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Bewundert in der Welt, ignoriert in der Heimat

Brasilien, das ist das Land des Fußballs. Des Männerfußballs – muss man wohl hinzufügen. Der Frauenfußball ist zwar auch Weltklasse – wird aber im eigenen Land kaum beachtet. Die Medien ignorieren den Frauenfußball weitestgehend, entsprechend gibt es kaum Sponsoren und auch Vereine und Verbände kümmern sich so gut wie gar nicht um Frauen und Mädchenfuß-ball.

Von Peer Vorderwülbecke | 19.06.2011
    Nationaltrainer Kleiton Lima hat seine Karriere als Coach einer Frauenmann-schaft in Kalifornien begonnen. Er weiß genau, wie der brasilianische Frauenfußball im internationalen Vergleich da steht:

    "Ohne Zweifel, wir sind hinten dran. Hinter Deutschland, den asiatischen Ländern, den Amerikanerinnen oder den Skandinavierinnen. Das liegt daran, dass unsere Spielerinnen viel zu spät in einen Verein kommen. Viele erst mit 17 oder 18 Jahren. Sie spielen vielleicht schon länger, aber eben auf der Straße, ohne Anleitung, ohne taktische Schulung. Wir brauchen eine bessere Struktur, so wie sie die anderen Länder schon haben."

    Momentan ist die Struktur des Frauenfußballs in Brasilien desolat. An eine landesweite erste Liga ist überhaupt nicht zu denken. Vielleicht verständlich in einem Land, das 26 Mal so groß ist wie Deutschland. Aber auch regional sieht es nicht besser aus: In den meisten Bundesstaaten existiert Frauenfußball überhaupt nicht. Eine halbwegs organisierte Struktur gibt es nur in den wohl-habenden Bundesstaaten des Südostens. Also in Santa Catarina, Sao Paulo oder Rio de Janeiro. Aus diesen drei Bundesstatten rekrutieren sich auch die Spielerinnen der Nationalmannschaft.

    Die OK-Präsidentin Steffi Jones hat auf ihrer Welcome Tour auch Station in Rio de Janeiro gemacht. Dort hat sie sich die Frauenabteilung des Traditions-vereins Vasco da Gama angeschaut. Einer der wenigen großen Vereine, die sich überhaupt mit Frauenfußball befassen. Für brasilianische Verhältnisse sind die Bedingungen dort sehr gut – Steffi Jones war trotzdem alles andere als euphorisch:

    "Ich glaube, dass hier noch viel im Argen liegt und noch einiges getan werden könnte, um den Frauenfußball voranzubringen. Mädchen und Frauen spielen ja auch überall, auf der Straße oder am Strand. Und das sind gute Fußballerinnen. Da kann ich nicht verstehen, dass man so männerlastig denkt und den Frauen keine Chance gibt. Also da ist noch sehr, sehr viel Nachholbedarf da."

    Die Unterschiede zwischen Frauen und Männerfußball sind auf der ganzen Welt groß, aber ausgerechnet im Fußball-Land Brasilien scheinen sie extrem zu sein. Gut 20 000 Fußballprofis gibt es in Brasilien – darunter ist nicht eine Frau. Nachholbedarf gibt es auch in der Organisation des Spielbetriebs und der Struktur von Vereinen und Verbänden. Viele Frauen spielen tatsächlich Fußball. Aber nur geschätzte 3000 nehmen an einem mehr oder weniger geregelten Spielbetrieb teil. Zum Vergleich: In Deutschland spielen über 700 tausend Frauen organisiert Fußball.

    Lichtblick in Brasilien ist der Bundesstaat Sao Paulo mit seinen 40 mio. Einwohnern. Hier gibt es mehrere Ligen für fußballspielende Frauen und es gibt den FC Santos. Der Traditionsverein ist der Vorzeigeclub im brasilianischen Frauenfußball. Nirgendwo sonst im Land wird der Mädchen und Frauenfußball auf so hohem Niveau gefördert. Und das aus Prinzip, sagt sagt Murilo Barleta, Sportdirektor der Frauenabteilung.

    "Wir haben eine Verpflichtung gegenüber der Marke FC Santos. Unsere Männermannschaft gehört zu den besten Brasiliens, unsere Hallenfußballer sind hervorragend und unsere Frauenmannschaft ist sogar die beste in Südamerika. Das Projekt Santos steht für höchste Qualität im Fußball, und der Frauenfußball ist Teil des FC Santos."

