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Bewusste Stiftung oder Zufall der Geschichte

"Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen", so steht es im Kuppelinneren des Petersdoms in Rom. Bis heute beruft sich die katholische Kirche bei der Begründung des Papsttums auf dieses Bibelzitat aus dem Matthäus-Evangelium. Doch es verlief oft anders, als es die Kirche gerne darstellt.

Otto Hermann Pesch im Gespräch mit Matthias Gierth | 14.01.2013
    Matthias Gierth: Herr Professor Pesch, der französische Theologe Alfred Loisy hat 1902 den Satz geprägt: Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen ist die Kirche. Hat Jesus gar keine Kirche gestiftet?

    Otto Hermann Pesch: Dieser Satz von Alfred Loisy wird gerne als bittere Ironie verstanden, ist er aber im Kontext gar nicht. Der Satz will nur sagen, dass Jesus das Reich Gottes verkündet hat und als sozusagen fortgesetzte Verkündigung dieses Reiches Gottes kam die Kirche. Eine ganz sachliche Aussage ist gemeint. Aber man schafft es nicht aus den Köpfen raus, dass das eine bittere Ironie gewesen sei. Wenn man den Satz so versteht, ob Jesus die Kirche, so wie sie heute in allen Einzelheiten vor uns steht, zumindest in seiner Absicht gelegen habe und in dem Sinne die Kirche gestiftet, so ist die Frage zu verneinen. Es ist nirgendwo berichtet, dass Jesu sich hingestellt hat und gesagt hat: Jetzt stifte ich eine Kirche und lege folgende Gemeinschaftsordnung für sie fest. Das nicht. Und ich finde es immer wieder das Schöne, dass Jesus das sozusagen der gläubigen Kreativität seiner Nachfolger und Gläubigen überlassen hat. Was wir wissen, und das ist ein ganz wichtiger Text aus den Abendmahlsberichten der Evangelien, dass er seinen Jüngern gesagt hat: "Sehnlichst hab ich verlangt, dieses Mahl mit euch zu essen, bevor ich sterbe. Ich sage euch, ich werde es erst wieder essen, wenn wir wieder zusammen sind im Reiche Gottes." Ein Text, der ausweislich der historisch-kritischen Exegese mit Sicherheit so auf Jesus selbst zurückgeht. Er hat also nicht in einem formellen Sinne eine Kirche gestiftet, aber er hat die Verheißung gegeben und den Willen bekundet, dass es mit seiner Verkündigung des Reiches Gottes weitergeht.

    Gierth: Aber wie steht es dann um das Wort Jesu in Matthäus 16, 18: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen. Demnach gründet Jesus seine Kirche eben doch auf Petrus, den Fels?

    Pesch: Lassen wir mal die Frage weg, wie weit das ein echtes Jesus-Wort ist. Das ist natürlich immer noch unter den Exegeten umstritten. Sicher ist, das Bild vom Fels wird im Judentum gern gebraucht als Bild für die sichere Grundlage eines Hauses. Jetzt ist nun interessant, wie der große Katechismus der römisch-katholischen Kirche – der sogenannte Weltkatechismus – dieses Wort Jesu auslegt. Nämlich zwiespältig. An einer ersten Stelle wird ausdrücklich gesagt, damit gründet Jesus die Kirche auf den Glauben, den Petrus als erster bekannt hat. Und erst an einer viel späteren Stelle, wo es um die Kirche geht, wird dann auch gesagt, er gründet die Kirche auf die Person des Petrus. Tatsache ist, dass Petrus zusammen mit dem Herrenbruder Jakobus, wie wir in der Apostelgeschichte nachlesen können, tatsächlich eine Art Vorrangstellung in der Urgemeinde in Jerusalem gehabt hat und gelegentlich auch Entscheidungen getroffen hat, die schon ein bisschen an Jurisdiktion erinnern. Aber dass dieses Wort mit Sicherheit die Begründung eines Petrusamtes, das weitergegeben werden soll – die Betonung liegt auf Amt, das ist also füglich zu bestreiten, weil man nämlich dann erklären müsste, wieso es mehr als 200 Jahre gedauert hat, bis man dieses Wort an Petrus überhaupt in diesem Sinne verstanden hat.

    Gierth: Sie sprechen es an, wenn es sich um ein "weiterzugebendes Petrusamt" gehandelt hätte, dann hätte sicherlich vor dem Ende des zweiten Jahrhunderts ein römischer Bischof Schlagzeilen gemacht. Das ist aber nicht der Fall in der Geschichte.

    Pesch: Das ist eines der schlagendsten Argumente hier, wenn man hier etwas skeptisch ist gegenüber allzu großen Interpretationen dieses Wortes. Es ist Tatsache, dass noch am Ende des 1. Jahrhunderts Rom von einem Presbyterium, einem Kollektiv, geleitet wurde, während überall sonst in der christlich werdenden Welt – in Syrien und Palästina vor allem – sich längst der Einzelbischof als Leiter einer Gemeinde, der sogenannte monarchische Episkopat, durchgesetzt hatte. Das ist schwer verständlich, wenn man ganz sicher sein müsste, dass Matthäus 16,18 – auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen – von einem Petrusamt gesprochen hätte. Dass das 200 Jahre lang keiner so verstanden hat, und dass vor allem wir überhaupt keine Bischöfe von Rom kennen, historisch verlässlich bezeugte Bischöfe, bis zum Ende des 1. Jahrhunderts. Der erste Bischof von Rom, mit dem wir auf sicherem historischen Boden stehen, ist Viktor I. gegen Ende des 2. Jahrhunderts in seinem Konflikt mit der Ostkirche, wo er den vergeblichen Versuch gemacht hat, den Ostkirchen den römischen Ostertermin aufzudrängen.

