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Bezirzt und rundum sorglos

Es gibt Journalisten, die ziehen aus eigenem Antrieb und auf eigene Faust an interessante Orte in der Welt. Andere lassen sich von Tourismusunternehmen, Hotels oder Interessenverbänden einladen. Später machen sie in ihren Beiträgen Werbung für diese Orte. So auch bei einer Pressereise in ein Luxushotel in Warschau.

Von Adalbert Siniawski | 11.11.2012
    "Freitag, 18 Uhr: "Begrüßungsaperitif an der Hotelbar."

    "Kellerin: Dzień dobry. Moge panu zaproponować coś do picia?
    Journalist: Thank you. Prost! Na zdrowie!
    Kellnerin: Na zdrowie!
    Journalist: Wunderbar"


    Zur Einstimmung reicht die Kellnerin Cocktails, Bier und Wodka – auf’s Haus versteht sich, wie alles in den kommenden vier Tagen. Acht Journalisten schlürfen ihre Mixgetränke. Smalltalk an der opulenten Theke. "Und wo arbeitest Du?" Bei der Regionalzeitung. Im privaten Hörfunk. Bei einem Onlineportal. Beim Schweizer Qualitätsblatt. Dazu gesellt sich der Direktor des Warschauer Luxushotels. Anfang 40, Typ Lebemann, dunkler Anzug mit Manschettenknöpfen.

    "Ich möchte Sie ganz herzlich begrüßen, schön, dass Sie bei uns sind. Für uns ist das eine neue Erfahrung. Wir machen den Pressetrip zum ersten Mal. Ich hoffe, dass Warschau ihnen gefallen wird, dass unser Hotel ihnen gefallen wird… und ja: Auf ein schönes Wochenende!"

    Der Manager spricht zur Überraschung Deutsch. Kurz vor der Wende ist er mit seiner Familie ins Ruhrgebiet geflohen, hat in mehreren Hotels gearbeitet. Nun will er die deutschsprachigen Gäste in sein Fünf-Sterne-Haus nach Warschau locken. Die eingeladenen Journalisten werden ihm mit ihren Berichten über das Hotel und die Stadt dabei helfen, hofft er. Deswegen wird dick aufgefahren.

    20 Uhr: "Polnischer Abend im Hotel-Restaurant."

    Die Tafel ist fein gedeckt: weiße Tischdecke, geschliffene Weingläser, Stoff-Servietten. An jedem Platz liegen eine Image-Broschüre des Hotels mit PR-Texten und -bildern und eine goldene Pralinenschachtel. Die Keller schwirren mit Weinflaschen um die Gäste herum. Das Büfett ist auf einer drei Meter langen Theke drapiert. Die Oberkellnerin zeigt auf die Speisen:

    "Wir haben hier Gemüse mit verschiedenen Dressings, eine Auswahl an geräuchertem Fisch, Schweinsrücken gefüllt mit Pflaumen, einen typisch polnischen Gemüsesalat, Zungen in Gelee, eine Auswahl an polnischen Wurstspezialitäten mit Senf und Mixed Pickels, ein schönes junges Spanferkel gefüllt mit Grütze, einen typisch polnischen Sauerkrauteintopf – wirklich sehr lecker."

    Es wird gegessen, was das Zeug hält. Das kräftige, junge Pärchen aus Bayern – sie Journalistin eines lokalen Boulevardblatts, er Fotograf –
    lässt sich die Köstlichkeiten nicht entgehen. Beide holen immer wieder Nachschlag.

    "Es ist wirklich reichlich – das Büfett ist wirklich sehr vielfältig! Es lohnt sich zu uns zu kommen und zu kosten! Wenn’s ums Dessert geht, haben wir im Angebot: eine Baiser-Torte – die ist wirklich sehr lecker –, eine Sahne-Karamell-Torte, polnischer Apfelkuchen, Käsetorte, Berliner … noch was? Ich hab‘, glaube ich, nichts vergessen. Guten Appetit!"

    Am Tisch spricht man über Sternzeichen, die Abenteuer der letzten Pressereise und darüber, wer sich jetzt noch mal ans Spanferkel traut – nur nicht über Warschau oder das Gastland Polen. Die meisten kennen sich von anderen Pressetouren. Der Mittelsmann und Organisator der Reise von einer deutschen PR-Agentur lädt einige dieser Leute immer wieder zu neuen Trips ein. Neu dabei ist ein gedrungener, graumelierter Redakteur. Er produziert eine Reisesendung für mehrere private Radiowellen. Der Hörfunker erzählt bei Spanferkel und Rotwein ganz offen von Kollegen, die jede Pressefahrt mitnehmen. Er selbst ist mit einem Tourismusunternehmer per Du, wie er sagt. Die beiden haben eine feste Vereinbarung: Der Journalist bekommt eine Reise gesponsert, dafür muss er im Bericht mehrfach den Namen des Reiseveranstalters nennen und eine Reise verlosen. "Nach der Sendung schießen bei ihm die Buchungszahlen in die Höhe", erzählt der Redakteur, "die Sache läuft gut, wir haben die Kooperation verlängert."

