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Bezahlt wird nicht

Vor rund zwei Jahren hat eine zunächst überschaubare Gruppe griechischer Bürger angefangen, die Zahlung der Mautgebühr auf Schnellstraßen und Autobahnen zu verweigern. Heute passiert einer von zehn Autofahrern die Mautstellen ohne zu zahlen.

Von Alkyone Karamanolis | 25.03.2011
    Rund 20 Autos bewegen sich in einer Kolonne über eine dicht befahrene Straße in Athen. Ihre Warnblinker leuchten, und aus den Wagenfenstern hängen gelbe Fahnen. Darauf ein großes rotes Stoppzeichen und der beim Literaturnobelpreisträger Dario Fo ausgeliehene Slogan "Bezahlt wird nicht". Ziel der Autokolonne ist eine Mautstelle auf der Athener Umgehungsautobahn.

    "Wir werden die Mautstelle besetzen. Das heißt, wir heben die Schlagbäume und lassen die Autofahrer durchfahren."

    Vassilis Sarantopoulos, Veleger, um die 50, hat vor rund zwei Jahren aufgehört, die Maut zu bezahlen. Rund 3.000 Euro spart er dadurch im Jahr. Doch darum geht es ihm gar nicht.

    "Der Bauunternehmer hat seine Investition durch die eingenommenen Mautgebühren schon längst wieder reingeholt. Laut Vereinbarung müsste die Straße nun an den Staat übergehen. Aber unsere Politiker lassen den Bauunternehmer gewähren - sei es, weil sie unfähig sind, sei es, weil sie mit ihm unter einer Decke stecken."

    Das griechische Verkehrsministerium gibt den Vorwurf zurück, bezeichnet die Mautverweigerer als Schnorrer, verhandelt allerdings mit dem Bauunternehmer über eine Minderung der Mautgebühren. Inzwischen ermittelt aber auch die Athener Staatsanwaltschaft in der Sache, erklärt Sarantopoulos, während die Autokolonne die Einfahrt zur Stadtautobahn erreicht. Der Fahrer des ersten Wagens steigt aus, schiebt den Schlagbaum zur Seite und winkt die übrigen durch.

    Die Angestellten hier kennen uns schon, erklärt Vassilis Sarantopoulos und drückt aufs Gas, ohne die Kassiererin weiter zu beachten. Sie würden einfach sagen, dass sie die drei Euro nicht zahlen können und um einen Schuldschein bitten. Das sei eine Art, um durchzukommen, aber für viele sei das auch eine Realität.

    An der vereinbarten Mautstelle, rund zehn Kilometer weiter, haben sich bereits an die 300 Leute versammelt - aus den unterschiedlichsten Altersgruppen und sozialen Schichten. Die Schulden erdrücken uns, erzählt eine Teilnehmerin der Protestaktion. Viele Familien wüssten nicht mehr weiter. Sie seien einfach verzweifelte Bürger. Ein Auto nähert sich der Mautstelle. Die Demonstrantin geht in Position:

    "Ich hole weit aus, winke das Auto durch und bedeute dem Fahrer, dass er hupen soll, um seine Solidarität zu bekunden. Außerdem schwenke ich unsere Fahne."

    Die meisten Autofahrer winken oder heben den Daumen. Rund 10.000 eingetragene Mitglieder hat die Bewegung "Bezahlt wird nicht". Doch die Zahl ihrer Sympathisanten dürfte erheblich größer sein. Immerhin sah sich das Parlament genötigt, die Straßenverkehrsordnung um einen Paragrafen zu erweitern: Wer den Schlagbaum passiert, ohne zu zahlen, muss mit bis zu 200 Euro Strafe rechnen. Allerdings muss die Verkehrspolizei vor Ort sein, um das Bußgeld zu kassieren. Die Mautverweigerer nutzen diesen Umstand aus und lassen sich auch sonst nicht einschüchtern:

    "Wir haben den griechischen Schuldenberg nicht verursacht, sollen ihn aber abbezahlen. Wir, die wir arbeitslos sind, unsere Eltern, die Rentner sind und unsere Kinder, für deren Bildung wir tief in die Tasche greifen müssen. Die Mautgebühr ist nur der Anlass für unseren Protest."

    Und so rufen die Anhänger der Protestbewegung inzwischen auch dazu auf, die Krankenhausgebühr nicht zu bezahlen, ebenso die Gebühren für die Verpflegung in Kindergärten und Horten sowie die Fahrkarten im Öffentlichen Nahverkehr. Unterstützerkomitees haben sie in ganz Griechenland.