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Beziehungen zu Russland
"Wir sind mittendrin im Kalten Krieg"

Journalist Andrey Gurkov glaubt nicht, dass der alte und neue Staatschef Wladimir Putin in seiner antiwestlichen Rhetorik nachlasse. Aber Russland sei kein strategischer Partner der Europäer oder des Westens. "Es ist letztendlich ein Gegner des Westens", sagte Gurkov im Dlf.

Andrey Gurkov im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 19.03.2018
    Russlands Präsident spricht auf einer Bühne mit Mikrophon nach gewonnener Wahl zu seinen Anhängern
    "Er wird vielleicht ein bisschen den Fuß vom Gas nehmen in der Rhetorik." Journalist Gurkov über Wladimir Putin (imago / Xinhua)
    Dirk-Oliver Heckmann: 77 Prozent der Stimmen – Russlands Präsident Wladimir Putin beansprucht für sich eindrucksvoll, im Amt bestätigt worden zu sein. Allerdings wird international in Frage gestellt, ob es sich bei der Wahl überhaupt um eine Wahl gehandelt hat. Wahlbeobachter monieren tausende von Unregelmäßigkeiten oder Fälschungen. Vor allem aber sorgt für Kritik, dass der Kreml dafür sorgt, dass aussichtsreiche Kandidaten gar nicht erst zur Wahl zugelassen werden. Die nächsten sechs Jahre wird Putin aller Voraussicht nach die Geschicke des Landes weiter bestimmen.
    Eigentlich wollten wir an dieser Stelle mit Irina Scherbakowa von der Menschenrechtsorganisation Memorial sprechen. Leider können wir sie im Moment nicht erreichen, kommen nicht durch. Aber wir haben jetzt die Möglichkeit, mit Andrey Gurkov zu sprechen vom Russland-Programm der Deutschen Welle. Schönen guten Tag, Herr Gurkov!
    Andrey Gurkov: Ich grüße Sie.
    Heckmann: Herr Gurkov, was haben Sie gedacht, als Sie gehört haben, auf Putin entfallen knapp 77 Prozent der Stimmen?
    Gurkov: Es ist doch mehr als ich erwartet hatte. Die Vorgabe war ja 70/70, eine Wahlbeteiligung von 70 Prozent und 70 Prozent Zustimmung für Putin. Es ist mehr als von ihm erwartet. Ich tippe mal, dass ein Großteil dieser Stimmen reell sind. Putin hat die Unterstützung der Bevölkerung. Das ist eine Realität, der wir ins Auge schauen müssen. Er hat das – das muss auch verständlich sein – in erster Linie meines Erachtens für seine harte Außenpolitik bekommen, weniger für die relativ bescheidenen Erfolge, was die Wirtschafts- und Sozialpolitik angeht. Denn wenn in seinen ersten zwei Amtszeiten, also bis 2008, er tatsächlich sehr viel Wohlstand ins Land gebracht hat, so war diese letzte Amtszeit eher von einem Wohlstandsverlust gekennzeichnet gewesen. Diese 77 Prozent, das ist ein Zeichen der Dankbarkeit für die Wiedereroberung der Krim und für seine harte Außenpolitik gegenüber dem Westen.
    Ein Referendum - keine Wahl
    Heckmann: Okay. Sie haben schon eine Erklärung nachgeliefert. Trotzdem noch mal nachgefragt: Viele sagen ja, diese Wahl war keine Wahl, weil es keine richtigen Alternativen gegeben hätte und habe. Es gab ja Gegenkandidaten. Aus Ihrer Sicht: War das eine Wahl?
    Gurkov: Nein, das war ein Referendum zur Bestätigung von Wladimir Putin im Amt und seiner politischen Linie. Verstehen Sie, autoritäre Regime legen großen Wert auf das formelle Einhalten von Prozeduren. Tatsächlich, sie konnten zwischen acht Kandidaten wählen. Allerdings die ganze staatliche Medienmaschinerie arbeitete darauf hin zu zeigen, dass das alles letztendlich sehr unseriöse Politiker sind, und der einzige, wirklich staatstragende Politiker im Land, das ist Wladimir Putin.
