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Bettina Belitz
Nahe an den Lesern dank Blogs und Netzwerken

Bettina Belitz setzt bei der Vermarktung ihres neuen Romans vor allem auf Blogs und soziale Netzwerke. In dieser öffentlich ausgetragenen Kommunikation liegen viele Chancen, sich neue Horizonte zu erschließen - für beide Seiten.

Von Ina Nefzer | 21.06.2014
    Auf dem Display eines Smartphones sind die App-Logos verschiedener Social Media Plattformen zu sehen Derweil der Anbieter Facebook seit einiger Zeit Nutzer verliert, werden Dienste wie Snapchat, Tumblr, Twitter und Vine immer beliebter.
    Kontakt mit den Lesern per Blog, Facebook und Twitter- darauf setzt Bettina Belitz. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    "Hallo ihr Lieben. Es ist auch für mich das erste Mal, dass ich eine Lesung vorab mache - nur für Blogger. Es ist insofern schon eine aufregende Sache, es ist ja quasi Fachpublikum, was jetzt vor mir sitzt: die meisten werden ja auch das Buch rezensieren. Die dritte Stelle, die ich lese für euch, wird eine andere Stelle sein, als die, die ich morgen bei der öffentlichen Lesung lesen werde. Sie wird etwas intimer sein. Ich bin ganz froh, dass meine Mama nicht hier drin sitzt!"
    So begrüßte Autorin Bettina Belitz eine handverlesene Schar von zehn, überwiegend weiblichen Bloggerinnen kürzlich in Leipzig, um ihren neuesten Jugendroman "Vor uns die Nacht" vorzustellen. Was sofort auffällt, ist die große Vertrautheit. Man duzt sich, alle scheinen einander zu kennen.
    Denn dies ist keineswegs das erste Treffen der Autorin mit ihren Bloggern. Verlag und Autorin pflegen - seit Bettina Belitz' erstem Buch mit dem Titel "Splitterherz" - eine intensive, ganz neue Art der Kommunikation zu ihren Lesern. Wie es dazu kam, verrät sie im Gespräch:
    "Ich bin ja übers Internet entdeckt worden. Ich hatte selbst einen Blog im Internet und hab Auszüge von meinem einen Manuskript drauf gestellt und bin entdeckt worden. Also ich war quasi eine von denen, auch wenn es damals noch nicht so viele Literaturblogs gab wie heute. Und auch der Verlag hatte das gerade für sich entdeckt. Und die haben mich halt gefragt, ob ich bereit wäre, auch auf dieser Ebene 'Splitterherz' zu bewerben, weil ich war ja ganz unbekannt.
    Und da haben wir für ‚Splitterherz' einen eigenen Blog gemacht und haben dann so kleine Texte schon mal online gestellt, um das bisschen so anzuteasen. Ich bin da einfach von Anfang an reingewachsen, hab aber auch gemerkt, es macht mir echt Spaß. Ich bin auch relativ fit am Computer und hab inzwischen mehrere Profile. Ich mach Facebook, ich mach Google Plus, ich bin auch bei Twitter. Ich mach ab und zu kleine Youtube-Clips, zum Teil Trailer zu meinen Büchern, aber auch wo ich über meine Bücher erzähle. Das Prädikat 'nahbar' sozusagen."
    Ganz persönliche Lektürevorlieben
    Blogger sind in der Regel Leser, die besonders viel und besonders gerne lesen. Ihre Empfehlungen veröffentlichen sie, oft per Video, in eigenen Literatur-Blogs im Internet. Sie heißen "Geile-zeile.de" oder "www.anikas-geblubber.de".
    Die Domain-Namen zeigen: Was man hier zu lesen bekommt, hängt von ganz persönlichen Lektürevorlieben ab. Wie gut die ankommen, kann direkt an der Zahl der Follower abgelesen werden. Die Kommunikation zwischen Blogger und Follower funktioniert erstens auf Augenhöhe, zweitens wie die altbekannte Mund zu Mund-Propaganda. So postet "damarisliest.de" über "Vor uns die Nacht":
    "Die Story ging mir sofort in den Bauch und am Ende tief ins Herz."
    Blogger sind zwar erfahrene Leser, aber keine Journalisten mit professioneller Distanz. Sie urteilen mit dem Herzen und suchen ein schönes, intensives und emotionales Lektüreerlebnis. Das weiß Bettina Belitz und holt ihre Blogger ganz genau an diesem Punkt ab:
    "Es ist ein Liebesroman - das definitiv. Denn das Buch hat zwar seine intimen oder erotischen Momente, aber es gibt in diesen Szenen - ich hab das auch auf Facebook gestern gepostet - eine Metaebene, eine tiefere oder höhere Ebene, wenn man so will. Ich würde empfehlen, sich einfach so ein bisschen erwartungsfrei darauf einzulassen."
