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"Bewegung muss Spaß machen"

Wirksame Maßnahmen gegen Übergewicht müssten bereits in der Schule ansetzen, darauf weist der Sportpsychologe Henning Allmer hin. Viele Menschen hätten schon im Sportunterricht negative Erfahrungen mit Bewegung gemacht. Wie in anderen Schulfächern müsse man aber auch beim Sport die Leistungsschwächeren fördern, so Allmer.

Moderation: Bettina Klein | 10.05.2007
    Bettina Klein: Wir, die Deutschen, essen zu viel oder das falsche, sind zu dick und bewegen uns im Durchschnitt zu wenig. Die Regierung macht und machte ein Politikum daraus. Gestern hat sie einen Aktionsplan vorgelegt. Heute wird Verbraucherminister Seehofer im Bundestag eine Regierungserklärung abgeben. Kampf der Fettleibigkeit und ungesunden Lebensweise auf höchster Ebene also. Doch das Ändern der Gewohnheiten fängt bei jedem einzelnen an und da wird die Sache dann schon etwas schwieriger. Sportlich aktiver zum Beispiel wären viele gern, sagen Umfragen, doch mit dem Durchhalten sieht es anders aus. Das Abo im Fitness-Studio ist schnell unterschrieben, aber wie oft pro Woche wird dann trainiert? Das eigene Leben zu ändern, kann harte Arbeit bedeuten und dafür gibt es Gründe, die berücksichtigen muss, wer sich dazu entschließt. Was motiviert den Menschen dabei? Eine Frage, mit der sich der Sportpsychologe Henning Allmer Zeit seines Berufslebens beschäftigt hat. Er war bis zum vergangenen Jahr Leiter des sportpsychologischen Instituts an der Sporthochschule Köln und ist jetzt am Telefon. Ich frage mich: Wir müssten doch eigentlich alle ein natürliches Bedürfnis haben, gesund zu leben, uns gut zu ernähren, unserem Körper Gutes zu tun. Weshalb ist das für viele Menschen nicht selbstverständlich und funktioniert nicht automatisch?

    Henning Allmer: Dafür lässt sich erst mal keine eindeutige Erklärung geben. Es ist erst mal richtig, dass ein gewisses Bedürfnis nach Bewegung menschentypisch ist. Aber wenn man sich in der heutigen Gesellschaft umschaut, ist es ja geradezu typisch, dass immer mehr Bewegung abgebaut wird. Der technische Fortschritt führt ja geradezu in eine Bewegungsarmut, in einen Bewegungsmangel, so dass das natürliche Bewegungsbedürfnis gar nicht zur vollen Entfaltung kommt.

    Klein: Was bremst uns denn dabei genau?

    Allmer: Ich denke mal, dass die Bequemlichkeiten, die die Technik mit sich bringt, dass man mit dem Auto bis zum Bäcker fährt, dass man den Fahrstuhl benutzt, ohne die Treppen zu nehmen, dafür verantwortlich machen kann. Das heißt also der technische Fortschritt ist eigentlich ein typisches Zeichen für zunehmenden Bewegungsmangel.

    Klein: Aber wenn es uns doch gut tun würde und wir alle das Bedürfnis danach hätten, dann würden wir doch einfach mal eine halbe Stunde am Tag mit dem Fahrrad fahren oder eben nicht mit dem Auto. Die Technik kann doch eigentlich nicht als Ausrede dafür gelten?

    Allmer: Da kommt eine zweite Erklärung hinzu. Bewegung muss ja Spaß machen. Und wenn man an viele Bewegungsbiographien von Leuten denkt, dann hat Bewegung schon in den frühesten Erfahrungsjahren keinen Spaß gemacht. Denken wir an die vielen Schüler, die im Sportunterricht negative Erfahrung machen und damit, wie wir sagen, eine negative Bewegungssozialisation erfahren haben. Das heißt also, Bewegungseinschränkungen werden doch mehr stigmatisiert, als motivierende Wirkung zu haben.

    Klein: Wie können solche Erfahrungen dann im Laufe des Lebens überwunden werden?

    Allmer: Es geht darum, dass man Bewegung als eine Möglichkeit für sich selbst entwickelt, an dem Leben und am alltäglichen Umgang Spaß zu haben. Es darf also beispielsweise in der Schule nicht sein, dass nur die Leistungsstarken wie in allen Fächern berücksichtigt werden, sondern man muss sich auch bereits bei dem Sportunterricht um die Leistungsschwächeren kümmern. Das wäre ein wichtiger Faktor.