    Heckmann: Und der würde sagen, was kann ich denn dafür, dass meine Gegenkandidaten so schwach sind und sich in Talkshows auch noch gegenseitig bekriegen und sogar mit den Fäusten aufeinander zugehen. – Denken Sie denn wirklich, dass die Wahl anders ausgefallen wäre, wenn Alexei Nawalny beispielsweise hätte antreten dürfen?
    Gurkov: Ich glaube nicht, dass Putin die Wahl nicht gewonnen hätte. Aber was ein Nawalny hätte machen können: Es hätte zu einer Stichwahl kommen können, also zu einer zweiten Wahlrunde. Wir sollten nicht vergessen, dass in Moskau, als Nawalny angetreten ist, er fast 30 Prozent der Stimmen bekommen hatte. Ich glaube nicht, dass Nawalny eine Bedrohung für Putin wäre, aber er wäre eine Bedrohung für dieses triumphale Ergebnis.
    Unterschied zum Kalten Krieg der 50er und 6oer Jahre
    Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Herr Gurkov, dass außenpolitische Argumente vor allem die Russen davon überzeugt haben dürften, ihm seine Stimme zu geben. Jetzt hat der CSU-Europapolitiker Manfred Weber heute gesagt, Putin führe einen modernen Krieg gegen den Westen. Hat er recht?
    Gurkov: Ja. Wissen Sie, ich wundere mich immer wieder über die Frage, die auch in den Medien hochkommt: Stehen wir vor einem neuen Kalten Krieg? – Wir sind mittendrin, spätestens seit 2014 und seit der Krim-Annexion. Dieser Kalte Krieg ist natürlich unterschiedlich zu dem Kalten Krieg, den wir in den 50er- und 60er-Jahren erlebt haben.
    Heckmann: Die Ideologie ist eine völlig andere Auseinandersetzung.
    Gurkov: Ja. Aber es ist ein hartes Gegeneinander, und das ist ein relatives aggressives Gebaren seitens Russlands, was auch der Bevölkerung gefällt. Es gibt jetzt die gewisse Hoffnung, die ich selber nicht hege, dass nach diesem triumphal gewonnenen Referendum – nennen wir es mal so, nicht Wahlen – Putin etwas nachlässt in seiner antiwestlichen Rhetorik und in seiner außenpolitischen Aggressivität.
    Kein strategischer Partner der Europäer oder des Westens
    Heckmann: Das wollte ich gerade fragen. Dieser Wahlsieg, den er jetzt eingefahren hat, die 77 Prozent, die weitere Amtszeit, er könnte sich ja jetzt etwas entspannter zurücklehnen. Sie denken, dass er diesen, von Ihnen als aggressiv beschriebenen Kurs korrigiert?
    Gurkov: Nein! Ich sagte, es gibt diese Hoffnung, aber ich glaube nicht. Er wird vielleicht ein bisschen den Fuß vom Gas nehmen in der Rhetorik. Er wird sich mit westlichen Politikern treffen, es wird sicherlich auch die eine oder andere Vereinbarung geben. Vielleicht wird die gefühlte Härte nicht so groß sein. Aber Russland ist kein strategischer Partner der Europäer oder des Westens. Es ist letztendlich – und das muss ich leider zugeben – ein Gegner des Westens.
    Wir haben im Kalten Krieg mehrere Jahrzehnte durchgehalten und man hat es geschafft, es nicht zu einer Konfrontation kommen zu lassen, zumindest nicht zu einer großen Konfrontation. Deswegen habe ich keine apokalyptischen Visionen, dass wir da in irgendetwas hineingeraten, wo man nicht mehr rauskommt. Aber wir sollten, glaube ich, hier im Westen die Illusion verlassen, dass Russland ein strategischer Partner ist. Es ist ein Partner, es ist ein Handelspartner, es ist ein Energielieferant und es ist ein Jemand, mit dem man im Dialog bleiben muss. Selbstverständlich! Das ist eine Atommacht und eine Vetomacht.
