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Betriebsratswahlen 2018
Engagierter Nachwuchs gesucht

Sie wollen Aufstiegschancen, flexible Arbeitszeiten und mehr Mitspracherecht: junge, engagierte Beschäftigte in deutschen Unternehmen. In Betriebsräten sind die unter 30-Jährigen allerdings unterrepräsentiert. Viele Gewerkschaften streben nun einen Generationswechsel an - was aber nicht so einfach ist.

Von Arne Schulz | 19.03.2018
    Beschäftigte kommunaler Kinderbetreuungseinrichtungen und ein kleiner Junge nehmen am 11.05.2015 in München an der Demonstration zum Kita-Warnstreik in Bayern teil und halten Verdi-Flaggen in die Luft
    Frauen und Männer unter 30 machen 25 Prozent der Mitarbeiter in den Betrieben aus - aber nur elf Prozent unter den Betriebsräten. (dpa / Sven Hoppe)
    Katja Karger läuft zielstrebig auf einen der parkenden Linienbusse zu. Sie drückt eine weiße Papiertüte gegen die Scheibe - der Fahrer öffnet.
    "Moin! Wir machen Werbung für die Betriebsratswahlen. Darf ich Dir ein bisschen was mitgeben? Ist auch ein Müsli drin, und ein bisschen was zum Naschen und so."
    Karger ist Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Hamburg. Etwa 1.000 Info-Tüten will sie heute, zusammen mit einigen Freiwilligen, vor dem U- und S-Bahnhof Barmbek verteilen. Es läuft ganz gut, auch dank der mitgebrachten Lockmittel.
    "Das drück ich dann dir in die Hand. Sind ein paar Informationen drin und ein bisschen Studentenfutter und so. Und vielleicht können Sie ein bisschen Werbung dafür machen. Ja? Super, vielen Dank." - "Und Leckerli, genau."
    Viele der Gremien sind überaltert
    In etwa 28.000 Betrieben in ganz Deutschland wird bis Ende Mai gewählt, schätzt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Unter dem Dach des DGB haben sich acht Gewerkschaften von der IG Metall bis ver.di organisiert. Bei den Betriebsratswahlen in diesem Jahr müssen sie sich nicht nur mit rechten Gruppierungen auseinandersetzen, die versuchen in den Betriebsräten Fuß zu fassen. Die etablierten Gewerkschaften haben sich auch vorgenommen, einen Generationswechsel einzuleiten. Denn viele der Gremien sind überaltert.
    Es sei an der Zeit, sagt Karger, "dass wir mal irgendwann den Staffelstab weitergeben und nicht immer auf unseren Posten sitzen bleiben und das - glaube ich - kommt jetzt gerade in Bewegung. Und das passiert fast bei allen auf irgendeine Art und Weise."
    Bislang engagieren sich junge Menschen nur selten im Betriebsrat. In einer umfangreichen Stichprobe der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2015 waren 25 Prozent der Beschäftigten jünger als 30. Unter den Betriebsräten waren es aber nur elf Prozent.
    Eine rote Kappe mit IG Metall-Logo und eine angebissene Brezel liegen auf einem Tisch.
    Rund 2,2 Millionen Mitglieder zählt die größte deutsche Gewerkschaft IG Metall (dpa / Sebastian Willnow)
    Junge häufiger in befristeten Anstellungen
    Es gebe mehrere Gründe, warum Jüngere in den Gremien unterrepräsentiert sind, sagt der Arbeitsmarktforscher Claus Schnabel. Teilweise fehle den Jüngeren einfach noch die nötige Erfahrung.
    Eine wichtige Rolle spiele aber auch, "dass eben jüngere Arbeitnehmer oft auch in befristeten Beschäftigungsverhältnissen sind. Und sich dann lieber nicht engagieren in einem Betriebsrat, weil es vielleicht auch ein bisschen riskant sein kann, wenn man eine dauerhafte Beschäftigung haben möchte", sagt der Professor von der Uni Erlangen-Nürnberg.
