Donnerstag, 18. April 2024

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Biedenkopf: CSU-Führungswechsel schadet Koalition nicht

Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf erwartet eine schnelle Nachfolgeregelung für Edmund Stoiber. "Das wird nicht sehr lange dauern, dann sind die Dinge entschieden", sagte der CDU-Politiker. Biedenkopf, der 2002 nach langen Querelen in der sächsischen CDU als Regierungschef zurückgetreten war, verwahrte sich dagegen, dass er zu einer Reihe von Spitzenpolitikern zähle, die sich nur schwer von ihren Ämtern getrennt hätten.

Moderation: Christoph Heinemann | 19.01.2007
    Christoph Heinemann: Vor zwei Jahren lieferte Frank Schirrmachers Buch über das Methusalem-Komplott Schlagzeilen und Diskussionsstoff. Jetzt gibt es sozusagen den Film zum Buch. Gestern Abend strahlte das ZDF Teil zwei des "Aufstandes der Alten" aus. Die letzte Folge ist für den 23. Januar geplant. Die Alten der Zukunft - das ist so etwa ab 2030 -, das sind mehrheitlich bemitleidenswerte Habenichtse, welche die Frage nach dem Sinn ihrer Existenz besser gar nicht erst stellen. Einige fügen sich in ihre Unterwelt; andere versuchen, auf kriminelle Weise den Anschluss an ein Leben in Würde zu halten. Der Film ist ein Blick in eine mögliche Zukunft. Dieser Blick wird immer wieder im Hier und Jetzt geerdet, etwa durch beruhigende Erklärungen von Norbert Blüm zur Rente oder von Angela Merkel zur gegenwärtig noch geplanten, im Film aber schon historischen Gesundheitsreform.

    Kurt Biedenkopf warnt seit Jahrzehnten, die Rente sei eben nicht sicher, wie dies sein Parteifreund immer wieder auch plakativ behauptete. Der frühere sächsische Ministerpräsident ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Kurt Biedenkopf: Schönen guten Morgen!

    Heinemann: Herr Biedenkopf, rechnen Sie mit einem Aufstand der Alten, oder hat das ZDF das Thema verfehlt? Kommt es vielleicht zu einem Aufstand der Jungen?

    Biedenkopf: Was das Buch von Herrn Schirrmacher angeht, so habe ich es immer als maßlos überzogen angesehen. Den Film konnte ich noch nicht sehen, aber ich habe inzwischen ja auch eine ganze Menge davon gehört, werde mich auch damit befassen. Er ist ein Warnsignal, aber keine Darstellung der kommenden Wirklichkeit. Allerdings ist die Warnung notwendig, denn wir müssen uns auf eine alternde Gesellschaft einrichten und das betrifft uns alle. Es geht ja nicht nur um die Rente. Es geht um die Gesundheitsvorsorge, die wir ausbauen müssen. Es geht um die Art, wie wir leben. Wir können selbstverständlich unser Alt-Werden im Sinne von Pflegebedürftig-Werden und so weiter hinausschieben in dem Maße, in dem auch unsere Lebenserwartung zunimmt, aber das hängt von uns ab.

    Der Aufstand der Alten ist eine wirklich irreführende Bezeichnung, denn die Alten wissen ganz genau, dass es ohne die Jungen nicht geht. Die Jungen sind diejenigen - jung heißt dann in der Zeit, in der der Film spielt - Menschen bis 65, 70.

    Heinemann: Aber für die Jungen geht es ohne die Alten?

    Biedenkopf: Das ist ein großer Irrtum. Eine Gesellschaft, die auf die Erfahrung der älteren Menschen verzichtet, die auf ihre Fähigkeiten verzichtet, hat ebenso wenig eine Zukunft wie eine Gesellschaft, in der sich die Jungen verweigern.

    Heinemann: Aber das ist doch gerade im Augenblick der Fall. Versuchen Sie mal, über 55 einen Job zu kriegen.

    Biedenkopf: Wir sind nicht im Jahre 2030. Wir müssen uns jetzt überlegen, worüber wir reden. Wenn wir über die Zeit heute reden, dann müssen wir uns mit der Struktur des Arbeitsmarktes auseinandersetzen, mit der Belastung der Arbeit durch Sozialkosten, mit vielen Fehlentwicklungen, über die wir seit 20 Jahren diskutieren, ohne dass es uns bisher gelungen ist, die notwendigen politischen Veränderungen durchzuführen.

    Der Film wird dazu beitragen - so hoffe ich jedenfalls -, dass die Bevölkerung in viel stärkerem Maße, als das heute der Fall ist, diese Veränderungen einfordert, statt an den alten Besitzständen festzuhalten, und dass die politisch Verantwortlichen ganz anders auf diese Forderungen reagieren, als das bisher der Fall war.

    Heinemann: Herr Biedenkopf, in der Vergangenheit schützte der Familienverband vor dem sozialen und, was vielleicht sogar noch viel wichtiger ist, vor dem emotionalen Absturz. Was erwartet die Menschen, die ohne Kinder und Angehörige alt werden?

