelegt, Patienten einzuschließen, die ein spezifisches Krankheitsbild haben. Das heißt sozusagen, alles was da nicht vorliegt, ist dann normal. Und da schließt sich sozusagen das Problem an, (dass) wenn wir etwas "enhancen" wollen, optimieren wollen an gesunden Menschen, müssen wir erstmal wissen, was denn normal und gesund ist und wie gemessen werden kann, dass etwas verbessert wurde."

    Lara Huber vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Johannes-Gutenberg-Universität beschreibt damit ein grundlegendes Problem: Wie geht die Medizin mit Menschen um, die keine anerkannte Krankheit haben, aber dennoch nach der Hilfe von Medizin und Pharmakologie rufen, um mehr aus sich zu machen? Die reine Lehre klingt so:

    "Also ich möchte noch mal den Hinweis erbringen, dass die Medizin nicht der Ort ist für Wunscherfüllung, sondern dass die Medizin begründet ist durch Heilung im besten Falle oder Besserung eines Zustandes. Und sie ist legitimiert über die Krankheit eines Menschen. Und es geht nicht darum, sozusagen sich selbst zu verwirklichen oder sich in irgendeiner Weise zu optimieren."

    "Ich kann mich da im Prinzip nur anschließen: Die Medizin ist mit Sicherheit kein Bereich der Wunscherfüllung. Wir haben uns bisher über Jahrhunderte, über Jahrtausende bemüht, eben nicht "normale" Zustände zu verbessern, sondern Krankheiten zu kurieren."


    Doch im wirklichen Leben gibt es eben auch Schönheitschirurgen, die kerngesunde Menschen operieren, weil die glauben, mit dem Gesichtslifting, der Fettabsaugung, der Brustvergrößerung kämen sie einem in der Regel von der Gesellschaft geprägten Körperideal näher. Weil letztlich auch die kerngesunden Geistesarbeiter, die mit Hilfe von Medikamenten ihre Konzentrations- und Merkfähigkeit, die Schnelligkeit ihres Denkens verbessern wollen, einem von der Gesellschaft geprägten Leistungsideal nachjagen, nennen Kritiker die entsprechenden Versuche "Kosmetische Psychopharmakologie". Und die beginnt bei den meisten Menschen schon beim Frühstück, sagt Andreas Franke

    "Man muss mit Sicherheit beim Kaffee schon anfangen. Also Koffein ist mit Sicherheit eine Substanz - ich möchte jetzt nicht Medikament sagen - eine Substanz also, die tatsächlich zu neurokognitiven Verbesserungen führen kann. Das heißt, wenn Sie's so weit herunterbrechen wollen, müsste man im Prinzip auch schon kritisch über die Einnahme von Koffein diskutieren. Natürlich gibt's darüber hinaus ganz andere Substanzen, die verschreibungspflichtig sind. Das ist zum Beispiel Ritalin, was auf jeden Fall in diese Substanzklasse gehört, es ist das Modafinil, ein recht modernes Präparat, was gegen Narkolepsie eingesetzt wird. Und das sind zur Zeit unsere wichtigsten Kandidaten, die für ein potenzielles neurokognitives Enhancement in Frage kommen. Es gibt eine Studie, die mir bekannt ist, die drei Medikamente vergleicht, oder drei Substanzen vergleich, so muss man es sagen. Das ist zum einen Koffein, das ist Methylphenidat, also Ritalin, und die dritte Substanz ist Modafinil. Also Sie sehen, man kann durchaus diese drei Substanzen vergleichen."

    Von den dreien ist nach dem rezeptfreien Koffein das Methylphenidat, das unter dem Handelsnamen Ritalin verkauft wird, die populärste Substanz: Das Zufallsprodukt der Forschungen eines Schweizer Pharmakologen war ursprünglich als leichtes Antidepressivum gedacht, ehe es ab den 1960er Jahren erfolgreich eingesetzt wurde, um bei Kindern und Jugendlichen ein Verhaltensbild zu behandeln, das heute als ADHS bekannt ist. Dabei stellte sich - wiederum zufällig - heraus, dass Methylphenidat auch bei unauffälligen, also: gesunden Kindern einen konzentrationssteigernden Effekt haben kann. Und so begann die Karriere von Ritalin als "Cognitive Enhancer" für Gesunde. 80 Prozent der weltweiten Ritalin-Produktion werden in den USA konsumiert.

