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Bewandertes Gekritzel

Am Anfang seiner Karriere stellte sich Art Spiegelmann die Frage: Mache ich ein Werk und bekomme dafür eine Million, oder mache ich eine Million Werke und bekomme dafür dann vielleicht nur einen Dollar? Erfreulicherweise entschied sich der US-Zeichner und Comic-Künstler für den zweiten Weg.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Michael Köhler | 21.09.2012
    Michael Köhler: Zuerst aber an Stefan Koldehoff die Frage: Das Kölner Museum Ludwig zeigt ein Retrospektive von Comics, Zeichnungen und "übrigem Gekritzel" – so sagt er selber - des 64-jährigen amerikanischen Zeichners Art Spiegelman. Der hat mit Underground Comics in den 70ern angefangen, in einem eigenen Magazin, "RAW" hieß das, "Roh", später die Titelblätter vom "New Yorker" gemacht. "Maus. Die Geschichte eines Überlebenden" erschien Ende der 80er-Jahre, das war die Vernichtungspolitik der Nazis als Comic, Nazi-Katzen treiben Juden-Mäuse ins Konzentrationslager, das war ein Welterfolg. Was ist das, politische Kunst im Comic-Gewand, ganz ohne Gelächter?

    Stefan Koldehoff: Also zunächst mal ist das Aufarbeitung der eigenen Autobiographie, denn Art Spiegelman ist Jude, seine Eltern haben die Konzentrationslager der Nationalsozialisten überlebt, anders als sein älterer Bruder, der dort umgebracht worden ist, und er hat lange, lange, lange Gespräche mit seinem Vater geführt, was denn da war, hat erst zögerliche Antworten bekommen, hinterher dann ganz offene, und sagte mir gestern, dass das einfach seine Form der Verarbeitung war. Die Mutter hat dann übrigens später in den 60er-Jahren sich selbst das Leben genommen, ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen. Spiegelman vermutet, dass es natürlich mit den Erlebnissen im Nationalsozialismus zusammenhängt, hat darüber aber nie Gewissheit bekommen.

    Als diese beiden Bände, "Maus I" und "Maus II", vorher schon in Amerika in einer Zeitschrift kapitelweise veröffentlicht, erschienen sind, da war das natürlich zunächst mal ein großer Skandal. Dass sich da jemand wagt, den Nationalsozialismus in Gestalt von Tieren und dann noch Mäuse (die Assoziation zu den Ratten ist sehr nah) darzustellen, das musste man damals in Deutschland mal erst verkraften und verarbeiten, hat das dann aber sehr schnell getan, und es folgten ja weitere politische Arbeiten. Er hat erstens Cartoons gezeichnet, in denen er immer wieder ganz explizit Stellung genommen hat, er hat nach dem 11. September ein Buch veröffentlicht über die Anschläge aufs World Trade Center, hatte als einer der ersten auf der Rückseite dieses Buches auch fallende Figuren, also die Opfer, die bisher immer tabuisiert waren, nie im Bild dargestellt worden sind, gezeichnet – in Gestalt von Comic-Figuren. Das war wieder ein Skandal. Also politisch ist er immer gewesen und er hat auch im Gespräch ganz klar gesagt, ich kann mir meine Arbeit gar nicht anders als politisch vorstellen.

    Köhler: Er ist ein wahnsinnig guter Zeichner, der kennt die Kunstgeschichte. Viele Sachen erinnern gar nicht an Comics, sondern sind hoch komplex wie im Dadaismus collagiert, montiert. Hochgradig kunsthistorisch bewanderter Künstler?

    Koldehoff: Auf jeden Fall, denn wenn Sie durch die Ausstellung im Museum Ludwig gehen, dann begegnen Ihnen einige der Vorbilder. Dann strahlt Ihnen aus einem dieser Comic Strips plötzlich das Gesicht von Pablo Picasso entgegen und sagt, jeder Künstler muss eine Idee haben, er darf sie aber nur wage äußern, damit dem Betrachter noch genug Raum bleibt, auch die eigenen Ideen mit einzubringen. Roy Lichtenstein taucht an anderer Stelle auf und und und. Das schöne an dieser Ausstellung ist, dass Sie sehen, wie er zu seinen Bildern findet, denn es ist ja eigentlich ganz bemerkenswert, dass da jemand sozusagen nicht nur das fertige Werk in einer Ausstellung präsentiert, sondern auch offenlegt, wie er denn dahin gefunden hat. Dazu sagt Spiegelman aber, das ist doch der eigentliche Prozess der Kunst. Es ist doch nicht das fertige Ergebnis, sondern die Frage, wie gibt man Gedanken, wie gibt man Ideen überhaupt eine Form, wie findet man dahin, und das habe er mal zeigen wollen - das übrigens immer im Hinblick darauf, dass er seine Kunst massenhaft publiziert haben wollte. Er sagte, ganz zu Anfang seiner Karriere stand er wie so viele vor der Entscheidung, mache ich ein Werk und bekomme dafür eine Million, oder mache ich eine Million Werke, durch Verbreitung in Zeitungen oder in Comic Books, und bekomme dafür dann vielleicht nur einen Dollar, und ich habe mich für den zweiten Weg entschieden, weil ich ihn den demokratischeren finde.

    Köhler: Mit ihm – und das als letzte Frage – verbindet sich auch die Etablierung der Comic-Kunst als Literatur. Man spricht von der Graphic Novel, er kriegt auch den Suhrkamp-Literaturpreis, also ungewöhnlich. Von Daumier bis zu den Autoren des Jungen Deutschland ging man für Cartoons und Satire hinter Gitter, musste sich entweder preußischen Zensurmaßnahmen oder anderen Dingen beugen. Hat er eine Meinung zu den gegenwärtigen Skandalen und Auseinandersetzungen, Mohammed-Karikaturen und Schmähvideos?

    Koldehoff: Ja das hat er sehr deutlich und das hat er übrigens nicht nur seit dem Wiederaufflammen im wahrsten Sinne des Wortes dieses Konfliktes, sondern er hat schon 2006, als es zum ersten Mal über diese skandinavischen Karikaturen Auseinandersetzungen gab, im amerikanischen Magazin "Harper’s" einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er hingegangen ist und all diese damals inkriminierten, von islamischer Seite inkriminierten Karikaturen gezeigt, aufgeführt und dann bewertet hat, wie gut die denn zeichnerisch sind, und hat sie dann benotet mit einer Bombe bis vier Bomben. Die beste Zeitung bekam dann von ihm vier Bomben. – Angst, Scheu mit Sicherheit nie. Er ist der Meinung, die Kunst muss alles dürfen. Sie muss nicht alles machen und nicht alles müssen, aber wenn sich denn Künstler aus freier Entscheidung dazu entschließen, so etwas zeichnen zu wollen, so etwas pointiert zuzuspitzen, dann muss das möglich sein und dann darf niemand davor kneifen.

    Köhler: Sagt Stefan Koldehoff über den Comic-Zeichner Art Spiegelman, eine Retrospektive im Kölner Museum Ludwig.