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Besuch von den Rosenheim-Cops

Im November 2010 bekommt eine Familie aus Rosenheim Besuch von der Polizei - und muss daraufhin für Tage ins Krankenhaus. Nach eigenen Angaben wurde sie grundlos von den Beamten misshandelt. Nicht zum ersten Mal sorgen damit die Rosenheim-Cops für Schlagzeilen. Doch bislang war es in Bayern schwierig, gegen Polizisten zu ermitteln.

Von Tim Aßmann | 16.02.2012
    "Man vergisst nicht, wenn man von vier Leuten gegen die Wand gehalten wird und gleichzeitig geschlagen wird. Man vergisst nicht, wenn man am Boden gefesselt liegt, auf einen getreten wird. Das vergisst man nie im Leben. Nie."

    Sandra B.s [Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt] Glaube in die Polizei ist tief erschüttert. Die 36-Jährige lebt mit ihrer Familie im Mehrfamilienhaus ihrer Eltern nahe Rosenheim. Im November 2010 suchen zwei Zivilpolizisten in dem Haus nach einem Nachbarn der B.s - doch dieser ist bereits seit Wochen verzogen. Ob sie wisse, wo der Mann sei, wird Sandra B. gefragt. Aufgrund deren barschen Auftretens habe sie nicht geahnt, dass es sich um Polizisten handeln könnte, sagt sie. Die Beamten weisen sich schließlich aus und fordern die Frau auf, ihren eigenen Ausweis zu holen. Mittlerweile sind drei weitere uniformierte Polizisten eingetroffen. Sandras Mann Anton kommt an die Wohnungstür und spricht einen der Zivilbeamten an, was vor sich gehe.

    "Völlig aggressiv packt er mich am Hals mit der einen Hand und der andere Beamte versetzt mir einen Schwinger in den Magen."

    Seine Frau nimmt Zettel und Stift, um die Namen der Polizisten zu notieren.

    "Und in dem Moment sehe ich, wie der Beamte meine Frau am Oberkörper nimmt. Die fliegt förmlich neben mir aus der Wohnung, aus dem Türrahmen raus."

    "Also, ich hatte unheimliche Schmerzen. Ich meine, die haben mich da unten getreten, geschlagen. Ich wurde gegen die Wand gehalten und vier Polizisten standen um mich rum und haben mich gleichzeitig geschlagen. Ich kam mir vor wie so ein Boxsack."

    Sandra B.s Eltern, Josef und Aloisia E., beide im Rentenalter, kommen hinzu. Auch sie werden nach eigenen Angaben von den Polizisten geschlagen. Am Ende stehen zehn Polizeibeamte im Hausflur, die vier Familienmitglieder liegen am Boden. Sie müssen danach teils tagelang ins Krankenhaus. Dort werden stumpfe Bauchtraumata festgestellt, wie sie durch Schläge und Tritte entstehen können, hinzu kommen Prellungen und Schürfwunden.

    Die Polizisten schildern den Vorfall komplett anders. Sie geben an, von den Familien E. und B. grundlos angegriffen worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft Traunstein stellt die Ermittlungen gegen die Beamten vorläufig ein und erhebt dafür Anklage gegen die beiden Ehepaare - wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Aus Sicht des Staatsanwalts war Sandra B. den Polizisten gegenüber unkooperativ und schubste sie auch. Ihr Vater Josef E., ein pensionierter Polizist, habe sogar versucht zuzuschlagen. Dass ihre Mutter Fotos vom Polizeieinsatz machte, die eine Polizistin erfolglos versuchte zu löschen, interessiert die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen nicht. Sie gibt zu dem Fall auf Nachfrage keine Interviews. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann vertraut auf die Ermittlungen:

    "Die Staatsanwaltschaft hat dann letztendlich auch die Verfahren soweit eingestellt. Es gibt ja eben manchmal auch unberechtigte Vorwürfe."

    Unberechtigt? Einen Tag, nachdem der Minister das sagte, nahmen seine Mitarbeiter Kontakt zu den beiden Familien auf, um sich von ihnen die Geschehnisse schildern zu lassen. Es ist nicht der einzige Fall, mit dem die Rosenheim-Cops in die Schlagzeilen gerieten. Im vergangenen Jahr wurde der Chef der örtlichen Polizeiinspektion beurlaubt. Er soll einen Jugendlichen auf der Wache verprügelt und ihm einen Zahn abgeschlagen haben - das Opfer trug während des Vorfalls Handschellen.

    Kurz nach Bekanntwerden der beiden Rosenheimer Vorfälle zog der Innenminister Konsequenzen: Um Vorwürfe, die Polizei schütze schwarze Schafe in den eigenen Reihen und vertusche Polizeigewalt entgegenzutreten, kündigte der CSU-Politiker neue Ermittlungsstrukturen an. Zwei zentrale Polizeidienststellen in Nürnberg und München gehen künftig Fällen von mutmaßlicher Polizeigewalt nach. Bisher war es meist so, dass örtliche Polizisten gegen ihre Kollegen ermittelten. In anderen Bundesländern ist diese Praxis schon lange abgeschafft. Bayern zieht nun verspätet nach und Joachim Herrmann gibt sich entschlossen:

    "Wir brauchen Teamgeist in der Polizei. Wir brauchen keine falsche Kameraderie. Es darf auf keinen Fall dort, wo es Fehlverhalten gibt, das zugedeckt werden."

    Rund 200 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gab es 2010 im Freistaat - die meisten gegen Polizeibeamte. In 16 Fällen wurde Anklage erhoben und zwölf Mal kam es schließlich zu einer Verurteilung. Die Staatsanwaltschaften stehen häufig vor der Problematik, dass sie gegen beide Seiten ermitteln müssen - gegen Polizisten und gegen die Betroffenen, die Anzeige erstattet haben, denen vonseiten der Polizei aber vorgeworfen wird, Widerstand geleistet zu haben. Bundesweit gängige Praxis der Staatsanwaltschaften in solchen Fällen ist es, die Nachforschungen gegen die Polizisten zunächst einzustellen und die Privatpersonen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte anzuklagen. Die Logik dahinter: Werden die Zivilisten freigesprochen, nimmt man die Ermittlungen gegen die Polizisten halt wieder auf. Das mag juristisch logisch sein, muss aber von Opfern von Polizeigewalt als zynisch empfunden werden.

    "Ich habe schon Vertrauen zur Polizei, aber irgendwie habe ich ein flaues Gefühl und auch draußen: Wenn ich Polizei sehe oder wir da vorbeifahren müssen, da wird's mir ganz anders. Da habe ich einfach auch nur Angst. Bin ein gestandenes Mannsbild, aber ich bin so traumatisiert. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen kann, dass ich das einmal bewältige."

    Für Josef E., einen pensionierten Polizisten, ist eine Welt zusammengebrochen. Wie seine Frau, die Tochter und der Schwiegersohn kämpft auch er mit den Tränen, wenn er von dem Vorfall berichtet. Öffentlich gemacht haben die Familien ihren Fall übrigens erst, als sie angeklagt wurden. Ab morgen will das Rosenheimer Amtsgericht klären, wer vor mehr als einem Jahr wen angegriffen hat.