    Samstag, ab 8 Uhr: "Frühstücksbuffet." 10 Uhr: "Hotelführung und Pressegespräch mit dem General Manager."

    "Wenn Sie mir folgen möchten in Ludwikowska."

    Der Hoteldirektor bittet in den prunkvollsten Raum des Hauses. Mehrere festlich gedeckte Tische und antike Stühle. Die Gruppe schlurft in Freizeitkleidung über das edle Parkett.

    "Das ist der Ballsaal, der hat knappe 200 Quadratmeter, ist so erhalten, wie er 1913 entstanden ist. Wir haben etwa 15 Kilogramm Blattgold hier an den Wänden. Wenn Sie einmal nach oben schauen, diese Ornamente und dieser Stuck – das ist mit Liebe zum Detail gemacht worden und restauriert worden.

    Das ist ja heute noch so, dass die polnischen Stuckateure die gefragtesten der Welt sind?

    Das stimmt. Dieser Saal ist natürlich sehr beliebt für Hochzeiten, das ist eine Traumkulisse für Hochzeiten. Aber wir sind auch sehr erfolgreich, was Konferenzen und Bankette, Staatsbankette, anbetrifft. Das ist einfach eine sehr einmalige Atmosphäre. Der Raum ist zwar historisch erhalten, aber wir sind hier mit modernster Technik ausgestattet, mit Soundsystem, mit elektronischem Screen, also Leinwand."

    Die ganze Führung ist gespickt mit Superlativen, selbst der Raucherraum und die Toilette neben dem Ballsaal werden als Pluspunkt verkauft. Der bayerische Kollege schießt Fotos für den Glamour-Bericht seiner Frau.

    "Scho‘ recht prunkvoll!"

    "Es gab einen polnischen Sänger in den 20er- und 30er-Jahren, der hieß Jan Kiepura. Und früher, als es hier Restaurant war, hat man gesagt – oder sagt man –, er war oft Gast hier und immer, wenn er die Lust verspürte zu singen, dann ist er hier auf den Balkon geklettert, das kann man von der anderen Seite machen, und hat hier einfach für die Gäste gesungen."

    "Das ist der "English Apartment."

    … also: Tür auf zur Präsidentensuite.

    "… das ist sehr im englischen Stil gehalten. Das sind 118 Quadratmeter, zwei Schlafzimmer mit Marmorbädern, und hier der Wohnzimmerbereich mit dem auch einmaligen ovalen Fenster und dem Blick auf den Kulturpalast und Stadtzentrum. Das ist sehr stark nachgefragt.

    Das glaube ich!".

    Ein ovales Fenster als Attraktion – die Werbung kommt an.

    "Überwältigend! Der Stil und vor allem diese schönen Panoramafenster mit Blick auf das Zentrum. Wunderschön!"

    "Der Raum gefällt mir sehr gut und vor allem die Aussicht, durch dieses ovale Fenster. Das ist ein sehr stilvoller Raum."

    Darauf erst mal eine Runde Champagner.

    "Noch einmal, vielen Dank, dass sie hier sind.
    Journalisten: Zum Wohl! Zum Wohl!"

    Schampus, Dinner, Rundumversorgung gratis – sie lassen sich das was kosten?!

    "Ja gut, das sind natürlich, wie in jedem Hotel, sind das Marketingkosten. Zweite Sache: Wir haben als Hotel, als Kette von drei Hotels, dementsprechend die Einkaufspreise, sodass wir uns das erlauben können."

    12 Uhr: "Mittagessen." 19:30 Uhr: "Abendessen im Restaurant." Dazwischen: "Stadtrundfahrt durch Warschau sowie Stadtrundgang durch die historische Altstadt. Dauer insgesamt circa 4 Stunden."

    "Buongiorno, io Marco, come stai? Tutto Bene? Il signor Martini arriva a Milano, vuole passare alcuni giorni.
    Ja, man hört, wir sind in Warschau, eindeutig!

    Bon jour, Monsieur, comment ça va? Comme ci, comme ça? Ça va bien, qui? Now English, so: Ladies and Gentlemen, on the last floor you can see the best view from Warsaw, you know? It’s the highest building… Deutsch, besser?

    Okay, egal. Also, wie gesagt."

    Warschau in vier Stunden – noch dazu mit einem verrückten Stadtführer. Der Mann ist schlaksig und vor allem schnell. Die Sonne brennt, Schweiß läuft von der Stirn, dennoch: Alle fix rein in den Kleinbus.

    "Aber es gibt in Deutschland schöne Frauen, nicht?"

    Los geht’s in den Verkehrstrubel. Die Journalisten bücken sich auf ihren Sitzen und gucken durch die Fenster. Die Sehenswürdigkeiten rauschen vorbei: Kulturpalast, der Einkaufstempel "Goldene Terrassen", Sächsischer Garten, Marszałkowska-Straße, der Banken-Platz. Unser Stadtführer auf dem Beifahrersitz hält ein kleines Mikrofon in der Hand, schaut auf seine handbeschriebenen Zettel und rattert die Attraktionen herunter.

