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Forderung an NRW-Familienpolitik
Petition zur Betreuung von behinderten Kindern

Geistig behinderte Schulkinder müssen ganztägig beaufsichtigt werden, doch gerade bei Krankheit oder in den Ferien bekommen ihre berufstätigen Eltern oft Probleme. Es gibt keine flächendeckende Struktur, die eine Betreuung gewährleistet. Eine Petition in Nordrhein-Westfalen fordert eine Lösung.

Von Dirk Groß-Langenhoff | 11.02.2019
    Die Inklusionshelferin Shadi Mirmousa betreut am 26.04.2017 in Aachen (Nordrhein-Westfalen) in der Gemeinschaftsgrundschule Am Höfling das Mädchen mit Down-Syndrom, Hannalena (r).
    Kinder mit geistiger Behinderung bekommen 125 Euro monatlich für zusätzliche Betreuungsleistungen (dpa / Oliver Berg)
    Anne-Kathrin Sobolewski ist Grundschullehrerin in Wuppertal. Sie hat eine zwölfjährige Tochter, die seit ihrer Geburt geistig behindert ist. Weil eine Tagesmutter sich bisher um ihre Tochter gekümmert hat, konnte Sobolewski jahrelang auf einer halben Stelle arbeiten. Doch seitdem die Hilfe vor kurzem abgesprungen ist, musste Anne-Kathrin Sobolewski sich beurlauben lassen - erst einmal für anderthalb Jahre. Denn auch schon mit der Tagesmutter sei der Alltag stressig genug gewesen, erzählt die Mutter:
    "Ganz typisch ist: Der Schulbus, der unsere Tochter morgens abholt, kommt später. Ich muss eigentlich los zur Schule, komme selber zu spät, stehe unter einem permanenten Stress, weil ich beides nicht richtig handlen kann. Das konnten wir bisher ganz gut abfangen, war auch schon manchmal nicht ganz leicht zu handlen, aber es war okay, aber durch den Wegfall dieser Person, die wirklich im Nachhinein für uns sehr, sehr, sehr wertvoll und für meine Berufstätigkeit eine Bedingung war, ist es schwierig."
    Und auch wenn mal Unterricht ausfällt, wird es schwierig. Denn die Tochter von Anne-Kathrin Sobolewski leidet unter anderem unter Epilepsie. Bei Anfällen könnte sie sich nicht selbst helfen:
    "Wenn jetzt ganz praktisch der Unterricht verkürzt ist, meine Tochter eben statt um halb vier, vier früher zu Hause ist, dass sie nicht alleine reinkommen kann, also die Tür nicht alleine aufschließen kann und dann einfach auch nicht alleine zu Hause sein kann."
    Probleme im Job durch Krankheit des Kindes
    Noch schwieriger wird es in den Schulferien oder wenn das Kind einmal krank werden sollte. Vor ähnlichen Problemen steht Frau G.*. Ihre Tochter ist sechs Jahre alt und kommt jetzt in die Grundschule. Daher steht die Mutter vor einem riesigen Problem:
    "Wenn meine Tochter krank wird, dann kann man das ein Stück weit abfedern. Ich kann zum Beispiel zu Hause bleiben über Kinderkrankentage. Aber es ist ja nur eine kurzfristige Lösung und oft ist Lotta einfach mehr krank als andere Kinder. Da muss man jetzt auch immer irgendwie gucken, wie man das seinem Chef nahebringt, dass eben einfach schon wieder das Kind krank ist. Und das führt natürlich einfach auch zu Problemen im Job, ganz klar."
    Zwei Beispiele, die zeigen: Während es für Kinder im Kindergartenalter noch entsprechende heilpädagogische Betreuungsangebote gibt, wird es später schwieriger.
    Keine Ganztagsbetreuung für Kinder mit Behinderung
    Deshalb hat Mireille Schauer zusammen mit anderen Müttern eine Petition gestartet. Auch sie hat ein elfjähriges Kind mit einer Behinderung:
    "Es gibt also keine Ferienbetreuung für Kinder mit Behinderung. Es gibt keine verlässliche Ganztagsbetreuung für Kinder mit Behinderung und eben vor allem auch nicht im Rahmen von Kindern, die zwischen dem elften und 18. Lebensjahr sind, also quasi im Rahmen Sekundarstufe eins und zwei."
    Was umso verwunderlicher ist, wenn man bedenkt, dass geistig behinderte Menschen nach dem Schulabschluss oft in Werkstätten arbeiten, in denen sie wieder eine ständige Betreuung bekommen. 125 Euro im Monat bekommen Kinder mit geistiger Behinderung aus der Pflegekasse für zusätzliche Betreuungsleistungen. Der Stundensatz für qualifizierte Betreuung beginnt allerdings bei 20 Euro. Da lässt sich schnell ausrechnen, wie lange die 125 Euro reichen. Das Ziel der Petition formuliert Mireille Schauer deshalb so:
    "Unser Ziel ist ganz klar eine flächendeckende, sichere Struktur an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung. Wir wünschen uns eine Gesetzesgrundlage, die es den Kommunen ermöglicht, Betreuung in den jeweiligen Kommunen umzusetzen; das heißt also, ein finanzielles Polster zu schaffen, sodass es den Städten möglich ist, Betreuungsplätze mit zum Beispiel freien Trägern anbieten zu können."
    Bisher keine Stellungnahme der Landesregierung
    Bei der schwarz-gelben Landesregierung von Nordrhein-Westfalen stießen die Mütter der behinderten Kinder bisher auf taube Ohren: "Die Aussage war, dass man darüber jetzt erst mal keine Stellungnahme abgeben möchte."
    Und auch auf Anfrage des Deutschlandfunk äußerte sich das von Joachim Stamp geführte Familienministerium nicht zu diesem Thema. Die Mütter hoffen daher, dass die Petition von möglichst vielen Menschen unterzeichnet wird, damit sie sich auf diese Weise Gehör im Düsseldorfer Landtag verschaffen können.
    *Name auf Wunsch der Gesprächspartnerin gekürzt.