Donnerstag, 25. April 2024

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Bestseller-Autor Albert Espinosa
"Ich liebe mein deutsches Bein"

Die zweite Staffel der VOX-Serie "Club der roten Bänder" startet. Der Autor der Romanvorlage, Albert Espinosa, erzählt im Corso-Gespräch von seiner Krebserkrankung, warum das Klischee vom kahlköpfigen Kind in der Chemotherapie nicht stimmt und warum er heute wieder tanzen kann.

Albert Espinosa im Gespräch mit Julia Macher | 07.11.2016
    Mané Espinosa
    Albert Espinosa (Mané Espinosa)
    Julia Macher: Sie haben wegen Ihrer Knochenkrebserkrankung seit Ihrem 13. Lebensjahr eine Beinprothese. Aus Ihrem Blog weiß ich, dass Sie alle fünf Jahre ein neues Bein bekommen. Was für ein Modell tragen Sie zur Zeit?
    Albert Espinosa: Seit diesem Sommer habe ich ein deutsches Bein. Ich bin also zu 13 oder 14 Prozent Deutscher. Das ist ein elektronisches Bein, mit dem ich sehr, sehr zufrieden bin: Ich kann zum ersten Mal wieder tanzen mit diesem Bein. Für mich schließt sich dadurch gewissermaßen der Kreis: Im ersten Kapitel des "Club der roten Bänder" verabschiedet sich der Hauptdarsteller von seinem Bein mit einem Tanz und ich habe jetzt, zum Beginn der zweiten Staffel, das Tanzen wieder gelernt. Ich habe sieben Beine inzwischen, die Prothesenindustrie entwickelt sich ja auch wegen der Kriege konstant weiter, nach dem Irakkrieg gab es einen riesigen Schub. Und diese Prothesenwelt ist faszinierend. Ich liebe mein deutsches Bein und pass immer gut darauf auf, dass es mir niemand klaut.
    Macher: Die Geschichte von der Amputation Ihres linken Beins erzählen Sie auch im ersten Kapitel des "Clubs der roten Bänder". Hat sie sich tatsächlich so zugetragen, mit einer Party für Ihr Bein?
    Espinosa: Ich war damals 13 Jahre alt und mein Arzt hat mir tatsächlich diese Abschiedsparty empfohlen. Ich habe alle eingeladen, die irgendwie mit dem Bein zu tun hatten. Einen Torwart, dem ich 50 Tore reingedroschen habe, ein Mädchen mit dem ich unterm Tisch gefüßelt habe. Meinen letzten Tanz mit zwei Beinen hab ich mit der Krankenschwester getanzt. Mein Zimmernachbar war großer Fan des Schlagersängers Antonio Machín und spielte dessen Hit "Warte auf mich im Himmel", was großartig passte. Ich habe mich so gut von meinem Bein verabschiedet, dass ich tatsächlich nie Phantomschmerzen hatte. Und: Ich bin einer der wenigen Menschen, die tatsächlich nie mit dem linken, sondern immer mit dem rechten Fuß aufstehen.
    Macher: Wenn Sie über Ihre Krebserkrankung sprechen oder schreiben, dann tun Sie das immer mit sehr viel Humor. Ich nehme mal an, dass Sie das zunächst auch lernen mussten. Wie reagiert man denn zunächst auf so eine Diagnose?
    Espinosa: In meinem Buch "Die roten Geheimnisse" das jetzt in Deutschland erschienen ist, versuche in den Ursprung meiner Lebensphilosophie zu erklären. Sie entsteht aus der dreiprozentigen Überlebenschance, die man mir mit 15 gab. Wenn man dem Tod so nahe ist, verliert man die Angst davor und lebt ganz im Jetzt. Für mich gibt es nur das Heute, diesen einen Moment. Im Krankenhaus haben mir dann andere Kranke, meine geistigen Väter und Mütter, gezeigt: Es ist nicht traurig zu sterben, es ist traurig, nicht intensiv zu leben. Und: Jeder Verlust kann ein Gewinn sein. In diesem Sinn habe ich kein Bein verloren, sondern einen Stumpf gewonnen. Mir haben sie nicht die halbe Lunge weggenommen, sondern ich habe gelernt, dass ich auch mit der Hälfte leben kann. Ich glaube, wenn wir alle mehr über den Tod sprechen würden, wenn Kinder in der Schule lernen würden, mit dem Tod, mit Sex, mit Liebe umzugehen, dann wäre die Welt vermutlich eine bessere...
    Macher: Stört es Sie eigentlich, wenn man Ihre Bücher wegen solcher Erkenntnisse unter Lebenshilfe einordnet?
    Espinosa: Da sehe ich mich wirklich nicht. Wenn die Bücher jemandem helfen sollen, dann nur mir ganz persönlich. In den beiden Büchern, die jetzt in Deutschland erschienen sind, geht es um das Abenteuer, Tod in Leben zu verwandeln, aber es sind Romane, Geschichten mit fiktionalem Helden, die in einer Welt spielen, die in vielem anders ist als unsere. Wenn man Erfolg hat - ich habe weltweit 5-6 Millionen Bücher verkauft - wird man eben irgendwo eingeordnet. Wenn ich in einer Buchhandlung mein Buch unter Lebenshilfe sehe, dann schnappe ich es mir und trage es rüber zu Fiktion.
