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Bewusst mit der Gesundheit der Verbraucher gespielt

Dioxinbelastetes Schweinefleisch ist offenbar in den Handel gekommen, sagt Landeskorrespondentin Susanne Schrammar aufgrund neuester Erkenntnisse des niedersächsischen Landwirtschaftsministerium. Da der betroffenen Betrieb aber auch Futtermittel weiterverbreite, sei mit mehr Fällen zu rechnen.

Susanne Schrammar im Gespräch mit Theo Geers | 12.01.2011
    Theo Geers: Es ist heute der Aufmacher in fast allen Tageszeitungen: Im aktuellen Dioxin-Skandal wurde gestern auch erstmals dioxinbelastetes Schweinefleisch gefunden, das, so hieß es, allerdings noch so rechtzeitig entdeckt wurde, dass das Fleisch nicht in den Handel kam. Doch das stimmt nicht. Vor einer knappen halben Stunde musste das niedersächsische Landwirtschaftsministerium in Hannover zurückrudern.

    Susanne Schrammar in Hannover, es gibt neue Erkenntnisse. Wie viel Schweinefleisch ist denn jetzt in den Handel gekommen?

    Susanne Schrammar: Wie viel genau in den Handel gekommen ist, darüber gibt es trotzdem nur Schätzungen. Es scheint aber festzustehen, dass belastetes Fleisch verkauft wurde. Sie haben es gesagt, das Landwirtschaftsministerium war gestern noch davon ausgegangen, dass nichts in den Handel gekommen war, aber man habe nicht die aktuellen Informationen gehabt des Kreisveterinärs des Landkreises Verden, und der weiß, dass bei dem Schweinemäster, bei dem jetzt erstmals dioxinverseuchte Tiere entdeckt worden waren, zuletzt am 30. Dezember geschlachtet worden ist. Gesperrt worden sei der Betrieb aber erst Anfang Januar. Die Rede ist dabei von etwa 150 Tieren, die in den Handel gekommen sein könnten. Der Landkreis ist jetzt bemüht, das Fleisch wiederzufinden und aus dem Verkehr zu ziehen, aber es muss davon ausgegangen werden, dass dioxinbelastetes Fleisch bereits verzehrt wurde, denn das ist ja doch eine ganz schöne Zeitspanne.

    Geers: Nun wurde ja gestern auch gesagt, Frau Schrammar, dass der betroffene Betrieb selbst das Futter gemischt hat mit Zutaten aus der Skandalfirma Harles & Jentzsch, und das Futter wurde nicht nur für den Eigenverbrauch gemischt, sondern auch weiterverkauft. Kommt da möglicherweise noch mehr?

    Schrammar: Ja. Der Betrieb ist in zweiter Linie nur Mäster und in erster Linie ein Futtermittelwerk und hat eben in gutem Glauben mit belastetem Fett aus Schleswig-Holstein Futter angemischt und an neun weitere Schweinemäster im Landkreis Verden verkauft. Dabei hat der Landwirt dem Futter einen wesentlich höheren Fettanteil zugesetzt, als allgemein üblich. Normal sind so ein bis zwei Prozent, hier wurden zehn Prozent zugemischt, wahrscheinlich damit die Tiere schneller an Gewicht zulegen sollen. Alle zehn Betriebe haben zusammen rund 8000 Schweine. Das heißt, zu den jetzt 140 entdeckten dioxinbelasteten Tieren könnten noch weitere hinzukommen. Alle Höfe sind gesperrt, morgen sollen Probeschlachtungen erfolgen und nächste Woche dann Ergebnisse vorliegen.

    Geers: Dann weiß man mehr. – Nun heißt es immer, wenn dioxinbelastetes Schweinefleisch vorhanden wäre, dann würden alle Tiere getötet. Wie und wo passiert das eigentlich?

    Schrammar: Die 140 Tiere, in deren Fleisch jetzt die erhöhte Dioxinbelastung festgestellt wurde, die sind bereits getötet worden und die Kadaver sind in einer Tierbeseitigungsanlage des Landkreises Verden verbrannt worden. Das ist auch der normale Weg. Man kann dabei übrigens nicht von dem Begriff "keulen" sprechen, wie es häufiger auch mal gesagt wurde - das hat heute ein Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums klargestellt -, weil dies nämlich bedeuten würde, dass die Bauern über die Tierseuchenkasse einen Schadensersatz bekommen würden. Die Landwirte bleiben aber hier auf den Kosten sitzen, ist ja keine Seuche, es sei denn, sie bekommen das Geld von Harles & Jentzsch zurück, und das ist ja immer noch nicht geklärt.

    Geers: Nun verdichten sich ja auch Hinweise, Frau Schrammar, dass die Skandalfirma Harles & Jentzsch schon seit vergangenem Frühjahr dioxinbelastetes Futterfett systematisch verkauft haben soll. Was ist denn da dran?

    Schrammar: Zwischen März und Oktober 2010 hat der Betrieb bei Eigenkontrollen wohl mehrfach Dioxinüberschreitungen festgestellt, diese aber nicht an die Behörden gemeldet, sondern er soll das Futterfett wirklich einfach weiter verkauft haben. Es gibt belastete Proben aus den Monaten März, Mai und September und diese Rechtsverstöße seien mit Wissen der Geschäftsleitung und nicht zufällig erfolgt. Das sagt ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums in Kiel und man kann wirklich sagen, dieses Unternehmen hat bewusst mit der Gesundheit der Tiere und mit der Gesundheit der Verbraucher gespielt.

    Geers: Dioxinbelastetes Schweinefleisch ist doch in den Handel gekommen. Das war Susanne Schrammar mit neuesten Informationen über den Dioxinskandal. Vielen Dank.