Donnerstag, 25. April 2024

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Theater Münster
"Der Bundesbürger" - Möllemann und die FDP auf der Bühne

Jürgen Möllemann war Vizekanzler und neoliberaler Hoffnungsträger der FDP, provozierte aber mit diversen Affären seinen Parteiausschluss. 2003 sprang er mit dem Fallschirm in den Tod. Das Stück von Annalena und Konstantin Küspert für Münster ist akribisch recherchiert und provozierend aktuell.

Von Dorothea Marcus | 10.01.2020
Die Schauspieler Ilja Harjes, Thomas Mehlhorn und Rose Lohmann stehen vor einem Plakat mit Wolken auf einer Bühne
Das Szenenbild aus "Der Bundesbürger" am Theater Münster thematisiert Jürgen Möllemanns Leidenschaft für das Fallschirmspringen. Der Politiker verunglückte dabei 2003 tödlich (Theater Münster / Witte Wattendorff)
"Möllemann? Wo liegt das?", fragt eine Frau in der Fußgängerzone von Münster. "Damals war es noch ungewöhnlich, dass Politiker inhaltlich so wenig aussagen", meint eine andere. Ihre Aussagen auf Video werden auf eine kleine Pappwolke auf der Bühne projiziert – und treffen den Nagel auf den Kopf. Warum das Autorenpaar Küspert eine schillernde, aber zugleich banale Politikerpersönlichkeit auf eine Theaterbühne zum "Bundesbürger" schlechthin macht, erschließt sich zunächst nicht so ganz.
"The Jürgen W. Möllemann Story. - Intro. Closeup: Zwei Hände binden doppelten Windsor in blau-gelbe Krawatte. - Nagelschere stutzt Schnauzer. - 124er Mercedes fährt vor. - Unauffällig, dennoch elegant. - Closeup: Brauner Lederslipper trifft grauen Asphalt."
Ein Leben in fünf Akten
Die drei Schauspieler auf der Bühne sind drei Drehbuchautoren eines hippen Writer‘s Room. In einer Präsentation, die die Zuschauer zu Fernsehproduzenten macht, wollen sie Möllemanns Leben für eine neue fünfteilige Serie an den Mann bringen. In fünf Akten spielen sie die Höhepunkte, Cliffhänger, Affären und Absurditäten der shakespearehaft tragischen und auch etwas lächerlichen Politikerbiografie durch. Ein cleverer Kunstgriff, der die Erzählhaltung des Stücks glaubwürdig macht, das sich sonst leicht in den Details längst vergangener Politiker-Banalitäten verlieren könnte.
"Liebe Nutten, liebe Nonnen, Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Wo die Mitte ist, bin ich, wo ich bin, ist die Mitte, also kommt mal von den Rändern weg und wählt mich bitte! Ich bin der Kandidat und komm langsam in Fahrt…"
Mit blitzschnellen Rollen- und Kostümwechseln, lässig und energiegeladen deklinieren die drei Schauspieler Ila Harjes, Rose Lohmann und Thomas Mehlhorn nun den Machtkampf des Jürgen Möllemann durch. Mal erscheint er als kabarettistischer Ego-Besinger beim Neujahrsempfang zu minimalistischen Neunziger-Jahre-Elektroklängen, dann als animierter Computerspielheld, der stets zum nächsten Level will und mit Plastik-Keule die Konkurrenten weghaut. Dann wieder als Fußballgegner gegen Guido Westerwelle, der vorhin noch mit grünem Bobbycar als grinsende Nachwuchshoffnung über die Bühne gerollt ist: Das Politikerleben ist ein Match, in dem es ausschließlich um Sieg und Niederlage geht. So weit ist das Stück zwar keine große Poesie, aber sehr unterhaltsam, auch wenn es stets nah am politischen Kabarett vorbeischrammt.
Der FDP Politiker Jürgen F.Möllemann winkt  und blickt nach oben
Möllemanns Erbe für die FDPDas Bundesverwaltungsgericht entschied 2013 über die Höhe der Strafe, die die NRW-FDP wegen falsch deklarierter Spenden zahlen musste. Die hatte noch der verstorbene Jürgen Möllemann zu verantworten.
Wegbereiter für den Rechtspopulismus in Deutschland
Doch nach und nach entwickelt das akribisch recherchierte Stück mit einem großen Anmerkungsapparat am Ende eine weit steilere und interessantere These: Möllemann und sein einfallsreicher, aber inhaltsleerer Kampf, seine Positionierung der FDP als Spaßpartei hat dem Rechtspopulismus in Deutschland den Weg geebnet.
"Die Anonymen im Internet sagen: Respekt für den mutigen Herrn Möllemann. Er lässt sich nicht beeindrucken. Möllemann hat Rückgrat, im Gegensatz zum feigen politischen Establishment! Er spricht aus, was das Volk schon lange denkt. Endlich einer, der nicht mehr schweigt."
Möllemann war einer der ersten, der populistische Strategien benutzte, die heute zum Standardrepertoire gehören – auf der Bühne erläutern dies Schauspieler in Blondperücke als Dreifachkopie des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders.
Umstrittenes "Projekt 18"
Manchmal verdeutlichen Texteinschübe noch ganz andere Zusammenhänge: Etwa, dass Fritz Goergen, einst Kampagnenleiter für Möllemanns Wahlziel 18 Prozent, gedruckt auf Schuhsohlen und aufs Guidomobil, heute zum Stichwortgeber der AfD geworden ist. Dass die Zahl 18 auch eine direkte Anspielung auf die Initialen von Adolf Hitler im Alphabet sein könnte. Dass die gefeierte Werbeagentur Heimat Berlin für die FDP Hitler auf ein Wahlplakat setzen wollte. Und dass insbesondere die NRW-FDP, Möllemanns Wirkungsstätte, von Altnazis und ehemaligen SS-Größen unterwandert war. Zwar wird das – in ebenfalls populistischer Manier – effektheischend nebeneinander gestellt. Und doch ist der Abend Stadttheater im besten Sinne: mit Münsteraner Lokalkolorit wird gezeigt, wie Neoliberale schon früh Grundlagen legten für eine gesellschaftliche Spaltung Deutschlands