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Besuch in einer Förderschule in Berlin-Neukölln

Pause in der Adolf-Reichwein-Schule. Die Türen der Klassenräume öffnen sich, das Treppenhaus füllt sich mit Schülern. Ein paar Jungs raufen sich zum Spaß. Die Mädchen gehen in kleinen Gruppen, viele von ihnen tragen Kopftuch. 80 Prozent der Kinder hier sind ausländischer Herkunft. Ihre Familien stammen aus arabischen Ländern oder aus der Türkei. Auch viele Schüler aus Roma-Familien sind darunter. Dazwischen ein paar deutsche Kinder, die meisten aufgewachsen am gesellschaftlichen Rand.

Von Markus Rimmele | 24.03.2007
    Die Adolf-Reichwein-Förderschule liegt in der Sonnenallee im Neuköllner Norden. Im letzten Berliner Sozialstrukturatlas rangierten die Kieze in der Umgebung ganz am Ende, auf den letzten 20 Plätzen unter 300 Stadtvierteln. Eine solche Gegend bringt Kinder hervor, die schlecht lernen können. Der Schulleiter Jens-Jürgen Saurin:

    " In den seltensten Fällen liegt bei unseren Schülern eine organische Beeinträchtigung vor. Die Mehrzahl der Kinder kommt zu uns aufgrund mangelnder Förderung, familiärer Probleme, unter Umständen fehlender emotionaler Zuwendung, so dass in den ersten sechs Lebensjahren die Grundlagen nicht gelegt werden konnten, um erfolgreich in der Schule mitzuarbeiten."

    Gut 180 Kinder und Jugendliche besuchen die Reichwein-Schule in den Klassenstufen drei bis zehn. In den ersten beiden Schuljahren findet in Berlin noch keine Trennung statt. Es sind Kinder hier, die irgendwann in der Gemeinschaftsschule nicht mehr mitkamen, die es etwa nicht schafften, lesen zu lernen, die wie abgekoppelt im Unterricht saßen, ausgegrenzt waren.

    " Die besten Chancen haben wir bei unseren Kindern, wenn sie zu Beginn der dritten Klasse kommen, weil wir noch einmal mit dem Lese-, Schreibe, Mathematik-Lehrgang beginnen. Je später diese Kinder zu uns kommen, desto weniger Chancen haben wir dann auch, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen. Das ist eine Sache. Die andere Sache ist die, dass wir mit kleineren Klassen arbeiten. Wir haben eine Richtfrequenz von 13,5 Schülern. Wir arbeiten lehrintensiv, mit sehr viel Zuwendung. Die Kinder fühlen sich hier bei uns, kann ich, glaube ich, sagen, zu Hause."

    Die besten Schüler schaffen es am Ende, einen Hauptschulabschluss und sogar eine Lehre zu machen. Doch sind das eher die Ausnahmen. Bei den meisten geht es darum, neben dem Unterrichtsstoff erst einmal Dinge wie Konzentration, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit zu lernen – Voraussetzung auch für einfachste Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Handwerkliche Praxis ist Teil des Lehrplans. In der so genannten Schülerfirma arbeiten die Kinder in einem Nähatelier, einer Holzwerkstatt, einem Fotostudio und einem Café.

    Unterricht in der Klasse 10 a. Die besteht aus neun Schülern, vier Jungen und fünf Mädchen. Petrit besucht seit der 3. Klasse die Adolf-Reichwein-Schule. Keine guten Erinnerungen an die Grundschulzeit:

    " Mir ging’s da voll schlecht. Weil die Lehrerin war auch anstrengend und so. Und dann war ich schlecht da. Wir waren auch ganz viele Schüler und so. Dadurch wurde ich immer schlechter und so. Und dann haben die mich hergebracht, in die Sonderschule. Und dann habe ich mich ein bisschen verbessert."

    Petrit würde gern den Hauptschulabschluss machen, dann Koch oder Tischler werden. Seine Klassenkameradin Tahani könnte sich vorstellen mal in einer Bäckerei zu arbeiten. Sie könnte es schaffen, sie gehört zu den Besten. Sie ist im letzten Schuljahr, jetzt wird es ernst.

    " Ich möchte dann noch auf eine Berufsschule gehen und dann noch meinen Hauptschulabschluss bekommen. Ich glaube, ich gehe dann zwei Jahre noch auf diese Schule. Am Montag gehen wir auch eine Schule angucken."

    Jens-Jürgen Saurin macht sich allerdings keine Illusionen. Seine Schüler haben es extrem schwer auf dem Arbeitsmarkt, sagt er. Und doch wäre alles noch viel schlimmer, gäbe es keine Schulen wie seine. Deren Erfolg und Nutzen für die Gesellschaft sieht er darin, dass es überhaupt gelingt, diese Kinder zu erziehen, zu betreuen und Gewaltausbrüche meist zu verhindern.

    Das politische und pädagogische Ziel, immer mehr Kinder mit Lernbeeinträchtigungen in der allgemeinen Schule mitlernen zu lassen, befürwortet der Schulleiter im Prinzip. Aber nur dann, wenn zur Betreuung sehr viel mehr Geld investiert würde. Da es danach aber nicht aussieht, will er lieber die Förderschulen bewahren. Die Klassenlehrerin der 10a, Annette Bremer-Langen, pflichtet bei.

    "Wenn ich unsere Schüler sehe, wie viel Zuwendung, gezielte Förderung, Differenzierung sie brauchen, dann finde ich das schon sehr nötig und auch erfolgreich, wie wir hier arbeiten. Also das einfach aufzulösen hier und zu sagen, ja, noch ein Lehrer und ein paar Stunden in irgendwelchen großen Klassen, das würde ich sagen, funktioniert so nicht"