Donnerstag, 28. März 2024

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"Bibliotheksschließungen sind die Spitze des Eisberges"

Bibliotheken seien die am stärksten genutzten außerschulischen Kultur- und Bildungseinrichtungen, sagt die Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands, Monika Ziller. Demgegenüber vollziehe sich eine schleichende Aushöhlung des Bibliotheksangebots - eine Entwicklung, die nicht zu verkraften sei.

Monika Ziller im Gespräch mit Jörg Biesler | 27.10.2010
    Jörg Biesler: "Treffpunkt Bibliothek" heißt eine Aktionswoche des Deutschen Bibliotheksverbands, in dem 11.000 Bibliotheken zusammengeschlossen sind, und die machen nun alle Werbung für sich. Mehr als 3000 Veranstaltungen gibt es noch bis Sonntagabend in dieser Woche. So aktiv die Bibliotheken aber auch sind zum Beispiel in einer solchen Aktionswoche - sie stecken mitten in der Krise, und gerade hat der Verband einen Bericht zur Lage der Bibliotheken vorgelegt, der durchaus als Alarmsignal zu verstehen ist. Vorsitzende des Bibliotheksverbandes ist Monika Ziller. Tag, Frau Ziller!

    Monika Ziller: Guten Tag!

    Biesler: Was sind denn die Probleme, mit denen die Bibliotheken aktuell zu kämpfen haben?

    Ziller: Ja, Herr Biesler, das ist vor allen Dingen die große Diskrepanz zwischen der starken Nachfrage in Bibliotheken und der mangelnden Ausstattung, um das einmal auf den Punkt zu bringen. Bibliotheken sind die am stärksten genutzten außerschulischen Kultur- und Bildungseinrichtungen in Deutschland, die erreichen wirklich sehr viele Menschen, 200 Millionen Besucher im Jahr. Aber dem gegenüber steht einfach eine mangelhafte Grundausstattung, insbesondere bei den kommunalen öffentlichen Bibliotheken.

    Biesler: Konkret heißt das, es gibt Bibliotheksschließungen, es gibt weniger neue Bücher in den Regalen, die dann noch geöffnet bleiben?

    Ziller: Genau. Bibliotheksschließungen sind die Spitze des Eisberges, da haben wir Gott sei Dank noch nicht so sehr viele zu verzeichnen, allerdings hat es ja in den letzten zehn Jahren schon mehrere Haushaltskonsolidierungsrunden gegeben, und das Netz wurde schon ausgedünnt. Aber was vor allem gemacht wird, ist die Streichung von Erwerbungsetats, also Mitteln für die Neubeschaffung von Medien, Öffnungszeitenreduzierungen, Personalreduzierungen. Das sind die häufigsten Sparmaßnahmen, die getroffen werden, und das führt letztlich zu einer schleichenden Aushöhlung von Bibliotheksangeboten, denn wenn die Nutzungszahlen immer weiter steigen und die Bibliotheken können keine neuen Medien kaufen, dann ist das eine gegenläufige Entwicklung, die einfach nicht verkraftet werden kann.

    Biesler: Ja, Sie haben gesagt, die Nutzungszahlen steigen, und ich habe jetzt gerade mal so ganz klassisch unterstellt, dass es da vor allem um Bücher geht. Aber es verändert sich ja im Augenblick sehr stark, die Aufgabe der Bibliotheken wandelt sich von, ja, der typischen Einrichtung, die man so kannte, wo Bücher im Regal stehen, zu einem, kann man sagen, Wissensdienstleister?

    Ziller: Genau, so kann man das ... so ist das sehr gut ausgedrückt. Dieser Wandel hat sich in den letzten Jahren schon ganz massiv bei den wissenschaftlichen, also bei den Hochschulbibliotheken vor allem vollzogen, viele Angebote gibt es dort nur noch digital. Es werden elektronische Zeitschriften, elektronische Bücher gekauft, und entgegen der landläufigen Meinung sind diese Medien oft sehr viel teurer, weil auch noch eine technische Basisausstattung dazu gekauft werden muss. Und in den Hochschulbibliotheken sind die Erwerbungsetats zwar deutlich angestiegen, aber sie halten überhaupt nicht Schritt mit den steigenden Kosten und den steigenden Nutzungszahlen.