    Der zweite wichtige Faktor wäre, eben eine frühe positive Bewegungserfahrung zu sammeln, indem beispielsweise auch wesentlich mehr Bewegung und mehr Sport in der Schule angeboten wird. Das Fach, das am meisten in der Schule von Unterrichtsausfall leidet, ist ja gerade der Sportunterricht, dort wo die frühesten Bewegungserfahrungen gemacht werden.

    Klein: Und dann habe ich die Kindheit, die Schulzeit lange hinter mir, bin 30 oder 40. Wie finde ich dann heraus, was mir eigentlich Spaß macht? Wie lasse ich den Spaß am Sport dann wieder zu?

    Allmer: Da kommt dann wiederum ein neues Problem dazu. Mit dem Austritt aus der Schule wird ja eine neue Lebensperspektive entwickelt. Beruf, Familie und Bekanntschaften gewinnen eine hohe Bedeutung. Bewegung tritt also in den Hintergrund. Man sieht auch die große Bedeutung von Bewegung für die eigene Entwicklung nicht mehr, weil andere Lebensaufgaben vorrangig werden. Man kann feststellen, dass gerade Leute, die auch sportlich sehr aktiv gewesen sind im Jugendbereich, dann, wenn solche beruflichen Aufgaben anstehen, immer mehr mit ihrer sportlichen Tätigkeit zurücktreten.

    Klein: Und der Ausweg ist dann welcher nach Ihrer Erfahrung?

    Allmer: Der Ausweg kann nur der sein, dass der Betreffende an dem festhält und immer wieder eine hohe Bedeutung für Bewegung für sich in seinem eigenen Leben integriert. Das heißt also, es muss ein Bewusstsein für den Betreffenden geschaffen werden, dass Bewegung ein unverzichtbarer Bestandteil des Lebens werden muss.

    Klein: Nun ist der Mensch ja ein ganzheitliches Wesen, muss man sagen. Sprich, er funktioniert auf verschiedensten Ebenen. Die wirken aber sehr komplex miteinander. Was auf der einen Ebene fehlt, wird auf der anderen Ebene vielleicht kompensiert. Falsches Essen, mangelnde Bewegung, Missbrauch legaler Drogen. Wird ausreichend berücksichtigt, dass das oft auch Ersatzhandlungen sind, sprich Defizite oder Probleme vielleicht im emotionalen Bereich dem zu Grunde legen, die man nicht einfach ausblenden kann? Was sagt der Psychologe dazu?

    Allmer: Da will ich Ihnen erst mal grundsätzlich Recht geben. Vielfach ist bei solchen Aktionen, die auch jetzt gerade wieder geplant werden, eine Reduzierung des Menschen auf den Körper vorgenommen worden. Das heißt es geht um die Dickleibigkeit und wie es hier unseriös heißt; Fettleibigkeit von Personen. Das ist der Körper, den man natürlich sehen kann. Aber dieser Körper, wie Sie ganz richtig sagen, hat Emotionen, hat psychische Erlebnisse, und man muss den jeweiligen Problembereich nicht nur auf körperliche Reaktionen reduzieren, sondern man muss beispielsweise sagen, dass fehlende Bewegung oder falsche Ernährung ja durchaus etwas mit Emotionen, vor allen Dingen mit Stress zu tun hat. Das heißt also wir gehen an die falsche Stelle, wenn wir den Körper verändern wollen, wenn wir nicht gleichzeitig berücksichtigen, dass psychische Prozesse ein Abbild des jeweiligen Körperbildes sind.

    Klein: Wie könnte dem mehr Rechnung getragen werden, in der Öffentlichkeit, vielleicht sogar von der Politik?

    Allmer: Ich denke, dass damit eigentlich schon der Hinweis gegeben ist. Wir müssen daran denken, dass nicht nur körperliche Symptome in den Vordergrund gestellt werden wie zum Beispiel beim Rauchen oder beim Bewegungsmangel beim Übergewicht. Es geht darum, dass hier der Mensch sich einen bestimmten Lebensstil zurechtgelegt hat, der solche negativen Folgeerscheinungen haben kann. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wenn jemand wenig Lust an Bewegungserfahrungen hat, dann kann das dazu führen, dass körperliche Reaktionen wie Dickleibigkeit, Fettleibigkeit entstehen können. Diese Fettleibigkeit selbst wiederum ist aber eine Ursache dafür, dass jemand keine Lust hat, keine Motivation hat, sich zu bewegen. Damit ist ein Teufelskreis entstanden, der nur über einen langwierigen Prozess aufgelöst werden kann.