    Der Weg in den Betriebsrat führt in den meisten Fällen noch immer über eine der großen Gewerkschaften. Die beiden größten, IG Metall und ver.di, konnten ihre Mitgliederzahlen in den vergangenen Jahren stabilisieren. Etwas weniger als zwei Millionen sind es bei ver.di, mehr als 2,2 Millionen bei der IG Metall. Trotzdem sind Menschen unter 30 in den Arbeitsnehmervertretungen ähnlich unterrepräsentiert wie in den Betriebsräten. Ein Grund laut Schnabel: Die Jüngeren seien stärker individualistisch geprägt.
    "Und sie halten tendenziell weniger von Massenorganisationen wie zum Beispiel auch Gewerkschaften. Und aus diesem Grund, weil sie weniger kollektivistisch organisiert sind, organisieren sie sich vielleicht auch weniger im Betriebsrat."
    Generationswechsel "kein Selbstläufer"
    Noch ist die Situation in den Betriebsräten nicht dramatisch, aber der Druck wächst. Die IG Metall hat zum Beispiel ausgerechnet, dass bis zum Jahr 2030 mehr als 30.000 ihrer aktuell knapp 80.000 Betriebsräte in den Ruhestand gehen werden. Der Generationswechsel in den Betrieben werde allerdings kein Selbstläufer, meint Schnabel.
    "Man muss schon einiges tun, um gerade jüngere Mitarbeiter zu überzeugen, in den Betriebsrat hineinzugehen. Sie haben oft gar nicht die Erfahrung, was ein Betriebsrat bewirken kann, weil sie zum Beispiel noch keine große Krise mitgemacht haben. Wie wertvoll ein Betriebsrat sein kann, wird erst dann klar, wenn der Betrieb in Schwierigkeiten gerät."
    Etwa wenn - wie zuletzt in der Finanzkrise - in vielen Betrieben Kündigungen drohen. Denn dabei hat der Betriebsrat ein Mitspracherecht. Auch Klaus Dörre von der Uni Jena sagt, der anstehende Umbruch sei eine große Aufgabe.
    "Aber die Chancen stehen da, glaube ich, gar nicht so schlecht, weil wir mit Blick auf die jüngere Generation durchaus beobachten, dass die Bereitschaft, sich zu engagieren, auch im Betrieb zu engagieren, wieder zunimmt."
    Neue Kampfbereitschaft
    Dafür sieht der Soziologie-Professor einige Indizien. So habe er es noch vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten, dass junge Erzieherinnen für die Aufwertung ihres Berufsstandes in Streik treten. Auch bei seinen jüngsten Befragungen in einigen ostdeutschen Betrieben habe er eine neue Kampfbereitschaft erlebt, gerade unter den Jüngeren.
    Zwei junge Frauen zeigen am 26.01.2017 in Berlin bei einem Streik der Berliner Erzieher und Sozialpädagogen Schilder mit der Aufschrift "Wir sind es wert" und "Wir erziehen unsere Zukunft, wir sind mehr wert!". 
    Junge Erzieher und Erzieherinnen streiken 2017 in Berlin (dpa / Britta Pedersen)
    Dörres Eindruck: "Das ist jetzt eine Generation, die sagt, das machen wir so nicht mehr mit. Die Konjunktur brummt. Wir wollen jetzt mehr Lohn und jetzt bessere Arbeitsbedingungen und dafür sind wir bereit, uns auch zu organisieren und zu kämpfen. Und ich bin ziemlich sicher, dass das auch dazu führen wird, dass man neue Betriebsrätinnen und Betriebsräte finden wird."
    Wie viele begeisterungsfähige junge Menschen es tatsächlich gibt, kann nur die Zukunft zeigen. In jedem Fall müssen die Gewerkschaften es schaffen, Jüngere in den Betrieben zu mobilisieren. Wie kann das gelingen? Und wie tickt eigentlich diese junge Generation?