    Geld verdient der Verein im Frauenfußball natürlich nicht, im Gegenteil, die Frauenabteilung ist ein Zuschuss-Geschäft. Aber zumindest hat der Verein ein ausgeklügeltes Finanzierungssystem entwickelt. Die Spielerinnen müssen Amateure sein. Weil fast alle in der Nationalmannschaft oder der Olympiaauswahl stehen, erhalten die Spielerinnen Förderung vom Staat und ein zusätzliche Unterstützung vom Bundesland Sao Paulo. Bis zu 2500 Euro lassen sich so pro Monat verdienen, für brasilianische Verhältnisse ein sehr ordentliches Gehalt. Deshalb steht auch der Großteil der Nationalspielerinnen beim FC Santos.

    Die meisten anderen Traditionsvereine können sich noch nicht durchringen, Frauenabteilungen aufzubauen. Auch der brasilianische Fußballverband ver-hält sich noch sehr zögerlich. Das hat auch Steffi Jones auf ihrer Welcome Tour in Brasilien bemerkt. Die OK-Präsidentin glaubt:

    Dass man hier auch einen Herr Dr. Zwanziger braucht, der Türen öffnet und eben sagt: Hey Leute, die Zukunft ist eben auch weiblich. Das wünsche ich mir, denn Mädels hier sollten auch Fußball spielen dürfen.

    Im Moment sind die meisten Türen aber noch zu, auf Verbandsebene fehlen die Fürsprecher. Zumindest wird die Nationalmannschaft der Frauen derzeit gut finanziert. In den vergangenen Monaten gab es mehrere lange Trainings-lager, viele davon in der luxuriösen Sportschule des Verbandes in der Nähe von Rio de Janeiro. Allerdings wohl auch nur, weil die Mannschaft so stark ist, dass sie den WM-Titel holen könnte. Und mit Titeln schmücken sich die Ver-bands-Chefs nur allzu gern, selbst wenn es "nur" Frauenfußball ist.
    Das erklärt vielleicht auch das Phänomen Marta. Die 25 jährige ist ein absolu-ter Star in Brasilien, jedes Kind kennt Marta. Schließlich ist sie fünf Mal hin-tereinander zur Weltbesten Spielerin gewählt worden. Ein historischer Re-kord, das lieben die Brasilianer, auch wenn kaum jemand Marta je wirklich hat Fußball spielen sehen. Nationaltrainer Kleiton Lima kennt den Weltstar schon seit vielen Jahren:

    "Marta ist für den Frauenfußball heute, was Pele für den Männerfußball war. Marta ist ein Mythos, ein Phänomen, sie spielt mit so viel Klasse, mit so einer Kunstfertigkeit, mit so viel Leidenschaft ... ohne jeden Zweifel, Marta hat den Frauenfußball verändert."

    Das stimmt in zweierlei Hinsicht. Zum einen international: Marta hat mit ih-rem fußballerischen Können neue Maßstäbe gesetzt. In Brasilien kann sie mit Fußball kein Geld verdienen, deshalb hat sie lange in Schweden gespielt, der-zeit ist sie Profi in den USA.

    Aber Marta hat auch den Frauenfußball in ihrem Heimatland Brasilien verän-dert. Nicht unbedingt sportlich, sondern kulturell, glaubt Murilo Barleta der Verantwortliche für Frauenfußball beim FC Santos.

    "Die Latinos waren lange sehr machohaft, wenn es um Frauenfußball ging. Noch vor wenigen Jahren wäre diese glanzvolle Karriere und der Aufstieg von Marta zu einem Superstar unmöglich gewesen. Aber Marta hat dieses Para-digma überwunden, jetzt können Männer den Frauenfußball leichter akzeptie-ren."

    Zumindest im reichen und hochentwickelten Südosten des Landes. Aber Mar-ta kommt aus dem Nordosten, genauer gesagt aus Alagoas, einem der ärms-ten Bundesstaaten Brasiliens. Dort ist es um die Frauenrechte nicht gut be-stellt. Deshalb setzt sich die zierliche Ausnahmespielerin auch so vehement für die Entwicklung des Frauenfußballs in ihrer Heimat ein. Im zurückliegen-den Januar, nach ihrer fünften Wahl zur Weltfußballerin des Jahres, hat sie Unterstützung von höchster Ebene erhalten. Die frisch gewählte Staatspräsi-dentin Dilma Rousseff hat Marta in den Regierungspalast eingeladen und ver-kündet: Der Frauenfußball soll gefördert werden. Das passt in Rousseffs Poli-tik, hat sie doch versprochen, die Rechte der Frauen in Brasilien zu stärken.
    Der brasilianische Frauenfußball ist allerdings schon seit Jahren weltklasse. Zweimal Silber bei Olympia und bei der letzten WM Platz zwei. Mit Marta hat der Frauenfußball jetzt eine hell strahlende Galionsfigur, mit der Präsidentin Dilma Rousseff einige mächtige Unterstützerin. Der entscheidende Schritt zur endgültigen gesellschaftlichen Akzeptanz des Frauenfußballs könnte der WM-Titel sein.