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Besuch im Löschzentrum
"Kritik hat Facebook systematisch unter Druck gesetzt"

Unter offenbar schlechten Bedingungen haben Facebook-Mitarbeiter bisher Hasspostings und strafbare Inhalte gelöscht. Die Debatte über das Hate-Speech-Gesetz hätte Druck auf Facebook ausgelöst, sagte Renate Künast im Dlf. Als erste Politikerin durfte sie heute im Löschzentrum in Berlin mit Mitarbeitern sprechen.

Renate Künast Gespräch mit Stefan Fries | 14.06.2017
    Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast von den Grünen blickt am 19.04.2016 in Berlin im Paul-Löbe-Haus in die Kamera des Fotografen.
    Renate Künast hat als erste Politikerin das Facebook-Löschzentrum besucht. (dpa / picture alliance)
    Stefan Fries: Wer schon mal versucht hat, bei Facebook ein Posting oder einen Kommentar löschen zu lassen, kennt das: Oft bekommt man die Nachricht, dass der gemeldete Beitrag nicht gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook verstößt und deswegen nicht gelöscht wird – darunter sind dann auch Hasspostings und strafbare Inhalte. Facebook lässt das in Deutschland von der Bertelsmann-Tochterfirma Arvato in Berlin prüfen – unter katastrophalen Bedingungen für die Mitarbeiter, wie das SZ-Magazin Ende letzten Jahres erfuhr. Bisher durfte bei Arvato niemand rein, heute hat es nach langer Zeit die Grünen-Politikerin Renate Künast geschafft, die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz. Ich habe Renate Künast vorhin gefragt, warum das so schwierig war, da reinzukommen.
    Renate Künast: Also das wüsste ich, ehrlich gesagt, auch gerne. Ich habe fast zwei Jahre lang versucht, da hinzukommen, weil ich gesagt habe, als Politikerin, die sich mit dem Feld beschäftigt, mit den Grundrechten, mit dem Hass, dem Menschen ausgesetzt sind, auf der anderen Seite dem Problem Meinungsfreiheit, will ich mich doch gerne informieren. Ich kann da nur eins vermuten, nämlich, dass Facebook in Wahrheit am Anfang noch was zu verbergen hatte, weil sie noch nicht gut aufgestellt sind. Also kann ich sagen, spät, aber immerhin.
    Mitarbeiter machten auf Künast einen zufriedenen Eindruck
    Fries: Gab es denn heute was zu verbergen?
    Künast: Na ja, ich sage mal jetzt, sie haben sich auf den Weg gemacht, mit jetzt 650 Mitarbeitern hier in Berlin auch mit verschiedenen Sprachkompetenzen, sie haben Arvato, die ja auch sonst für andere Unternehmen solche Dienstleistungen macht, hat zusammen mit Facebook noch mal spezielle Regelungen, auch was psychologische Betreuung hat, ausgemacht, zum Beispiel die Regel, dass also sie da auch Kosten übernehmen, auch anonym, wenn jemand eine Psychotherapie brauchen würde oder die Regel, dass bei ansehen von hochsensiblen Inhalten, das nur in den Job gehört, wenn die einzelne Person das auch will, sonst bleiben sie allgemein bei Hate Speech und müssen sich nicht Gewaltvideos und so ansehen, und auch das dann nur zwei Stunden pro Tag.
    Also, es gibt da schon eine ganze Menge an Regelwerk, das da mittlerweile gefunden wurde, und was ich persönlich gemerkt habe, ehrlich gesagt, ist, dass dann aber bei … also das eine, die Regeln für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, die mir da einen ganz zufriedenen Eindruck machten, der Punkt ist, dass die Frage, die neben allem noch steht, ist doch die Frage, was muss eigentlich gelöscht werden und was nicht, und das ist eine Aufgabe, die der Gesetzgeber lösen muss.
    Fries: Sie haben jetzt gerade selber gezögert als Sie gesagt haben, die da zufrieden wirkten. Haben Sie den Eindruck, dass die vielleicht doch nicht so zufrieden sind wie es jetzt Ihnen gegenüber bei diesem angemeldeten Besuch, bei dem Sie begleitet wurden, dass das vielleicht in Wirklichkeit anders ist?