    Biedenkopf: Ich habe mich damit schon länger beschäftigt. Meine Vermutung ist, dass die Älteren - wir müssen uns darauf verständigen, dass auch jemand, der 60, 65 ist, noch nicht alt ist, sondern älter -, dass die Älteren sich auf andere Weise Gemeinschaften bilden, dass wir neue Formen der Gemeinschaften entwickeln. In ersten Ansätzen ist das schon erkennbar, dass die Singles zum Beispiel sagen, wir können nicht auf Dauer alleine leben, wir bauen Häuser oder wir tun uns zusammen und bilden Gemeinschaften, die durchaus ähnlichen Schutz gewähren können, wenn man das mal gelernt hat, wie eine Familie.

    Im Übrigen ist die Schutz gewährende Funktion der Familie schon seit langem bedroht, denn die Sozialgesetzgebung des vorletzten Jahrhunderts, also des 19. Jahrhunderts, hatte ja auch den Sinn, diese Kleinstfamilien, die es damals schon gab, oder die Kleinfamilie in den Industriegebieten staatlich zu unterstützen. Diese staatliche Unterstützung oder Risikoübernahme ist eben so weit ausgebaut worden, dass viele Menschen heute der Auffassung sind, sie brauchten die Familie nicht mehr und sie brauchten auch die Eigenvorsorge nicht mehr. Jetzt erkennen wir, dass das so nicht geht, und der Film hat hoffentlich dazu beigetragen, dass diese Erkenntnis politisch wirksam wird.

    Heinemann: Herr Biedenkopf, Sie haben als Politiker und Hochschullehrer viel publiziert. Ein Werk trägt den Titel "Die Ausbeutung der Enkel - Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunft". Was ist demografisch vernünftig?

    Biedenkopf: Vieles von dem, was wir gerade eben schon besprochen haben. Eine Familienpolitik, die es den Jüngeren erleichtert oder besser möglich macht als bisher, Kinder zu haben und gleichzeitig einen Beruf auszuüben, denn wir werden als Folge der demografischen Entwicklung alle leistungsfähigen Menschen, Frauen wie Männer, für die Aufgaben in der Gesellschaft ebenso brauchen wie für die Familie. Das geht aber nicht nur über die Politik. Da müssen die Unternehmen mitwirken, da müssen die Kommunen mitwirken, da müssen die Schulen mitwirken. Also eine gesellschaftliche Neuorientierung in umfassendem Sinne ist erforderlich, wenn wir ohne die Folgen, die in diesem Film überzeichnet, aber doch in die richtige Richtung dargestellt worden sind, in der alternden Gesellschaft miteinander zurecht kommen und unseren Wohlstand erhalten wollen.

    Heinemann: Viele schauen neidisch nach Frankreich. Die Franzosen haben eine Rekordzahl von zwei Kindern pro Paar, und viele sagen, wenn die Betreuung stimmt, dann kriegen die Leute wieder Kinder. Wenn das stimmte, dann müsste ja die Menschheit in Bayern und Baden-Württemberg bedroht sein und sich die ostdeutschen Bundesländer vor Nachwuchs kaum retten können. Nun ist aber das Gegenteil der Fall. Was folgt daraus?

    Biedenkopf: Nein, das ist auch eine viel zu kurzsichtige Betrachtungsweise. Es hängt auch viel davon ab, wie die Gesellschaft und das gesellschaftliche Umfeld, in dem wir leben, auf Kinderreichtum, auf Kinder, auf den Wunsch nach Kindern reagiert. Bis vor kurzem war es in Deutschland durchaus anzutreffen, dass Frauen, die Kinder hatten, nicht besonders angesehen waren, weil sie keinen Beruf ausübten. Die ganze Wertvorstellung oder die Zielvorstellungen im Leben haben sich verändert zu Gunsten eines Single-Daseins und der Kinderlosigkeit. Die Abläufe im Studium, in der Wirtschaft, in der Arbeit und so etwas wie Schulorganisation haben vergleichsweise wenig Rücksicht genommen auf die Bedingungen, die eine Familie braucht, wenn sie kinderreich sein soll. Ganz im Unterschied zu der Zeit, als ich jünger war und meine Generation die Eltern der Baby-Boomer geworden ist.

    Heinemann: Sind es denn tatsächlich nur die Institutionen, oder anders gefragt: für Franzosen gehören jenseits von Krippen und Kitas Kinder ganz einfach zum Leben und für viele Deutsche offenbar eben nicht mehr. Wie bekommt man die Kinder wieder in die Köpfe rein?