    Biesler: Das heißt, auch wenn man jetzt davon ausgeht, dass vor allem in den wissenschaftlichen Bibliotheken der Stellenwert des gedruckten Buches dann vielleicht doch mit der Zeit ein bisschen zurückgeht - damit ist nicht unbedingt eine Einsparung verbunden, die vielleicht einiges andere auffangen kann?

    Ziller: Nein, überhaupt nicht, zumal wir feststellen, dass die Besucherzahlen in allen Bibliothekszügen erheblich ansteigen. Die Menschen wollen in Bibliotheken kommen, sie wollen sich dort von einer anregenden Umgebung inspirieren lassen, sie suchen den Ort als Lernort. Attraktive wissenschaftliche Bibliotheken können sich von dem Ansturm von Studierenden überhaupt nicht retten, und auch bei öffentlichen Bibliotheken sieht das kein bisschen anders aus. Hier suchen Kinder, Jugendliche und Menschen aller Altersgruppen die Bibliothek einfach als attraktiven Ort auf.

    Biesler: Wenn wir jetzt einen Blick in die Zukunft tun - so ein bisschen haben wir das ja im Grunde schon getan, dass es also elektronischer wird -, wo wird denn der Stellenwert des Hauses Bibliothek, des Ortes sein für den Nutzer, der da hinkommt? Wird der in Zukunft vielleicht gar nicht mehr da hinkommen?

    Ziller: Der Nutzer wird sicher da hinkommen, weil inzwischen sehr viele Menschen feststellen, dass mit googeln allein sich das Wissensangebot, Informationsangebot auch nicht erschließen lässt. Im Gegenteil, die meisten Menschen werden erschlagen von der Fülle von Informationen und brauchen zunehmend Hilfe, wie sie sich in diesem Dschungel zurechtfinden. Und da finden Sie eben in Bibliotheken Fachpersonal, das sie unterstützen kann, und vor allem besteht meiner Ansicht nach eine sehr wichtige Aufgabe der Bibliotheken darin, Informationskompetenz zu vermitteln an Schüler, an Studierende, damit die in der Lage sind, die Fülle von elektronischen Informationen richtig zu erschließen, richtig zu bewerten und auch den Rest - und der ist ganz erheblich - von Informationen und Wissensquellen, die eben nicht über Suchmaschinen erschlossen werden oder auch nicht digital zur Verfügung stehen, überhaupt noch wahrnehmen können.

    Biesler: Aber nun wird Ihnen ja wahrscheinlich jeder sagen: Ja, alle wollen immer mehr Geld. Warum sollen wir es ausgerechnet den Bibliotheken geben? Wie viel Hoffnung haben Sie denn? Hören Sie denn schon irgendwas jetzt im Laufe dieser Aktionswoche, dass es da vielleicht schon das eine oder andere positive Signal gibt? Also das Bundesbildungsministerium ist ja auch mit Träger Ihrer Aktionswoche.

    Ziller: Genau, das Bundesbildungsministerium hat uns jetzt zugesagt, die Kampagne in den nächsten Jahren weiter zu finanzieren, und wir hoffen, dass wir hier auch noch weiter offene Ohren finden für weitere Maßnahmen. Aber Kultur und Bildung ist nun mal vorrangig Länder- und Kommunalaufgabe, und auch hier müssen Zeichen gesetzt werden. Wir hoffen, dass wir das mit unserer Kampagne und mit mehr Öffentlichkeitsarbeit erreichen können.

    Biesler: Monika Ziller, Vorsitzende des Bibliotheksverbandes und Direktorin der Stadtbibliothek in Heilbronn. Vielen Dank!

    Ziller: Danke schön!