    Künast: Das wissen Sie an so einer Stelle nie. Sie sehen da Mitarbeiter, Sie sehen Bedingungen, Sie hören ein System, Sie können mit Leuten drüber reden, wie ist das Managementsystem, und sie haben mir gegenüber gesagt in der Präsentation mit der Policy-Chefin aus Dublin, dass es keine Verpflichtung für Klickzahlen und Tempo gibt. Das haben mir die Mitarbeiterinnen direkt auch gesagt, und da behaupte ich mal, das wollen die nicht, dass ich später rausfinden würde, dass ich angelogen wurde. Insofern glaube ich, dass man das glauben darf.
    Künast: Mitarbeiter lernen den Umgang mit Gewaltvideos etappenweise
    Fries: Ich sage es noch mal dazu, also was da eigentlich gemacht wird: Nutzer melden Dinge, die sie für problematisch halten, und in diesem Facebook-Löschzentrum wird dann überprüft, ist das wirklich so, verstoßen die Dinge gegen Gemeinschaftsstandards, geht es um Hasskommentare, geht es um strafbare Inhalte. Das "SZ-Magazin" hat jetzt im Dezember zum ersten Mal mit Mitarbeitern gesprochen von da, die sich bisher nie geäußert haben, und Facebook hat auch immer versucht, das zu verhindern, und da war die Rede von Stress, von Überlastung, von psychischen Problemen und unklaren Vorgaben, weil da Gewalt- und Sexvideos angeschaut werden, Folter, Hinrichtungen, Tierquälerei. Waren Sie mal dabei und haben selber gucken können, was da alles gemeldet wird?
    Künast: Nein, wir haben es an Beispielen festgemacht. Ein normaler Mitarbeiter, so wie mir gesagt wurde, ein normaler Mitarbeiter, auch ein Anfänger sieht gar keine Gewaltvideos, und wenn einer nach einer gewissen Zeit der Einarbeitung auch sagt selber, er wäre bereit, solche Aufgaben zu übernehmen, macht er erst mal ein Shadowing, also begleitet einen Mitarbeiter, der das schon länger macht, um dann zu gucken, kann und will er das, um Einschätzungen und so weiter zu lernen. Erst dann käme die Person überhaupt dahin, solche Inhalte zu sehen, dann mit der Zeitbegrenzung zwei Stunden, und wer da sagt, es ist mir zu viel, könnte jederzeit auch wieder raus aus dieser speziellen Aufgabe. Also das kann ich so sagen, das steht jetzt halt einfach gegenüber.
    Regeln werden nach Community-Standards umgesetzt
    Fries: Was Facebook ja geheim hält, sind die Regeln, nach denen gelöscht wird. Was haben Sie darüber erfahren?
    Künast: Danach haben wir gefragt und gesagt, so, wie kann man das nachvollziehen. Facebook selber sagt, die Community-Standards findet man im Internet bei Facebook, und sie machen nichts anderes als diese Community-Standards in Regelungen umsetzen. Sie sagen mir, sie haben keine neue Regelung entwickelt und erfunden, sondern sie setzen das um, was sie in den Community-Standards sagen.
    Fries: Sie waren jetzt die erste Politikerin, die sich das Löschzentrum ansehen konnte. Für Gerd Billen, den Staatssekretär im Bundesjustizministerium, wird gerade noch ein Termin gesucht. Beginnt da jetzt gerade eine neue Offenheit bei Facebook?
    Künast: Ja, scheinbar. Ich glaube, dass das, was qualitativ neu ist, ist, also alles, was an öffentlicher Kritik und an Fragen da ist, glaube ich, hat Facebook systematisch unter Druck gesetzt, reicht nicht, nur bestimmte Aufgabenerledigungen zu behaupten, sondern man muss auch zeigen, wie das funktioniert, und ich glaube auch, am Ende die Debatte über gesetzliche Regelungen und so, also es hat insgesamt dann schon bei Facebook auch Druck ausgelöst.
    Fries: Renate Künast von den Grünen, die Vorsitzende des Justiz- und Verbraucherausschusses im Bundestag war heute im Facebook-Löschzentrum in Berlin und gerade bei uns. Vielen Dank, Frau Künast!
    Künast: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.