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Bielefeld
Das gibt's ja doch ...

Es gibt Leute, die behaupten hartnäckig, Bielefeld gebe es gar nicht. Aber so unscheinbar ist die am Rande des Teutoburger Waldes gelegene Stadt nun wirklich nicht. Hier lässt sich etwa die Geschichte der Fahrradindustrie in Deutschland erleben, und auch Hollywood ist nicht fern.

Von Franziska Schiller und Thomas Doktor | 06.09.2015
    Das BIld zeigt den Großen Kurfürsten auf der Sparrenburg mit Blick auf die Stadt.
    Der Große Kurfürst auf der Sparrenburg mit Blick auf Bielefeld. (Deutschlandradio / Bettina Schmieding )
    "Bielefeld ist besonders, weil ..."
    "… weil hier der Bunker Ulmenwall ist."
    "… Bielefeld diese große Rolle gespielt hat in dieser Fahrradindustrie, das hat mich gepackt und ja, jetzt bin ich voll drin."
    "… weil wir dieses Wagnis ein Streichquartett mit einer Theaterkompagnie zu verkoppeln ... das hätten wir uns einfach nicht getraut, wenn es am Ende schon in eine Produktion hätte münden müssen."
    "Bielefeld ist besonders, weil der Wald hier eben mitten durch die Stadt geht."
    "Was hier vor uns steht, ist die Friedenslinde, das ist der dickste und wahrscheinlich älteste Baum Bielefelds, die ist nach der Überlieferung gepflanzt worden anlässlich des Westfälischen Friedens. Man sieht das an diesem Baumstamm, der ist ja sehr ausladend mit nach außen gebildeten Pfeilern geradezu, wo er sich drauf abstützt, weil er innen schon ganz hohl geworden ist wie bei allen alten Linden."
    Die prächtige Krone der alten Linde neben der Neustädter Marienkirche am Rande der Bielefelder Altstadt bietet dem Radreisenden auch heute noch Schutz vor Regen, wie er gerade aus dichten grauen Wolken fällt, die über den nahegelegenen Höhenzug des Teutoburger Waldes drängen. Auf dem 180 Meter hohen Bergsporn erhebt sich seit 1250 die Sparrenburg, eins der Wahrzeichen der ostwestfälischen Stadt Bielefeld, einst Herrschaftssitz der Grafen von Ravensberg. 2014 wurde das 800-jährige Stadtjubiläum gefeiert, das Motto: "Bielefeld - das gibt’s doch gar nicht!" nahm den Anhängern der "Bielefeld-Verschwörung", die hartnäckig behaupten, die Stadt existiere gar nicht, humorvoll den Wind aus den Segeln. Auch die Friedenslinde war zusammen mit anderen Bäumen im Stadtgebiet aktiv am Festgeschehen beteiligt, erzählt Jens Jürgen Korff vom BUND:
    "Die Idee hieß 'Das Zwitschern der Bäume' - und die Idee war, dass die Bäume selber so eine Art Zeitzeugen sind. Man kann sich ja vorstellen, als ob das Menschen wären und die ganzen Jahrhunderte, die die hier so stehen, ganz viel gesehen und miterlebt haben. Und wir konnten die dann als Zeitzeugen der Bielefelder Geschichte zu Wort kommen lassen und das haben wir dann im Internet gemacht über Facebook und Twitter und eine Internetseite, das heißt, die waren dann ganz modern mit den heutigen Medien verknüpft ..., haben also dann gefacebookt und getwittert, als ob sie Leute von heute wären."
    Auf in den Untergrund
    "FriLi" wie die Bielefelder die alte Linde liebevoll nennen hat über die rund 370 Jahre seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges viel erlebt: Die Gottesdienste, Hochzeiten und Trauerfeiern in der Marienkirche, Alltag, Krieg und Frieden: Etwa den verheerenden Brand der Häuserzeile der angrenzenden Kreuzstraße im II. Weltkrieg oder den Abriss der verbliebenen Altbauten nach dem Krieg, als Platz geschaffen wurde für die vierspurige Straße nebst Straßenbahntrasse, die heute hier verläuft. Bäume waren es übrigens auch, die den Aachener Jens Jürgen Korff nach Ostwestfalen gelockt haben: "Gleich das erste Mal, wo ich Bielefeld gesehen habe ... und ich sah am hiesigen Adenauerplatz, da guckte ich aus dem Auto und dachte: Was ist das denn? Das ist ein Stadtplatz ... da sieht man die Bäume des Teutoburger Waldes direkt über den Häusern dieses Stadtplatzes schweben – das sieht so aus als würden die auf den Dächern der Häuser stehen, weil dort der Teutoburger Wald direkt durch die Stadt durch geht. Man nennt das hier auch das Puschengrün ... es gibt so den Spruch, dass man von jedem Bielefelder Wohngebiet aus in fünf Minuten in Puschen, also in Hausschuhen in einen Grünzug laufen kann."
    Der Regenschauer ist abgezogen. Wenige Minuten Radfahrt von der alten Linde entfernt befindet sich gegenüber vom Landgericht eine kleine Wiese. Unter Bäumen ein kleiner Betonbau, davor steht im Design der Londoner Underground auf einem Schild: Bunker Ulmenwall. Eine Treppe führt in den Bielefelder Untergrund.
