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Bestechendes Argument

Mehr als 2000 Jahre alt sind die ältesten schriftlichen Überlieferungen aus China zur Akupunktur. Auch von Naturvölkern ist bekannt, dass sie versuchten, Schmerzen mit Nadelstichen zu lindern. Bei uns blieben Mediziner gegenüber Akupunktur lange skeptisch, doch Studien belegen die Wirksamkeit bei Knie- und Rückenschmerzen.

Von William Vorsatz | 13.11.2007
    Eine Arztpraxis in Berlin. Dr. Boris Warneck nadelt nach den Regeln der traditionellen chinesischen Medizin. Patientin Ursula Müller kommt zur zehnten Akupunktur. Sie hat immer noch Probleme mit dem rechten Knie. Es ist dick und schmerzt. Eine Arthrose - ein schmerzhafter Verschleiß des Gelenks:

    "Ich würde gerne wieder - ich bin im Wanderverein, vielleicht wieder länger und ausdauernder laufen können. Das konnte ich ein ganzes Jahr lang nicht mehr machen, und auch jetzt noch nicht. Und das möchte ich gerne wieder aufbauen.

    Gut. Wie ist es aktuell beim Treppensteigen?

    Das ist okay. Das macht mir keine Schwierigkeiten mehr. Und vor allem ist es wichtig: ich habe überhaupt keine Medikamente genommen. Keine Schmerzmittel. "
    Boris Warneck ist Kassenarzt: Er hat sich für die Akupunkturen zusätzlich qualifiziert und kann sie regulär anbieten. Das bedeutet: seine Kassenpatienten müssen nichts zuzahlen, wenn sie zuvor mindestens sechs Monate unter chronischen Knie- oder Rückenschmerzen gelitten haben. Das hat der Gemeinsamen Bundesausschuss von Krankenkassen und Ärzten im letzten Jahr beschlossen, aufgrund zweier großer Akupunktur-Studien im Auftrag der Krankenkassen. Sie untermauern: Bei chronischen Knie- und Rückenschmerzen helfen Akupunkturen eindeutig besser als Medikamente oder gar keine Therapie. Der Internist und Arzt für Naturheilverfahren Benno Brinkhaus war für eine der beiden Studien mitverantwortlich, für die so genannte ART-Studie an der Berliner Charite. ART steht für Acupuncture Randomised Trial.

    "In beiden Studien wurden die Patienten per Zufall, das heißt, randomisiert, verteilt, das heißt, sie wussten nicht genau, erhalten sie jetzt die Akupunktur nach der chinesischen Medizin oder diese so genannte Schein- oder Sham-Akupunktur. Das kann der Laie nicht unterscheiden. "

    Bemerkenswert: Schein-Akupunkturen sind ebenso wirksam wie die nach der traditionellen chinesischen Medizin. Bei einer Scheinakupunktur werden die Nadeln nicht an den klassischen Punkten platziert, sondern dicht daneben. Die größte Akupunkturstudie GERAC mit je über 1000 Rückenschmerz- und Kniearthrose-Teilnehmern kommt zu ähnlichen Ergebnissen. GERAC steht für die German Acupunture Trials, die weltweit größte Akupunktur-Studie.

    "In der GERAC Studie ist es noch stärker so der Fall, dass die Akupunktur und die Scheinakupunktur gleiche Ergebnisse erzielt haben, bei uns waren es ja gering differierende, zugunsten der Akupunktur, aber insgesamt lassen beide Studien den Schluss zu, dass die so genannten unspezifischen Effekte eigentlich sehr wichtig sind in der Akupunktur und dass die spezifischen Effekte der Akupunktur relativ gering sind. "

    Die Behandlungserfolge bei traditioneller und selbst bei einer Scheinakupunktur sind etwa doppelt so hoch wie bei einer herkömmlichen Therapie ohne Akupunktur. Warum aber wirkt auch eine Scheinakupunktur so gut? Dort werden wahrscheinlich ebenfalls Punkte ganz in der Nähe der Regionen getroffen, die aus dem Erfahrungswissen bekannt sind. Das heißt aber nicht, dass der Akupunkturarzt Boris Warneck deshalb irgendwo hin sticht.

    "Die Punktlokalisation muss man ertasten, das macht sich zum Großteil an anatomische Strukturen fest. Dieser Punkt ist der so genannte Schleimbagger nach der Theorie der traditionellen chinesischen Medizin. Da haben Schmerzen ja häufig was mit Schleim zu tun und durch Stimulation von Punkten auf diesem Meridian kann man unter Umständen eine Bewegung erreichen. "

    Der Allgemeinpraktiker hat zunächst an einer chinesischen Akupunkturakademie einen Jahreskurs absolviert. Dazu in diesem Jahr noch 80 Stunden spezielle Schmerztherapie und 80 Stunden Psychosomatische Grundversorgung. Diese beiden Zusatzqualifikationen brauchen die Ärzte ab dem nächsten Jahr, wenn sie ihre Akupunkturleistungen weiter mit den Kassen abrechnen wollen. Bei Kopfschmerz und Migräne dagegen konnten die mäßigen Akupunkturerfolge Krankenkassen und Ärzte übrigens nicht überzeugen. Als nächstes soll untersucht werden, ob sich Heuschnupfen durch Akupunktur erfolgreich lindern lässt.