    Macher: Ihr größter Erfolg ist die Krankenhausserie "Club der Roten Bänder", die inzwischen in 18 Ländern ausgestrahlt wurde. In Deutschland hat sie Vox produziert. Beim Besuch der Dreharbeiten zur zweiten Staffel sagten Sie, dass die deutsche Fassung die beste sei. War das Höflichkeit gegenüber den Gastgebern?
    Espinosa: Nein, das glaube ich wirklich. Das gesamte Team war menschlich herausragend, von den Vox-Produzenten bis zu den Schauspielern. Man kann natürlich auch als Arschloch ein guter Schauspieler sein, aber da es um die Verfilmung meiner Geschichte geht, ich ein Stück von mir preisgebe, ist mir das Menschliche schon wichtig: Ich rede ja mit den Schauspielern, wir schreiben uns E-Mails. Das Team ist hat das perfekte Gleichgewicht zwischen Drama und Humor gefunden und die deutsche Fassung ist sehr viel besser als die italienische, französische, israelische, besser als die von Spielberg, weil sie am meisten dem entspricht, was ich erlebt habe.
    Macher: Steven Spielbergs Adaptation hatte in den USA keinen großen Erfolg und wurde nach zehn Folgen abgesetzt. Was hat er falsch gemacht?
    Espinosa: Ich glaube, das Team hat nicht verstanden, dass es eine Serie über Kinder und Jugendliche ist, stattdessen auf prominente erwachsene Schauspieler wie Oscar-Gewinnerin Octavia Spencer gesetzt. Ich habe versucht, das zu sagen, aber Leuten wie Spielberg zu vermitteln, dass sie auf dem falschen Weg sind, ist nicht ganz einfach. Für mich war das natürlich trotzdem der große Preis. Wenn jemand wie Spielberg deine Geschichte verfilmt, öffnet das natürlich auch bei anderen Leuten die Türen.
    Macher: Krankenhaus plus krebskranke Kinder plus Fernsehen: Das ist eine Kombination, bei der ziemlich schnell ziemlich viel schiefgehen kann. Wie vermeidet man, dass das Ganze ins Sentimentale abrutscht?
    Espinosa: Das war ein Problem, das es bisher bei allen Verfilmungen gab . Die meisten Fernsehsender schrecken erstmal zurück. Mit Sex und Blut haben die wenigsten ein Problem. Aber wenn es darum geht, zärtliche Gefühle darzustellen, dann sitzt man fast schon auf der Anklagebank. Ich wollte vor allem das Klischee vom kahlköpfigen, traurigen Kind in der Chemotherapie einmal überwinden muss, denn das machte nur 3 Prozent meiner eigenen Krankenhaus-Realität aus. Dafür musste ich hart kämpfen, hatte aber Verbündete in jedem Land. Und das Bewegendste ist, wenn man dann sieht, wie sich auf Grund der Serie das Leben der Krebspatienten ändert, wie glücklich sie es macht, auch einmal Protagonist einer Serie zu sein.
    Macher: Und sie eben nicht mehr nur Opfer sind, sondern handeln.
    Espinosa: Ja, aber auch weil andere Themen behandelt werden. Während es in der ersten Staffel um den Kampf ums Überleben geht, taucht in der zweiten auch die Frage auf, wie lange man eigentlich kämpfen muss, um als mutig zu gelten. Viele meiner Freunde haben einfach aufgegeben und für mich sind sie genauso mutig wie wir anderen. Dass man eine Serie so von Staffel zu Staffel weiterentwickeln kann, macht für mich ihren Reiz aus.
    Macher: Sie haben nach dem Club der Roten Bänder noch viele andere Bücher und Theaterstücke geschrieben, aber keine Serie mehr. Warum?
    Espinosa: Mir fehlte einfach ein Sujet, eines was es mir wirklich wert war. Aber das habe ich jetzt gefunden. Ich sitze gerade an einer Serie, die in Richtung "Das Leben ist schön" geht und in Konzentrationslagern spielt. Die Idee dazu kam mir, als ich mein neues deutsches Bein ausprobiert habe und dafür einen Ort gesucht habe, an dem mutige Menschen viel gekämpft haben. Ich war dann im Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo auch Anne Frank bestattet ist. Das war ein Ort, der mich mit Schmerz, aber auch Energie erfüllt hat. Ich habe danach viel über den 2. Weltkrieg gelesen, Konzentrationslager besucht und angefangen Deutsch zu lernen. Ich schreibe noch, aber mit etwas Glück ist das Projekt in ein paar Jahren vielleicht bei Vox zu sehen. Ich habe wirklich große Lust, eine Geschichte über den Zweiten Weltkrieg zu erzählen, aber eben aus einer anderen Perspektive, einer "Espinosa"-Perspektive.
    Macher: Ihnen ist schon klar, dass das ein durchaus riskantes Unterfangen sein kann und man Sie dabei vermutlich genau bis argwöhnisch beobachten wird.
    Espinosa: Ich weiß, ich weiß, aber ich habe noch nie etwas gemacht, was wirklich einfach ist. Außerdem bin ich so begeistert von meiner Idee, dass ich es einfach ausprobieren muss. Und wenn jemand einen neuen Blick auf ein sehr bekanntes Thema wirft, kann das ja immer auch interessant sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.