    Gierth: Um die Entstehung des Petrusamtes nachzuvollziehen, muss man ja letztlich nach Afrika schauen. Mitte des 3. Jahrhunderts kommt es zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen den Kirchen Roms und Afrikas. Was war damals geschehen?

    Pesch: Das ist eine ganz interessante Story, dass ein Konflikt mit der afrikanischen Kirche zum ersten Mal dazu führt, dass ein römischer Bischof eingreift und zwar – das ist bedeutend – zum ersten Mal unter Berufung auf die Petrus-Stelle im Matthäus-Evangelium. Der hoch verdiente, später als Märtyrer gestorbene Bischof Cyprian von Karthago hatte die These aufgestellt, die von Häretikern, das waren damals die Novatianer, gespendeten Taufen sind ungültig, weil sie von Häretikern gespendet sind. Und da interveniert der römische Bischof Stephan I. im Jahr 256 und sagt: Taufe ist Taufe, und wenn einer von einem Häretiker getauft wird, hat er dadurch in keiner Weise irgendeinen Nachteil gegenüber einer Taufe durch einen rechtgläubigen Priester. Danach bürgerte sich das immer mehr ein, wenn regionale Synoden Lehrkonflikte hatten, und hatten dazu Beschlüsse gefasst, dass man vorsorglich das nach Rom einreichte und sich der Zustimmung des römischen Bischofs versicherte, ihm also eine Art Schiedsrichterrolle zuwuchs, was unter anderem dann immer gerne die unterlegenen Parteien ausnutzten.

    Gierth: Warum war das der Fall? Warum hat man sich innerkirchlichen Konfliktfällen an Rom gewandt?

    Pesch: Man muss wissen, dass sämtliche Petrus-Texte des Neuen Testamentes – auch die Texte in den Evangelien – ja alle geschrieben worden sind, als Petrus schon längst tot war. Wenn man also sich etwas darauf zugute tat, im Namen des Petrus einen Text zu veröffentlichen, dann bedeutet das ja, man hat Petrus maßstäblich in ehrender Erinnerung behalten. Und unter diesem Aspekt ist es dann schon erstaunlich, dass die ehrende Erinnerung so lange gebraucht hat, bis sie auch zu einem Vorrang des Bischofs von Rom geführt hat. Ich kann mir das nur so erklären, dass ab dem beginnenden 4. Jahrhundert jetzt auch das Prestige der Reichshauptstadt hinzukam und der Bischof von Rom ganz natürlicherweise eine erste Adresse wurde.

    Gierth: Nun haben Sie gesagt, dass es tatsächlich etliche, auch populäre Fälle dann gab. Welche Fälle waren das und was wird an ihnen deutlich?

    Pesch: Der erste spektakuläre Fall nach Stephan I. und Cyprian, der also wirklich auch Theologiegeschichte gemacht hat, war die Synode von Karthago im Jahr 418, wo die afrikanischen Bischöfe unter dem großen Einfluss des Kirchenvaters Augustinus Beschlüsse fassten, die die Lehre des Pelagius, dass der Mensch sich die Gnade mehr oder weniger selber verdienen musste, verurteilt wurde und die augustinische Lehre sich durchsetzte, dass Glaube und gute Werke ausschließlich sich der Erstinitiative der Gnade Gottes verdanken, mit der der Mensch dann anschließend mittut aber auf keinen Fall vorher etwas tut, von sich aus, um den ersten Schritt auf Gott hin zu tun. Diese Lehre wurde also auf der Synode von Karthago bestätigt und man schickte sie nach Rom. Und Papst Zosimus I. bestätigte die Synode von Karthago.

    Gierth: Wenn man die ersten für die Bekenntnisbildung der Christenheit so wichtigen Konzilien anschaut, dann kann man sehen, dass es samt und sonders ostkirchliche Synoden waren? Warum war das so und was bedeutet das für die Geschichte des Primats Roms?

    Pesch: Es ist so, die wirklichen gedanklichen und damit auch theologischen Konflikte in der alten Kirche kamen aus dem ganz einfach übermächtigen intellektuellen Einfluss der griechischen Kirche – man sprach ja auch in Rom noch bis Mitte des 3. Jahrhunderts griechisch und nicht lateinisch. Da tauchten die Fragen auf. Wie ist das mit der Gottessohnschaft Jesu? Wie ist es mit seiner wahren Menschheit? Da waren also zunächst die ostkirchlichen Synoden zuständig. Das Konzil von Nicäa, das Konzil von Konstantinopel, das Konzil von Ephesus und dann 451 das Konzil von Chalcedon. Die Westkirche war immer informiert. Aber in all diesen Synoden waren die westkirchlichen Vertreter nie vollberechtigte Konzilsmitglieder.

    Gierth: Das heißt aber, Rom hat in dieser Zeit höchsten die Rolle eines "Primus inter Pares" gehabt.

    Pesch: Unter den Patriarchen höchsten ein "Primus inter pares" Der Einfluss auf die Bekenntnisbildung, wie sie in den ostkirchlichen fünf Konzilien stattfand, war höchst begrenzt. Meistens Einflussnahme im Vorfeld und hinterher Bestätigung der ostkirchlichen Ergebnisse durch eigene römische Synoden der Westkirche.