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Betreuungsgeld als "Bestandteil der Wahlfreiheit"

"Mich überrascht immer diese Wut, mit der gegen das Betreuungsgeld andiskutiert wird", sagt Johannes Singhammer (CSU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Man könne jetzt über die Umsetzung diskutieren nicht aber über den Grundsatz des Betreuungsgeldes.

Johannes Singhammer im Gespräch mit Silvia Engels | 20.06.2012
    Silvia Engels: Am Telefon ist Johannes Singhammer, stellvertretender Fraktionschef der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, er gehört der CSU an. Guten Tag, Herr Singhammer.

    Johannes Singhammer: Grüß Gott aus München!

    Engels: Im Bundesbildungsbericht ist jetzt offenbar nachzulesen, dass es die Gefahr des Betreuungsgeldes gäbe, dass keines der angestrebten Ziele wie Betreuungsplatzausbau oder Verbesserung der Kindergärten gemeinsam erreicht werden könne, weil nicht für alles genügend Geld da ist. Was sagen Sie?

    Singhammer: Diese Gefahr sehe ich ganz und gar nicht, denn die wirklich großen Summen, Ausgabensummen, sind ja für den Ausbau der Kindertagesstätten vorgesehen. Dem gegenüber sind die Ausgaben für das Betreuungsgeld wesentlich geringer. Und wenn man es einfach mal umrechnet, nur von der Summe her, wobei das nicht das entscheidende Argument ist, pro Platz beispielsweise in München, meine Heimatstadt, da kostet für die öffentliche Hand insgesamt ein Kindertagesstättenplatz etwa an die 1100 Euro. Dem gegenüber ist das Betreuungsgeld ein Zehntel davon. Also ich denke, das Finanzargument zieht nicht.

    Engels: Wenn man aber die Kommunen fragt, die ja gerade beim Kita-Ausbau viel bezahlen müssen, dann argumentieren sie ganz ähnlich, dass das Geld, das jetzt ins Betreuungsgeld fließen solle, durchaus helfen würde, wenigstens doch einen Teil von den zugesicherten Kita-Plätzen, die ja die Bundesregierung in Aussicht gestellt hat, schaffen zu können.

    Singhammer: Also wenn man eben diese Zahlen noch mal sieht und auch die Anstrengungen und Bemühungen vieler Kommunen, den Rechtsanspruch auch zeitgerecht umzusetzen, und vor allem auch mit den Schwierigkeiten, die notwendigen Erzieherinnen/Erzieher als Qualität auch zu finden, dann, denke ich mal, ist es für viele Kommunen sowohl finanziell als auch organisatorisch eine durchaus angenehme Sache, verweisen zu können, dass es das Betreuungsgeld gibt, vor allem dann, wenn die eine oder andere Kommune den Rechtsanspruch nicht realisieren sollte.

    Engels: Jetzt schauen wir auf die inhaltliche Kritik der Experten. Die kommen ja im Bundesbildungsbericht wieder mit dem bekannten Argument, durch dieses Betreuungsgeld bestehe die Gefahr, dass vor allem Kinder aus bildungsferneren Schichten, die ja eigentlich besonders vom Lernangebot der Kitas profitieren, nicht mehr hingehen würden.

    Singhammer: Also mich überrascht immer diese Wut, mit der gegen das Betreuungsgeld andiskutiert wird, und auch die Vermengung von völlig unterschiedlichen Sachverhalten. Es wird immer wieder vermengt und auch in diesem Fall, dass es hier nicht darum geht, Kindergarten in irgendeiner Weise neu zu regeln. Gerade der Bezug auch darauf, dass drei Jahre vor Schulbeginn Kindergarten, Bildung, Erziehung stattfindet, ist ein völlig anderer Sachverhalt als der, den das Betreuungsgeld regeln soll. Das Betreuungsgeld regelt ja die Altersstufe eins bis drei, also genau nicht die Kindergartenzeit, und man darf deshalb auch nicht beides unzulässig vermischen. Das ist das erste. Und das zweite ist, dass es beim Betreuungsgeld selber um die Wahlfreiheit geht und vor allem auch damit die Wahlfreiheit für Bindung im Vordergrund steht. Bindung und Bildung ist in diesen ersten Lebensjahren bis zum dritten Lebensjahr besonders wichtig und deshalb wollen wir als einen Bestandteil der Wahlfreiheit dieses Betreuungsgeld einführen. Und diese ständige gebetsmühlenartige Betonung, man würde irgendjemandem da Bildungschancen rauben, ist einfach schlicht nicht richtig.

    Engels: Neben den inhaltlichen Argumenten gibt es ja auch eine stark politische Ebene, denn es gibt in der CDU und in der FDP ja nach wie vor auch breite Kritik am Betreuungsgeld. Wie finden Sie es denn, dass jetzt ausgerechnet ein Bericht, den unter anderem ein CDU-geführtes Bundesbildungsministerium in Auftrag gegeben hat, kaum ein gutes Haar am Betreuungsgeld lässt?

