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Bewegter Meeresboden

Geophysik. - Bis vor kurzem fehlte das Geld zu einer umfassenden Erforschung der Sumatra-Störung. Die Mittel flossen jedoch schlagartig, als sich am 26. Dezember 2004 dort eines der stärksten jemals registrierten Beben löste und ein verheerender Tsunami durch den Indischen Ozean rollte. Auf der Tagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union werden die neuesten Forschungsergebnisse zu dem damaligen Geschehen vorgestellt.

von Dagmar Röhrlich | 05.12.2005
    Urgewalten rissen den Meeresboden vor der Küste Sumatras auf einer Länge von 1200 Kilometern auf und lösten den verheerenden Tsunami aus. Nach dieser Katastrophe begann eine Art Staffellauf: Ein Forschungsschiff nach dem anderen besuchte die Störungszone.

    "Unser Team war interdisziplinär zusammengesetzt, und wir hatten sehr viel High-Tech-Ausrüstung für die Erkundung der Tiefsee an Bord, um in der Nähe des Epizentrums am Meeresboden nach Anzeichen für Veränderungen zu suchen."

    Stephan Grilli ist Tsunami-Forscher an der Universität von Rhode Island. Mit einem ferngesteuerten Unterwasser-Roboter untersuchte das Team an Bord der "Performer" in fast 5000 Metern Tiefe das Areal, wo die australische Platte unter der Indischen zurück in die Erde sinkt. An dieser so genannten Subduktionszone ist das Beben entstanden.

    "Das Erdbeben vom 26. Dezember hatte eine Stärke von 9,2 und war eines der größten seit Beginn der Aufzeichnungen. Wir haben also erwartet, dass wir am Meeresboden große Hebungen und viele submarine Erdrutsche sehen"."

    Schließlich hatten Sonaruntersuchungen Hinweise auf gewaltige Rutschungen erbracht, die den Tsunami erheblich verstärkt haben könnten.

    ""Wir wollten untersuchen, ob die Rutsche alt oder neu sind und was sie zu der Katastrophe in der indonesischen Provinz Aceh beigetragen haben, bei der fast 200.000 Menschen starben. Das Wasser soll dort an einigen Stellen als 50 Meter hohe Wand aufgelaufen sein."

    Auf der Suche nach Spuren, die diese immensen Wasserbewegungen erklären, erlebten die Wissenschaftler einige Überraschungen:

    "Erstens ist der Meeresboden über weite Gebiete hinweg sehr viel weniger gestört als angenommen. Zweitens aber fanden wir direkt an der Subduktionszone frische Kliffe, die sich über Hunderte von Metern hinziehen und an denen der Boden um bis zu zwölf Meter hochgeschnellt ist. In den Simulationen aus den Bebendaten waren nur Bewegungen im Bereich von sechs bis höchstens zehn Metern vorhergesagt worden. Angesichts dieser Werte müssen wir einiges an unseren Modellen ändern."
    Bei dieser Diskrepanz zwischen Modell und Wirklichkeit könnten die Gesteinseigenschaften eine wesentlich größere Rolle spielen als gedacht:

    "Die ozeanische Krustenplatte, die dort im Erdinneren verschwindet, besteht aus verschiedenen Gesteinen, nämlich aus Basalt und wassergesättigten Sedimenten, die sich im Lauf der Zeit abgelagert haben. Bislang haben wir bei den Modellrechnungen ein homogenes Material angenommen. Anscheinend unterschätzen wir dabei die Bewegungen, die ein Beben verursacht. Wir haben versuchshalber ein Zweischichtenmodell durchgerechnet, und da kamen wir zu wesentlich größeren Beträgen von bis zu zwölf Metern."

    Und anscheinend waren genau diese Bewegungen für das Ausmaß des Tsunami verantwortlich. Die submarinen Erdrutsche scheinen eine Nebenrolle gespielt haben. Einige der im Sonar ausgemachten großen Strukturen erwiesen sich sogar als etwa 1000 Jahre alt. Um ihre neuen Erkenntnisse zu testen, haben die Geologen gleich simuliert, was an einer ähnlichen Störung passieren könnte. Die Wahl fiel auf die Cascadia-Störung, die sich 50 bis 100 Kilometer vor der Westküste der USA nach Kanada zieht und an der die pazifische Krustenplatte unter Nordamerika verschwindet:

    "Dort ereignete sich das letzte große Beben im Jahr 1700, und damals entstand ein Tsunami. Eine Störung wie diese bewegt sich nur alle 300 bis 500 Jahre. Seit 1700 hat sie soviel Spannung aufgestaut, dass ein Beben der Stärke 9 entstehen könnte. Wir haben mit dem neuen Modell, dem Zweischichtenmodell, das Beben und den entstehenden Tsunami simuliert, und in Nordamerika könnte das Wasser mehr als 30 Meter hoch auflaufen. Das ist viel mehr, als bislang erwartet."

    Und eine Herausforderung für den Katastrophenschutz, so Grilli. Denn zwischen Beben und Eintreffen der Welle lägen in Seattle beispielsweise gerade einmal 15 Minuten.