    Heckmann: Aber, Herr Gurkov, viele Russen sehen das ganz offensichtlich völlig anders. Die sehen nicht Moskau als Aggressor, sondern den Westen, auch die NATO als Aggressor. Man hatte damals bei der Wende _89 versprochen, dass die NATO nicht immer weiter an Russland heranrückt, und das Gegenteil ist passiert. Und jetzt im Fall des Nervengift-Anschlags von Salisbury, da hat der FDP-Vize Kubicki sogar gesagt, die Solidaritätsadresse auch Deutschlands Richtung London sei ein Fehler gewesen, denn die NATO, so sehe es aus, brauche offensichtlich wieder einen Feind.
    Gurkov: Die These, dass Putin auf die NATO-Osterweiterung reagiert, höre ich ständig. Ich sollte aber vielleicht daran erinnern, dass die Glanzzeit der Beziehungen zum Westen, gerade auch zu Deutschland in die Jahre 2004, 2005, 2006 fiel, also genau dann, als diese NATO-Osterweiterung stattfand, und vom deutschen Kanzler Gerhard Schröder auch massiv unterstützt wurde. Das hat der Freundschaft von Putin und Schröder nicht geschadet und die großen Energieprojekte wie Northstream wurden 2005 in die Wege geleitet, also ein Jahr nach der NATO-Osterweiterung. Zu dem Zeitpunkt hatte Putin kein Problem mit dieser NATO-Osterweiterung. Später wurde das als Argument und als Legitimierung herangezogen.
    Was Salisbury angeht: Ja, es gibt keine Beweise. Es gibt keine juristischen Beweise. Wir haben aber in den letzten Jahren – und das ist der Gesichtsverlust oder der Reputationsverlust, besser gesagt, Russlands – immer wieder erlebt, dass Putin sagte, es gibt keine russische Armee auf der Krim. Dann hat sich herausgestellt, das war sie. Russland sagt, man habe die Boeing über der Ukraine nicht abgeschossen. Man habe im Wahlkampf in den USA nicht mitgemischt. Man habe kein Doping bei den Sportlern zugelassen. Russland leugnet alles und das erzeugt natürlich eine Atmosphäre, in der man Misstrauen empfindet. Deswegen die Reaktion von Theresa May.
    Schröder vertritt russische Interessen aktiv
    Heckmann: Herr Gurkov, ganz kurze Frage zum Abschluss. Wir haben nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit. Der Außenminister der Ukraine hat Sanktionen gegen Gerhard Schröder gefordert. Der sitzt ja im Aufsichtsrat von Northstream und von Rosneft. Und auch der Grünen-Politiker Nouripour hat gesagt, Schröders Aktivitäten seien jenseits von Gut und Böse. Was halten Sie von dieser Diskussion?
    Gurkov: Schröder ist aktiv dabei, die russischen Interessen, auch die Energieinteressen zu vertreten und zu forcieren. Das ist eine Tatsache, da kommt man nicht dran vorbei. Es ist jetzt die Frage, wie man das politisch bewertet und ob das eine richtige Entscheidung ist für einen ehemaligen deutschen Bundeskanzler.
    Heckmann: Sanktionen ja oder nein?
    Gurkov: Es ist eine schwierige Frage. Was heißt Sanktionen gegen Kanzler? Wie soll das aussehen? Ich glaube, da muss man noch ein bisschen diskutieren.
    Heckmann: Reiseverbot, Kontosperren. – Okay. Herr Gurkov, danke Ihnen für Ihre Zeit und dass Sie uns so spontan dieses Interview geben konnten in den "Informationen am Mittag". Schönen Tag!
    Gurkov: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.