    Singhammer: Also ich finde das schade, vor allem, weil wir das ausreichend diskutiert haben, dass das Betreuungsgeld kommen soll. Das Betreuungsgeld geht zurück auf die Große Koalition im Jahr 2008, und damals ist schon im Kinderfördergesetz das Betreuungsgeld im Gesetz vereinbart worden, nicht allerdings die Ausgestaltung. Dann haben wir im Koalitionsvertrag das Betreuungsgeld festgelegt, alle drei Parteichefs, die Parteichefin haben das damals unterschrieben, die Koalition, und haben das gebilligt. Jetzt wird es umgesetzt und jetzt kann man natürlich über die Art und Weise der Umsetzung sehr wohl diskutieren, das ist auch völlig richtig so. Aber über den Grundsatz des Betreuungsgeldes ist spätestens mit der Unterschrift unter den Koalitionsvertrag entschieden worden, und ich höre auch immer sehr gerne und mit großem Respekt gerade auch vonseiten des Koalitionspartners, der FDP, die Worte, dass man koalitionstreu sei, und ich habe auch keinen Zweifel, dass das auch so der Fall sein wird.

    Engels: Jetzt gibt es ja auch Streit um die Frage, wann das Betreuungsgeld verabschiedet werden soll. Viele auch FDP-Parlamentarier pochen nun darauf, dass man sich mehr Zeit lassen soll, im Herbst eigentlich erst die Einbringung und Verabschiedung im Bundestag auf den Weg bringen soll. Wie sehen Sie es?

    Singhammer: Ich glaube, diese Forderung ist mittlerweile erfüllt durch die Ereignisse am vergangenen Freitag.

    Engels: Aber Herr Dobrindt hat zwischendurch wieder ins Gespräch gebracht, dass er sich auch durchaus eine Sondersitzung im Sommer vorstellen kann, um es einzubringen. Sie nicht?

    Singhammer: Ja es kommt darauf an, ob wir eine Sondersitzung haben, was keiner weiß zur Stunde. Jedenfalls findet jetzt in der regulären Sitzungswoche vor der sogenannten Sommerpause, die ja keine Sommerpause für Parlamentarier ist, jedenfalls findet die Einbringung nicht statt. Es besteht also genügend Zeit, sich jetzt intensiv mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, auseinanderzusetzen, zu prüfen, zu überlegen, auch darüber zu diskutieren, und insofern denke ich, dass diese Forderung damit durch diesen Zeitablauf, der jetzt klar in Richtung September, Oktober geht, erfüllt ist.

    Engels: Der Obmann der Unionsfraktion im Familienausschuss, Markus Grübel, kommt jetzt auch wieder mit einem Kompromissvorschlag. Ihm schwebt ein Wahlrecht zwischen der Barauszahlung des Betreuungsgeldes und einem Gutschein für den Abschluss einer Riester-Rente vor. Lassen Sie da noch mit sich reden?

    Singhammer: Also ich denke, reden muss man immer miteinander, vor allem, wenn man in einer einzigen Fraktion auch ist und zusammen das gleiche Ziel und die gleichen Grundlagen ja auch hat. Das ist selbstverständlich so und deshalb wird darüber auch gesprochen werden. Das andere ist, dass die Parteivorsitzenden bei dem zurückliegenden Koalitionsgipfel die Eckpunkte dieses Betreuungsgeldes abgesteckt haben, und ich denke, dass deshalb auch diese Eckpunkte, die dort abgesteckt worden sind, auch nicht überschritten werden können.

    Engels: Ist die Gefahr real, dass die Koalition am Betreuungsgeld zerbricht?

    Singhammer: Nein, in keiner Weise. Das Betreuungsgeld zeigt nur, dass die Union jetzt die Familienpolitik bestimmt. Wir haben jahrelang geradezu darunter gelitten in der Familienpolitik, wir haben uns immer in der Union als Familienpartei verstanden, aber in den Umfragen lagen wir immer an zweiter Stelle. Mit der Diskussion um die Kindertagesstätten, damals unter Ministerin von der Leyen, mit der Diskussion ums Betreuungsgeld haben wir die Kompetenz in der Familienpolitik entscheidend übernommen, liegen zum Teil auch immer an erster Stelle, und deshalb ist diese Diskussion nicht schädlich, sondern sie ist notwendig, weil sie zeigt, uns als Union liegt die Familie in besonderer Weise am Herzen.

    Engels: Die Meinung von Johannes Singhammer, stellvertretender Fraktionschef der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, er gehört der CSU an. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.

    Singhammer: Danke auch, Frau Engels.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.