    Dabei gibt es keinen schlagenden Beweis dafür, dass das Mittel wirklich wirkt: In manchen klinischen Studien schnitten gesunde Probanden unter dem Einfluss von Ritalin besser, in anderen schlechter ab als die nicht unter Medikamenteneinfluss stehenden Mitglieder der Vergleichsgruppe. Und manchmal war gar kein Unterschied feststellbar.

    Etwas wirksamer zeigt sich die Substanz Modafinil, ein relativ moderner Wirkstoff, der ursprünglich den Anfallsschlaf von Narkoleptikern unterdrücken sollte. Weil der Stoff wirkt, also wirklich wach hält, gibt ihn das amerikanische Militär seinen Piloten für Langstreckenflüge, bekommen ihn in den USA Trucker und Schichtarbeiter auf Rezept. Und weil er im Ausland ganz legal zu bekommen ist, wimmelt das Internet von Erfahrungsberichten mit dem Wachmacher. Doch die sind nicht nur positiv. So schreibt zum Beispiel im Forum von team-andro.com ein User zum Thema "Modafinil im Klausurstress":

    "hab mir zu der zeit 600mg am tag gegeben. abgesehen davon dass ich die wirkung im bezug aufs wachsein absolut unbefriedigend fand, hat es bei mir auch zu anhaltenden konzentrationsproblemen geführt... die folge war, dass ich meine prüfungen deutlich unter meinem bisherigen leistungsschnitt abgeschlossen habe.."

    "Also das scheinbar Einfache bei dem Medikamentenmissbrauch - davon können wir ja offiziell auch sprechen, dass der existiert - ist ja die Tatsache, dass sie scheinbar einfach sind und auch billig zu kriegen sind teilweise. Aber auch mit Nebenwirkungen einher gehen, die wir meistens gar nicht kennen und wenn wir sie kennen, unberechenbar sind."

    ... sagt dazu Lara Huber. Denn die Datenlage ist dünn: Niemand weiß wirklich, in welchem Umfang rezeptpflichtige Medikamente als "Cognitve Enhancers" missbraucht werden und welche Langzeitwirkungen die Substanzen bei gesunden Menschen haben. Zwar behauptet eine amerikanische Untersuchung, dass ein Viertel aller Studierenden an den Colleges und Universitäten in den Staaten während der Prüfunsgvorbereitungen Ritalin einnehmen, eine andere Studie ermittelt 13 Prozent - doch in beiden Fällen scheint das statistische Material wenig belastbar, die Methodik zweifelhaft. Und auf Deutschland übertragbar sind die Ergebnisse - ungeachtet ihrer Seriosität - ohnehin nicht. Vielmehr scheint sich da ein Trend zur Überzeichnung des Problems abzubilden. Deswegen wollen die Mainzer Wissenschaftler nun selbst erheben, in welchem Umfang welche Bevölkerungsgruppen Medikamentenmissbrauch betreiben, um ihr Gehirn zu dopen.

    Was zu der Frage führt, ob es überhaupt Missbrauch ist, wenn chemische Substanzen mit einem in der Wettbewerbsgesellschaft doch eigentlich akzeptierten Ziel eingenommen werden - dem der Leistungssteigerung. Die Frage geht an Elisabeth Hildt, die für das Philosophische Seminar der Mainzer Uni im Interdisziplinären Forschungsschwerpunkt Neurowissenschaften arbeitet.

    "Es hat auf jeden Fall im gesellschaftlichen Zusammenhang einen Gehalt von Missbrauch, wenn sich jemand auf diese Weise einen Vorteil verschafft in einer Prüfungssituation. Da könnte man sagen, da hat jemand einen unangemessenen Vorteil erreicht auf einem Weg, der anderen nicht zur Verfügung steht. Und unabhängig von diesen Prüfungssituationen, ja. Inwieweit darf ich meine Persönlichkeit, meine Individualität beeinflussen? Das sind ja auch Fragen, die im Hintergrund stehen: Wie weit geht meine Selbstgestaltung, dass ich dann auch darauf zurückgreife, mit Hilfe von pharmakologischen Substanzen da Einfluss zu nehmen? Das sind doch recht grundlegende Fragen, die sich dann da stellen."