    Es geht um einen jungen Mann mit Namen Jan und eine Frau. Sie heißt Ronia, ist 21 Jahre alt und Studentin der Archäologie. Ihr Aufwachsen als Pfarrerstochter ist geprägt von Erwartungen anderer, die sie zunehmend einengen. In ihren Liebesbeziehungen wird sie immer wieder schon nach kurzer Zeit verlassen. Ronia ist verzweifelt, verunsichert und innerlich bereit, all die Dinge zu tun, vor denen Eltern ihre Kinder warnen, als sie Jan trifft:
    "Auf dem Geländer sitzt der interessanteste Entwurf Mensch, der mir seit Langem begegnet ist. Es erfordert sicher einiges an akrobatischem Geschick, sich auf diese schmale Geländerstange zu drapieren, dabei cool rüberzukommen und sich nicht gleichzeitig die Eier zu quetschen."
    "Ein gefallener Engel, der sich mit jeder Faser seines Seins dessen bewusst ist, wie verflucht schön er ist, auf eine abgerissene, unterschwellig sexuelle Art und Weise, das ja, aber trotzdem schön. Ich tue ihm den Gefallen, auf seine Show einzugehen ... Vielleicht schäme ich mich morgen dafür, doch noch ist die Tür hinter meinem Kummer offen und der weite, leere Raum, zu dem sie führt, zieht mich mehr und mehr in seinen Bann, als wolle er mir etwas zeigen, das ich nie wieder vergessen darf". (S. 21/24)
    Hinweise auf die Metaebene
    Fast verliert sich Ronia anfangs in diesem dunklen, erotischen Sog der Begegnungen mit Jan. Bei ihm spürt sie sich intensiv und wird - man kann fast sagen - süchtig nach diesem Gefühl. Wegen dieses Handlungsgeschehens, das sich viel, viel mehr innerlich als äußerlich abspielt, geschrieben in der Ich-Perspektive und in Präsens, hat Bettina Belitz' Roman über weite Strecken rauschhafte Züge. In der Entstehungszeit auch für die Autorin, wie sie ihren Bloggern verrät:
    "Angefangen zu schreiben hab ich Anfang Juni und Mitte August - also es war wieder sehr schnell - abgegeben. Das war auch wieder so ein bisschen wie im Rausch. Um das auch so intensiv mitzufühlen und schreiben zu können. Da muss ich wirklich jeden Tag ein Kapitel schreiben. Das war nicht immer einfach. Da muss man einen gewissen Tunnelblick haben. Ne, ich hab da eigentlich während einer Schreibphase nie Ruhe. Ich träume von denen nachts."
    Es wird dann doch noch sehr tiefgründig zwischen Jan und Ronia. Nach dem erotischen Taumel beginnt mitten im Schmerz auf einmal die richtige Liebesgeschichte. Genau hier liegt die Metaebene, auf die Bettina Belitz ihre Blogger eingangs hinwies. Nun wird sie noch deutlicher:
    "Geht es hier vielleicht auch bisschen um das Thema, wenn Seelen sich begegnen, weil sie sich schon kennen? Das werf ich jetzt mal so in den Raum. Vielleicht kann man vor diesem Hintergrund mal dieses Buch lesen. Das ist ein sehr schönes Thema, wie ich finde. Und wenn man da vielleicht ein bisschen dran denkt, wird man in diesem Buch Schätze finden. So wie Ronia möglicherweise Schätze findet. Und die nicht unbedingt nur in Jan, sondern auch in sich selbst.
    Es ist nicht so, dass ich meine Leser damit ärgern will, wenn's mal anstrengend wird. Überhaupt nicht. Sondern manchmal muss man sich verlieren, um sich zu finden. Und wenn sich das zu leicht liest, dann ist es nicht glaubwürdig."
    Man merkt: Bettina Belitz versucht alles, um ihren Lesern kompliziertere Bedeutungsstrukturen nahe zu bringen. Denn dafür - wie auch für eher unzugängliche oder gar unsympathische Charaktere - bekommt man in der Bloggerwelt gerne mal nur zwei Sterne als Wertung. Und so liegen in dieser neuen, öffentlich ausgetragenen Kommunikation viele Chancen, sich neue Horizonte zu erschließen - für beide Seiten.