    Den Jüngeren eine Stimme geben
    Anfang Februar in einem Hotel am Rande Hannovers. Die Tarifkommission der IG Metall Niedersachsen berät über das Ergebnis der jüngsten Verhandlungen mit den Arbeitgebern. Am Schnittchen-Buffet steht auch Ali Dursun. Der 23-jährige aus Salzgitter hat anstrengende Wochen hinter sich.
    "Die letzten Tage von den Powerstreiks, die sitzen mir noch tief in den Knochen, weil: Da war ich über 42 Stunden wach und ich konnte mich immer noch nicht ganz erholen. Ich bin glücklich, dass die Powerstreiks was gebracht haben. Und ich bin froh, dass wir hier heute über die Ergebnisse abstimmen können."
    Dursun arbeitet für ein Maschinenbau-Unternehmen. Fast über einen ganzen Tag hatten er und seine Kollegen die Firma für mehr Lohn und flexiblere Arbeitszeitregelungen bestreikt. Jetzt ist der aufreibende Tarifkonflikt beendet, aber schon steht das nächste große Ereignis vor der Tür: die Betriebsratswahlen. Und Dursun, der bereits in der Jugend- und Auszubildendenvertretung seiner Firma sitzt, ist einer der Kandidaten.
    "Wir haben einen Altersdurchschnitt, der liegt ganz hoch. Die Ausbildung wurde komplett runtergedreht, sag ich mal. In den letzten Jahren wurde sehr knapp ausgebildet. Und man muss halt auch sehen, dass auch junge Kräfte in den Betriebsrat kommen. Da sind auch viele ältere Kollegen."
    Dursun will den Jüngeren eine Stimme geben - sich zum Beispiel für eine sichere Perspektive für die Auszubildenden einsetzen. Die Rolle scheint ihm zu liegen. In der Realschule engagierte er sich als Klassen- und Schulsprecher. Als die IG Metall später in seinem Ausbildungsbetrieb Werbung machte, war er sofort dabei.
    "Dann hatte ich Kontakt mit den Vertrauensleuten, die sind auf mich zugekommen. Und so bin ich da reingekommen. Und dann gab es halt den Ortsjugendausschuss. Wurde da immer aktiver, immer mehr mitgemacht, immer mehr Aktionen, und: ja."
    Mit 23 Jahren ein Exot
    Der klassische Weg für den Nachwuchs. Aber ist der noch zeitgemäß? In seinem Betrieb in Salzgitter würden sich nur wenige Jüngere engagieren, gibt Dursun zu. Und dafür hat der junge Industriemechaniker sogar ein gewisses Verständnis. Wenn er sich von der Arbeit befreien lasse - etwa um eine Sitzung der Jugend- und Auszubildendenvertretung vorzubereiten - dann müsse er sich einiges anhören, auch von den eigenen Kollegen.
    "Es ist stressig. Vor allem, wenn man Druck von allen Seiten kriegt. Ja, die Maschine steht, wenn du hoch gehst. Die Produktion steht. - Und was weiß ich nicht alles. Da kommt es auch schon mal vor, dass man länger macht, um das alles hinzukriegen."
    Überhaupt scheint Dursun ziemlich klar zu sein, worauf er sich einlässt. Neben dem Betriebsrat, erzählt er, warteten noch mehrere Ehrenämter auf ihn: in der Tarifkommission zum Beispiel und in verschiedenen Ausschüssen.
    "Und wichtig ist da wirklich, dass man das gerne macht. Also nicht, weil irgendwer jemanden angesprochen hat: 'Ja mach das mal, sonst haben wir zu viele alte Leute im Betriebsrat.' Weil: man bindet sich sehr viel Zeit ans Bein."
    Trotzdem hat bei ihm die klassische Nachwuchsgewinnung über Jugendausschüsse und -vertretungen funktioniert. Aber Dursun, der mit nur 23 Jahren in den Betriebsrat will, ist auch ein Exot.
    Lücke zwischen 25 und 35 Jahren
    "Ja?" - "Auf der letzten Seite relativ weit unten:'Ursache hierfür war wohl nach der Auseinandersetzung mit dem Individual-Anarchismus'."