    Der Sinn der Selbstgestaltung durch pharmakologische Substanzen lag in längst vergangenen Zeiten in der Flucht aus dem Hier und Jetzt. Als seine Jünger dem LSD-Entdecker Albert Hofmann auf den Trip folgten, war das Ziel die Selbstbefreiung, das gesellschaftlich zweckfreie Erleben von bunten Farben und lustigen Formen im Reich des Rausches. "Cognitive Enhancement" aber kann gesellschaftlich relevant sein. Denn wenn Einzelne versuchen, die Leistungsfähigkeit ihres Gehirns pharmakologisch zu befeuern, und wenn diese Versuche erfolgreich sein sollten, dann stellt sich plötzlich die Gerechtigkeitsfrage. Sie stellt sich auch Elisabeth Hildt.

    "Nun, es gibt da verschiedene Ansätze zu der Frage der Gerechtigkeit. Es gibt Ansätze, die würden sagen: Man muss eben ausgehen von seinen natürlichen Gegebenheiten, um vor dem Hintergrund der natürlichen Gegebenheiten seine Ziele anzustreben und zu erreichen, und in dem entsprechenden Rahmen handeln und agieren. Auf jeden Fall würde doch die Vorstellung von Gerechtigkeit doch voraussetzen, dass alle Personen, die dabei in Frage kommen, in gleichem Maße Zugriff hätten auf entsprechende Substanzen, dass nicht die einen benachteiligt oder bevorzugt wären, sei es, weil sie über bessere Finanzen verfügen, sei es weil bestimmte Substanzen eben bei dem einen Typ von Personen besser wirken als bei einem anderen Typ, dass alle in bestimmten Prüfungssituationen gleichermaßen Zugang hätten oder gleichermaßen nicht Zugang hätten. Und ich denke, wenn man es da runterbricht auf diese unterschiedlichen Details, da wird dann auch schnell deutlich, wie schwierig das eigentlich wäre. Wie gut darf man sich machen? Das Wort "gut" beinhaltet ja schon eine Wertung, das sagt ja schon: Gut? Wofür? In welchem Zusammenhang? Warum könnte man überhaupt ein solches Enhancement anstreben? Was kann man damit überhaupt erreichen?"

    Anders ausgedrückt: Falls eines fernen Tages doch wirksame, zielgenau einsetzbare "Cognitive Enhancers" verfügbar sind - spalten sie dann die Gesellschaft? Denkbar wäre es ja, dass die einen, die das Geld für den Brain Booster haben, damit ihre Vorrangstellung auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zementieren. Und dass die anderen, die mangels finanzieller Masse keinen Zugang zu den Enhancern haben, lebenslänglich chancenlos bleiben?

    Denn sollten entsprechende Präparate irgendwann einmal verfügbar sein, dann werden sie zweifellos auch gekauft. So wie heute schon die - allerdings weitgehend nutzlosen - Heiltropfen und Tabletten, deren Hersteller älteren Menschen in der Vorabendwerbung versprechen, das rezeptfreie Mittel gegen Vergesslichkeit und andere Anzeichen einer nachlassenden Geistesfrische zu sein. Denn Oma darf nicht mehr alt und vergesslich sein. Nicht in Zeiten, in denen die Medizin so viel über die Neurobiologie des Gehirns weiß. Elisabeth Hildt:

    "Zunächst einmal denke ich, dass bei Vorgängen, die normalerweise vielleicht als "normal" bezeichnet worden wären, zum Beispiel das Altern, überlegt wird, inwieweit liegt da ein krankhafter, vielleicht ein pathologischer Befund vor, dem ich vielleicht entgegenwirken kann im Sinne von Suchen nach Auffälligkeiten, bestimmte Dinge eher als krankhaft vielleicht klassifizieren zu möchten. Worauf das leicht führt mag man sehen als eine stärker vielleicht reduktionistisch geprägte Sehweise könnte man sagen, wo man eben stärker den biologischen Mechanismus in den Vordergrund rückt und stärker Möglichkeiten entgegenzusteuern in den Vordergrund rückt als eine Gesamtsicht."

    In Mainz wollen sie diese und andere ethischen Fragen klären, so lange die intellektuelle Verbesserbarkeit des Ichs noch Zukunftsmusik ist. Dann ist man wenigstens theoretisch vorbereitet. Bis dahin gilt, was Andreas Franke so ausdrückt:

    "Es ist mit Sicherheit nicht so, dass wir mittlerweile soweit sind, dass eine Pille bestimmte kognitive Leistungen per se verbessert. Also man sollte sich davor hüten, tatsächlich zu glauben, dass die Medizin Fortschritte gemacht hat, dass es heutzutage möglich ist, eine Pille zu nehmen und danach ist man geistig fit oder wesentlich leistungsfähiger zu sein als vorher. Das ist mit Sicherheit ein Irrglaube."