    "… also wie gesagt, hier der Palast der Kultur und Wissenschaft – eine Fortschrittsvision für die einen, ein Symbol für die sozialistische Gigantomanie für die anderen. Der Kulturpalast ist 234 Meter hoch, und für den Bau wurde im Zeitraum von 52 bis 55, also in 3 Jahren, 40 Millionen Ziegel … schwer zu sagen, den Palast entwarf nach dem Vorbild der Moskauer Lomonossow-Universität … war ein Geschenk der … – das ist Warschau nicht, das können wir uns schenken!"

    Sollten Sie einmal den Stadtführer spielen: Werfen Sie Ihren Zuhörern alle wichtigen und unwichtigen Informationen an den Kopf, die Sie aus Reiseführern zusammengesucht haben.

    "…dann haben wir die Goldenen Terrassen, der Investor war ING Real Estate / Skanska, haben diese gebaut, ist aus Schweden, aus Mölma, eine Firma, 1878, Rudolph-Friedrich Berg, der Eigentümer, und er hat hier die meisten Sachen gebaut, nicht wahr? Er hat also erst mal eine Zementfabrik gehabt. Dann hier die Goldenen Terrassen wurden gebaut von… äh… Tebodin / The Jerde Partnership. Arup die Konstruktion und Tebodin die Installation. Fläche ist 225.000 Meter groß. Parking für 17.000."

    Warschau in vier Stunden! Und wohin jetzt? Schnell durch den eigentlich so idyllischen Łazienki-Park. Von irgendwoher erklingt Chopin-Musik – egal. Drei Journalisten machen schlapp und gehen lieber Bier trinken. Die bayerische Kollegin ist übrigens heute lieber im Hotelzimmer geblieben. Der Rest stürzt in den Łazienki-Palast, die Sommerresidenz des letzten polnischen Königs Poniatowski. Mobiliar, Kachelwände, viele Gemälde. Lieber Kollege aus der Schweiz: Was bleibt da eigentlich hängen?

    "Ja gut, es ist ja auch… das sind ja nicht Bilder, die wir uns des Kunstwertes wegen anschauen und deswegen vor den Bildern verweilen möchten. Es ist ja… die Bilder schaffen eher so eine Art Atmosphäre, eine Ambiance – und deswegen kann man da auch ziemlich schnell durchgehen."

    Fazit des Nachmittages: Von der Stadt gibt es nur einen oberflächlichen Eindruck – und von den Menschen?

    ""…von den Einheimischen leider noch gar keinen, weil man zu wenig Kontakt hat. Ganz kurz in der Stadt haben wir eine Frau getroffen, die war sehr hilfsbereit und hat uns den Weg gezeigt. Vielleicht ändert sich das noch, dass man noch ein bisschen Kontakt findet."

    Sonntag, 8 Uhr: "Frühstücksbüffet." 10:30 Uhr: "Besuch des eindrucksvollen Kultur- und Wissenschaftspalastes direkt gegenüber dem Hotel." 12:30 Uhr "Mittagessen im Hotel." Anschließend: "Nachmittag zur freien Verfügung." 19:30 Uhr: "Abendessen im Hotel-Restaurant."

    Der letzte Abend ist angebrochen. Der Organisator von der PR-Agentur zieht eine positive Bilanz. Alle Journalisten, die in Warschau auf der Pressereise mit dabei waren, werden in ihren Berichten den Namen des Luxushotels nennen. Reklame im redaktionellen Beitrag, das ist die Zukunft – so der PR-Berater.

    "Also als Trend sehe ich ganz klar, dass die Berichterstattung von Reisejournalisten eigentlich immer wichtiger wird, weil die Leser, Hörer und Fernsehzuschauer einfach durch die klassische Werbung so überfrachtet sind, mittlerweile. Wenn der Reisejournalist, der vor Ort war, einfach auch die Möglichkeit hat, bestimmte Dinge hervorzuheben und wo eine Geschichte ist, diese dann auch erzählt und dem Leser, dem Hörer und Fernsehzuschauer so rüberbringt, dass er merkt: Da ist wirklich etwas Besonderes, da hebt sich jemand ab – dann ist das Ziel im Reisejournalismus erreicht."

    Montag, ab 8 Uhr: "Frühstücksbüffet." "Zimmer können bei später Abreise gerne noch ganztägig genutzt werden." "Limousinen-Service zum Flughafen."

    Im nagelneuen schwarzen Mercedes werden die acht Journalisten zum Terminal kutschiert. Alle sind zufrieden: Der PR-Mann hat mit Erfolg vermittelt, die Redaktionen drucken und senden kostengünstig eine weitere Story, der Hoteldirektor wird ihre Berichte in seiner Marketing-Mappe abheften. Und die Leser, Zuschauer und Hörer werden von alledem nichts merken.

    "Wissen Sie, ich arbeite beim Hotel seit drei Jahren als Chauffeur. In dieser Zeit haben wir keine einzige Beschwerde registriert. Wir versuchen, ein ganz hohes Niveau zu halten."