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Betriebspraktikum in der Uni
Praxiserfahrung im Elfenbeinturm?

In Niedersachsen öffnen sich die Universitäten für Schülerpraktika. Das Schnupperstudium ist genau auf die Schulabgänger des Gymnasiums abgestimmt. Arbeitgeberverbände schauen skeptisch auf das Angebot - denn auch ihnen fehlen die Fachkräfte von morgen.

Von Alexander Budde | 11.11.2015
    793 Studenten sitzen bei der Erstsemesterbegrüßung am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau in Koblenz-Rheinland-Pfalz im großen Hörsaal.
    Unis in Niedersachsen bieten für Schulabgänger Schnupperstudien an, die ein Betriebspraktikum im Wissenschaftsbereich darstellen sollen. (dpa / picture alliance / Thomas Frey)
    Nils Leichnitz vom Hermann-Billung-Gymnasium in Celle sitzt an diesem Morgen mit anderen Zehnt- und Elftklässlern in einem Kursraum der Leibniz Universität Hannover. Er plant die verbleibenden Tage seines Hochschulpraktikums. Wirtschaftsingenieur ist ein Beruf, der ihm gefallen könnte, vermutet der Schnupperstudent. In diesem Jahr hat sich Leichnitz für die Uni entschieden, aber auch ein Praktikum beim Autobauer Volkswagen hat er schon absolviert.
    "Ich habe auch oft mit meinem Vater schon drüber geredet – und er meinte auch, das wäre ganz gut - und man kann auch viel erreichen, in dem Fachgebiet!"
    "Mit Vielfalt Zukunft gestalten": Unter diesem Motto will die Universität den interessierten Nachwuchs vom Mehrwert eines Studiums überzeugen, sagt Projektleiterin Andrea Schmidt.
    "Wir wollen alle mitnehmen, da wo sie sind! Viele Schülerinnen und Schüler aus nicht akademischen Elternhäusern zum Beispiel, die haben nicht die Chance, von zuhause mitzukriegen, "Studier doch mal!", sondern die können jetzt einfach mal in die Universität kommen - und gucken: "Ist das etwas für mich?"
    Die Alma Mater buhlt schon um die Kleinsten: Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, soll erst gar nicht aufkommen. Die frühe praktische Erfahrung soll jungen Menschen helfen, den eigenen Bildungsweg zu planen:
    Uni wirbt in der Schule mit Praktikaplätzen
    Andrea Schmidt:
    "Deswegen gehen wir auch ganz proaktiv auf die Schulen zu und in die Schulklassen rein – mit ganz unterschiedlichen Veranstaltungen – und sprechen die Schüler ganz direkt an. Dann gibt es das Leibniz JuniorLab für die vierte Klasse, da fahren wir mit einem Experimente-Bus in Grundschulen der Hannover und begeistern sie für unterschiedliche Fachrichtungen wie Physik, Maschinenbau oder Meteorologie, um einfach zu zeigen, was macht ein Wissenschaftler eigentlich?"
    Die Leibniz Universität lockt mit Gastvorlesungen für Kinder, mit den üblichen Workshops und Orientierungstagen, mit Juniorstudium und Hochschulpraktikum.
    Volker Schmidt:
    "Eine rechtzeitige Information über mögliche künftige Studieninhalte ist immer dazu angetan, die Studienabbrecherquote später zu senken. Insoweit ist das grundsätzlich immer begrüßenswert, Hochschulpraktika zu machen!"
    Betriebspraktikum gegen Hochschulpraktikum?
    Sagt Volker Schmidt diplomatisch – doch dann macht der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes NiedersachsenMetall einer gewissen Verstimmung Luft:
    "Was ein bisschen unglücklich ist, ist sicherlich der Umstand, dass hier offensichtlich versucht wird, das Betriebspraktikum gegen das Hochschulpraktikum auszuspielen - und das kann es am Ende nicht sein!
    In der vernetzten Fabrik der Zukunft werden Lagersysteme, Maschinen und einzelne Werkstücke zunehmend eigenständig miteinander Informationen austauschen. Die Regeln, nach denen das geschieht, sind aber noch Menschenwerk – und Fachkräfte werden schon heute händeringend gesucht:
    Volker Schmidt:
    "Tatsache ist, dass wir einen erheblichen Bedarf an jugendlichem Nachwuchs haben in der dualen Ausbildung. In den klassischen MINT-Berufen fehlen uns heute in Niedersachsen allein über 22.000 Jugendliche, die sich auf Ausbildungsstellen in unserer Industrie und anderen Industriezweigen bewerben. Das sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die hier große Nachwuchssorgen haben. Gerade die immense Herausforderung von Industrie 4.0 zwingt uns dazu, viel innovativer zu werden. Wir brauchen sowohl den Praktiker, den Techniker als auch den Akademiker!"
    Schmidt lobt indes die Öffnung der Hochschulen für das klassische duale Studium. Die berufsbegleitende Qualifizierung sei ein "Wachstumsfeld", das hierzulande noch viel zu wenig beackert werde.
    Mitnichten sei die Landesregierung gewillt, junge Leute in den Elfenbeinturm der Universitäten zu treiben, beschwichtigt Susanne Schrammer. Sie ist Sprecherin der niedersächsischen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt von der SPD:
    "Gerade jetzt im Zuge des modernen neuen Abiturs nach 13 Schuljahren wird es so sein, dass am Gymnasium erstmals auch ein stärkerer Aspekt auf Berufsorientierung gelegt wird. Es wird zum Beispiel im elften Jahrgang ein zusätzliches Betriebspraktikum geben, um eben auch Abiturienten eine duale Berufsausbildung schmackhaft zu machen. Es geht vor allen Dingen darum, auch Kompetenzen und Stärken festzustellen - und es ist natürlich sehr begrüßenswert, wenn die Universitäten auch den Schülerinnen und Schülern zeigen: Wie sieht so ein Universitätsalltag eigentlich aus?"
    Martin Albrecht ist noch unentschieden. Der Vater Psychologe, die Mutter Ergotherapeutin kann sich der Sohn die praktische Ausbildung bei der Polizei gerade genauso gut vorstellen wie ein Hochschulstudium. Für beides, schmunzelt er, empfiehlt sich der geregelte Überblick:
    "Meine Mappenführung ist jetzt nicht so perfekt. Und da merke ich jetzt halt hier schon, dass teilweise manche Blätter fehlen. Aber, ich kriege die alle wieder an Land, keine Sorge. Und das wird halt später noch extremer werden hier im Unileben, weil wenn Du da einmal Deine Sachen nicht dabei hast – Du kannst nicht mitmachen!"