    Ein Treffen der Perspektive U35 in Hamburg - ein Nachwuchsprogramm von ver.di. Die Teilnehmer hier sind alle etwas älter als Ali Dursun: zwischen 25 und 35 Jahre. Und das habe einen Grund, erklärt die Projektleiterin Anna Janzen.
    "Dass wir in den Gewerkschaften festgestellt haben, dass wir eine Lücke haben in unseren aktiven Kreisen. Wir haben viele, die in der Jugend aktiv sind. Jugend ist bei uns offiziell bis 28. Und dann sind halt die Gremien doch teilweise sehr überaltert."
    Die Lücke entsteht bei der mittleren Generation. Zwischen 25 und 35 Jahren legen viele die Grundlage für ihre Karriere. Sie gründen eine Familie, bauen ein Haus oder kaufen eine Wohnung. Wenn die Gewerkschaften ausgerechnet diese jungen Menschen für den Betriebsrat gewinnen wollen, müssen sie viel Überzeugungsarbeit leisten - deshalb Programme wie die Perspektive U35.
    "Und das ist so für mich die brennende Frage gerade: Wie kann man wieder so ein Stück Solidarität ins Zentrum der Gesellschaft stellen."
    Eigentlich geht es heute um die Geschichte der Gewerkschaften, doch die Gruppe ist schnell in der Gegenwart gelandet.
    "Wenn ich jetzt so meine Erwerbsbiografie durchgehe, welche verschiedenen Jobs ich schon hatte. Da denke ich so, okay, jedes Jahr kriege ich einen neuen befristeten Vertrag bei einem anderen Arbeitgeber."
    "Die Alten schaukeln so langsam Richtung Rente"
    Die 25 jungen Menschen sind zwar Mitglied bei ver.di. Dennoch schauen sie auch kritisch auf die etablierten Gewerkschaften - und auf die Arbeit der amtierenden Betriebsräte.
    Das wird in der Pause deutlich. Im Innenhof des Gewerkschaftshauses stehen zwei Teilnehmerinnen, die in diesem Jahr zum ersten Mal für den Betriebsrat kandidieren. Beide sind Anfang dreißig.
    "Ich als junger Mensch habe andere Belange als die Älteren. Was mich in vielen Unternehmen auch stört, ist die Bestandswahrung. Das heißt, alle Arbeitsverträge, Rechte, die die ältere Belegschaft hat, die bleiben bestehen. Aber nach unten hin kürzt man. Und das habe ich auch konkret in meinem Unternehmen und das stört mich!", sagt Serpil Yilmaz, die in der Bankenbranche arbeitet.
    Auch die zweite Kandidatin, Amina Felczak, ist bei einer Bank angestellt. Sie findet, dass die Älteren in ihrem Betrieb deutlich bessergestellt sind.
    "Die Alten bei uns im Betrieb schaukeln so langsam Richtung Rente oder Richtung Pension. Und ruhen sich darauf aus, dass sie eigentlich ein ganz gutes Gehalt haben. Und wir fallen so ein bisschen hinten runter, weil für uns eigentlich nichts getan wird."
    Beide wollen, dass der Betriebsrat sich mehr um die Anliegen der jüngeren Generation kümmert: Sichere Jobs, Aufstiegschancen, flexible Arbeitszeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
    "Also ich würde sagen, man darf nicht betriebsblind sein. Viele von denen sind betriebsblind und packen immer die gleichen Themen an und kauen die durch wie ein Kaugummi. Und haben aber nicht die Augen und Ohren offen für das, was im Betrieb wirklich so passiert."
    "Älteren deutlich machen, dass sie ihre Plätze räumen müssen"
    Yilmaz und Felczak arbeiten in Unternehmen, die vor großen Umbrüchen stehen. Viele Arbeitsschritte werden wohl künftig automatisiert. In so einer Situation sollten nicht nur die älteren Mitarbeiter im Betrieb über Weiterbildungen, Schichtpläne oder Kündigungen verhandeln, findet auch die Projektleiterin der Perspektive U35, Anna Janzen.