    Biedenkopf: Herr Heinemann, davon spreche ich ja gerade. Die wesentliche Veränderung muss in unseren Köpfen stattfinden. Wir müssen eine andere Haltung, eine andere Einstellung zu den Aufgaben der Zukunft, zu den Aufgaben der Familie, aber auch zum Älter-Werden der Gesellschaft entwickeln. Das ist in Frankreich ganz offensichtlich gelungen. Die Frauen und die Paare, die Kinder haben, genießen Ansehen. Schauen Sie sich mal in Deutschland um: Wir haben noch immer Restaurants, wo Kinder unerwünscht sind. Wir haben immer noch Vermieter, die nur kinderlose Paare oder kinderlose Mieter in ihre Häuser aufnehmen wollen. Das sind zukunftsfeindliche Verhaltensweisen, und wenn wir die nicht als solche anprangern und wenn wir nicht alle untereinander sie als solche anprangern und uns nicht darauf verlassen, dass der Staat das alles für uns macht, dann wird sich das auch nicht ändern.

    Heinemann: Herr Biedenkopf, wir wollen noch kurz zu einem anderen Thema kommen. Vermutlich keine Folge der alternden Gesellschaft ist es, dass der Generationenwechsel in der CSU offenbar ausbleiben wird. Vermutlich werden die reiferen Mannsbilder Beckstein, Huber, Seehofer den Freistaat und die Partei übernehmen. Schadet das Fingerhakeln in der CSU der Bundesregierung, oder beeinträchtigt es, belastet es die Große Koalition Ihrer Einschätzung nach?

    Biedenkopf: Nein, das glaube ich nicht, vor allen Dingen nachdem die weitere Entwicklung ja jetzt vorgezeichnet ist durch die Entscheidung von Edmund Stoiber, die Ämter vorzeitig zur Verfügung zu stellen und damit eine geordnete Nachfolgediskussion zu eröffnen. Die Nachfolgefragen werden ja schon sehr konkret diskutiert. Das wird nicht sehr lange dauern, dann sind die Dinge entschieden. Auf die Koalitionsarbeit in Berlin hat das keine Rückwirkung.

    Heinemann: Im Zusammenhang mit Horst Seehofer hat Bundestagspräsident Lammert vorgeschlagen, die Privatsphäre von Politikern müsste besser geschützt werden. Sehen Sie das auch so?

    Biedenkopf: Ja sicher! Das war im Übrigen vor 20 Jahren und auch noch vor 15 Jahren völlig selbstverständlich. Was wir da erleben, ist eine neuere Entwicklung, die man nicht gerade als Fortschritt bezeichnen kann, sondern sie ist auch gefährlich, weil sie Menschen, die bereit sind, politische Verantwortung zu übernehmen, mit anderen Maßstäben misst, auch in ihrem Privatleben, als den Rest der Bevölkerung. Und gerade in den Bereichen, die jetzt angesprochen worden sind, durch diese Veröffentlichungen oder Behauptungen, von denen ich nur mit Theo Waigel sagen kann, dass sie mich auch anwidern.

    Heinemann: Was sollen denn Journalisten machen, wenn ihnen sensible Informationen durchgestochen werden? Sollen die diese in den Papierkorb werfen?

    Biedenkopf: Nein! Sie sollen ihrer Verantwortung gerecht werden und genau den Respekt vor der Privatsphäre der Betroffenen haben, den sie eben auch selbst eingefordert haben.

    Heinemann: Also Papierkorb?

    Biedenkopf: Papierkorb oder denjenigen, die ihnen das durchstechen, sagen, dass sie für solche Informationen nicht zu haben sind. Das Letztere ist noch besser!

    Heinemann: Herr Biedenkopf, der Soziologe Ulrich Beck hat am vergangenen Sonntag hier im Deutschlandfunk gesagt, dass je erfolgreicher ein Spitzenpolitiker gearbeitet hat, desto schwieriger ihm der Rücktritt zum rechten Zeitpunkt fällt. Beispiele: Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Erwin Teufel, Kurt Biedenkopf. Können Sie das bestätigen?

    Biedenkopf: Bei mir trifft das nicht zu. Ich wollte ja eigentlich die dritte Legislaturperiode gar nicht mehr kandidieren. Ich bin sehr dringend auch gerade hier von meinen Freunden gebeten worden, das zu tun vor dem Hintergrund der katastrophalen Bundestagswahl der CDU. Ich wollte in der Mitte der Legislaturperiode aufhören; das habe ich auch gemacht.

    Heinemann: Gibt es einen Zusammenhang, wie Beck sagt, zwischen dem Erfolg von Spitzenpolitikern und …

    Biedenkopf: Ulrich Beck neigt vielleicht dazu, vier, fünf oder sechs Beispiele sofort zu verallgemeinern und daraus eine Theorie zu machen. Ich halte davon nichts. Dass Konrad Adenauer in seinem hohen Alter überhaupt zur Verfügung stand, der damaligen Bundesrepublik Deutschland zu dienen und sie wieder akzeptabel zu machen für die Familie der Völker, ist eine so große Leistung, dass es nicht besonders zielführend ist und auch nicht besonders geschmackvoll, ihn jetzt als Beispiel für Entwicklungen zu nehmen, die heute stattfinden.

    Heinemann: Kurt Biedenkopf, der frühere Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Biedenkopf: Auf Wiederhören.