    "Wenn man sich so die Zukunft der Arbeitswelt anschaut, dann sind das eben die Fragen, die unsere Generation klären muss. Also Stichwort: Digitalisierung."
    Wie die Jobs in der digitalen Zukunft aussehen, werde jetzt in den Betrieben verhandelt. Wenn Jüngere noch mitreden wollten, müssten sie möglichst schnell in die Betriebsräte.
    "Und da sind wir natürlich auch als junge Gewerkschafterinnen dran, auch mit unseren älteren Kolleginnen und Kollegen zu sprechen und denen das auch klar und deutlich zu machen, dass sie auch mal ihre Plätze räumen müssen."
    Für ältere Betriebsräte mag das provokant klingen. Doch sie werden solche Äußerungen aus den ihren Unternehmen kennen.
    Probleme in neuen, digitalen Branchen
    Die Probleme im Betrieb selbst angehen - das möchte auch Georgia Palmer, die in Berlin für einen Essenslieferdienst arbeitet. Zusammen mit anderen jungen Kollegen kämpft sie dort für bessere Arbeitsbedingungen. Einen Betriebsrat wollen die Berliner Fahrer in nächster Zeit aber eher nicht gründen:
    "Weil eben der Prozess, bis man dann tatsächlich auch in der Realität diese Rechte ausüben kann, die man hat als Betriebsrat, sehr langwierig ist und auch von dem Unternehmen nicht unbedingt gefördert wird."
    Am Beispiel der Essenskuriere wird deutlich, wie anders manche jüngere ihre Probleme im Betrieb angehen. Auch, weil sie unter ganz anderen Bedingungen arbeiten.
    Radfahrer mit pinken und türkisen Liefer-Rucksäcken von Foodora und Deliveroo stehen zusammen an einer Straßenecke.
    Lieferdienst-Fahrer von Foodora und Deliveroo protestieren bei einer Fahraddemo in Berlin gegen die Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten. (imago / Christian Mang)
    Ein Werbespot von Palmers Arbeitgeber Foodora. Junge, gutgekleidete Menschen verschlingen Pizzastücke, knabbern an Spaghetti. Über die Onlineplattform ordern Kunden Essen von Restaurants in ihrer Nähe - Fahrradkuriere wie Palmer liefern es aus. Das Besondere daran: Fast alles läuft digital.
    "Es ist absolut durchautomatisiert, sozusagen. Jeder Arbeitsschritt ist irgendwie vorgegeben, was das Ganze relativ stumpf macht", findet Georgia Palmer.
    Die Aufträge bekommt die Mitte Zwanzigjährige über eine App. Sie akzeptiert, fährt los zum Restaurant, dann weiter zum Kunden. Der digital optimierte Job ist weitgehend anonym. Vertraute Kollegen? Fehlanzeige.
    "Wir haben keinen gemeinsamen Arbeitsplatz, wir sind eigentlich verteilt in der ganzen Stadt. Der Großteil der Kommunikation läuft über automatisierte Apps. Die Arbeitsaufteilung läuft über Algorithmen."
    Und trotzdem haben die Berliner Fahrer es geschafft, sich zu organisieren. Irgendwann gründeten einige Kuriere, die sich zufällig begegnet waren, eine Gruppe bei Whatsapp. Über den Chatdienst tauschten sie sich aus, auch über das, was sie an ihrem Arbeitgeber störte. Daraus entstand ein gemeinsamer Protest für bessere Arbeitsbedingungen - ein wichtiges Thema.
    "Die Handys müssen wir eben selber stellen und die Fahrräder auch. Und das ist was, was ich eben absolut unmöglich finde."
    Kleiner Erfolg ohne Betriebsrat
    Die Fahrer forderten, dass ihr Arbeitgeber die Reparaturen am Fahrrad bezahlt. Um diese Forderungen durchzusetzen, holten sie sich Unterstützung von der kleinen Basisgewerkschaft FAU, die auch beim Konkurrenten Deliveroo aktiv ist. Schließlich erzielten die Fahrrad-Kuriere einen Erfolg.
    "Nämlich, dass Foodora überhaupt erst mal eingestanden hat, dass sie da Kosten tragen müssen. Foodora hat uns jetzt sozusagen ein Guthaben eingerichtet, dass wir bei einem bestimmten Fahrradladen einlösen können."
    Auch wenn dieses Guthaben laut Palmer nicht alle Reparaturkosten abdeckt - die überwiegend jungen Fahrer haben gezeigt, dass man auch als Basis-Initiative ohne Betriebsrat kleine Erfolge feiern kann.
    "Letztlich ist es ja relativ einleuchtend so, dass die Arbeiterinnen, die in den Betrieben selber tagaus tagein arbeiten, natürlich am besten wissen, einerseits was sie wollen und andererseits eben auch, wie sie das durchsetzen können. Und deswegen finde ich es eben intuitiv einleuchtend, dass die Arbeiterinnen die Kampagnen am besten selbst führen können."
    Davon ist Palmer überzeugt. Manchmal aber greifen solche Basis-Initiativen später noch auf die Erfahrung der großen Gewerkschaften zurück. Zum Beispiel in Köln. Auch dort hatten Foodora- und Deliveroo-Fahrer sich zunächst alleine organisiert. Dann aber unterstützte die große Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten die Fahrer bei der Gründung eines Betriebsrats.
    Ähnliche Fälle kennt man auch in andere Gewerkschaften: Junge Mitarbeiter aus einem Startup kommen in die Beratung und fragen, wie sie ihre Ziele am besten durchsetzen können. Auch ver.di empfehle dann oft die Gründung eines Betriebsrats, erzählt der Bundesjugendsekretär der Gewerkschaft, Simon Habermaaß.
    "Aber die Kollegen sagen auch gleich: Naja, was wir nicht möchten ist dieser alter Typ von Stellvertreter-Betriebsrat. Und wir wählen jetzt einmal eine Person und die managt es dann für uns. - Nein, die wollen schon flache Hierarchien, breit geteiltes Wissen und die wollen im Grunde auch Methoden, Werkzeuge von uns."
    Der Stellvertreter-Betriebsrat ist laut Habermaaß einer, der sagt: Lasst mich mal machen, ich regele das schon! - Das würden viele Jüngere nicht mögen.
    "Weg von Gremien, hin zu Projektarbeit"
    Glaubt man Habermaaß, dann braucht es nicht nur einen Generationswechsel in den Betriebsräten, sondern auch einen Bewusstseinswandel - und einen neuen Typ Betriebsrat.
    Einer, der sagt: "Wir wollen alle Beschäftigte beteiligen. Wir wollen die empowern, selbst ermächtigen und gemeinsam die Probleme angehen. Wir befragen die, wir haben neue Beteiligungsformate. Also ein Stück weit auch weg von Gremien, von starren Strukturen, hin zu Projektarbeit - themenorientiert. Dahin, wo auch der gesellschaftliche Wandel hingeht."
    Mehr Beteiligung, mehr Offenheit für die Ideen der Mitarbeiter - ein Betriebsrat, der so arbeitet, läuft wohl kaum Gefahr, von Jüngeren als betriebsblind bezeichnet zu werden.
    "Und wir qualifizieren Betriebsräte, Jugend- und Auszubildendenvertreter genau für diese Sache!"
    Nicht nur ver.di, auch andere Gewerkschaften haben Programme entwickelt, um die Betriebsräte zu verjüngen und zu modernisieren. Es gibt also durchaus Ideen, wie man den Nachwuchs begeistern kann. Und begeisterungsfähige junge Menschen gibt es auch. Noch ist unklar, ob das für den anstehenden Generationswechsel reicht. Aber die Voraussetzungen sind vielleicht gar nicht so schlecht.