    Eingang Bunker Ulmenwall, Bielefeld.
    Eingang Bunker Ulmenwall, Bielefeld. (Franziska Schiller und Thomas Doktor)
    "Hier kommen wir jetzt rein in den Bunker und sind nun unter der Erde ... Wir haben hier zwei Bühnen im Bunker Ulmenwall: Und zwar einmal die Bühne, die in der Mitte ist, da kann man von drei Seiten einsehen, das ist das Besondere, aber auch die Herausforderung. Das heißt ... junge Jazzmusiker oder Nachwuchsmusiker lernen, auch mit der Situation umzugehen, dass man von allen drei Seiten sie beobachten, zuschauen kann, das ist immer sehr spannend. ... Es gibt aber auch noch eine zweite Bühne, das ist eine Frontalbühne, wo das Publikum frontal davorsteht ..."
    Lena Jeckel ist seit Anfang 2015 Geschäftsführerin im Bunker Ulmenwall. Die junge Frau mit dem zusammengesteckten rotblonden Haar spielt selbst Bass und teilt so wie auch die anderen 220 Mitglieder des Trägervereins die Leidenschaft für die Musik. Der alte Sanitätsbunker aus dem Zweiten Weltkrieg war nach dem Krieg zunächst Jugendheim, dann Puppentheater und seit den 60er Jahren das unterirdische Podium für Lesungen, und Konzerte. Seinen internationalen Ruf genießt der Bunker aber vor allem als Bühne für Jazzkonzerte. Die dicken Bunkerwände sind in leuchtenden Farbtönen bemalt, Schwarz-Weiß Fotos erinnern an die zahllosen Nächte, in denen hier Musik gemacht, gehört und besprochen wurde. Dass die zentrale Bühne von drei Seiten von den Zuhörern fast wie bei einem Boxring umlagert wird, schätzen die Künstler sehr, Lena Jeckel:
    "Die Rückmeldung, die wir oft gehört haben, ist, dass es sehr nah ist, das die Musiker sehr nah bei den Zuschauern sind. ..., das heißt, die Musiker, die hier sind, fühlen sich sehr zu Hause, die sind sehr gerne hier ... auch große Künstler, die sonst mit einer Distanz arbeiten gehen hier mitten rein. ... Wenn man sieht, dass die Stühle direkt vor der Bühne stehen, ist da ein direkter Austausch, die Musik wird direkt wahrgenommen und das ist etwas, was den Musikern hier sehr gefällt, das bekommen wir immer wieder zu hören."
    Musikgeschichte im Bunker
    Barbara Thompson, Albert Mangelsdorff oder Barry Guy, nur drei der zahllosen Künstler, die den Bunker als Bühne schätzen und lieben, weil sie hier so unmittelbar auf ein aufgeschlossenes und interessiertes Publikum treffen. Der Saxophonist Arthur Blythe prägte das denkwürdige Zitat: "These walls are soaked with music – Diese Wände sind mit Musik durchtränkt."
    Von je her richtet der Bunker bis heute ein besonderes Augenmerk auf den musikalischen Nachwuchs:
    "Das ist uns nämlich ganz wichtig – der Austausch zwischen Jung und Alt, zwischen denen, die gerade die Musik entdecken und denen, die schon lange Musik machen – der Austausch ist uns sehr wichtig. ... Wir machen zum Beispiel auch Soundcheckgespräche, das heißt, gerade junge Musiker können vorab kommen und mit den Musikern sprechen, ... weil ich das auch sehr wichtig finde, die Begleitung von Jugendlichen in die Musik hinein, finden wir sehr wichtig."
    Ein Ansatz, der Früchte trägt, wie das Bielefelder Quartett Rahat zeigt: Die vier Musiker sind im Bunker regelrecht aufgewachsen und haben Ende 2014 den nordrhein-westfälischen Landes-Wettbewerb "Jugend jazzt" für sich entscheiden können.
    "Da war ich noch in den Göricke-Werken, bevor die abgerissen wurden. Und was ich da gesehen habe, diese Fließbandfertigung, die ja 1928 eingeführt wurde: Da hingen die halbfertigen Räder (...) am Haken unter der Decke. Die wurden ja komplett durchgeleitet durch das Werk. Da lagen auf den Werkbänken die selbst gefeilten Tretlagerschlüssel. Alles war liegen gelassen, alles war auch schon von anderen durchgewühlt worden, kaum noch was lag an seinem Platz. Und da, mein ich, hab ich mich infiziert mit so einem Bazillus und der heißt Fahrradindustrie."
    Eines der Zentren der Fahrradindustrie
    Blaues Regencape, randlose Brille, 1,90 Meter, schlank: Der Fahrradhistoriker Michael. Mertins ist mit dem Rad auf den Spuren der Bielefelder Fahrradhistorie unterwegs. Wittler, Anker, Göricke – das sind nur drei der großen Namen, die hier Fahrräder herstellten. Zur Blütezeit stammte jedes fünfte Rad im Land aus Bielefeld, bei Sätteln und Taschen lag der Marktanteil sogar bei 90 Prozent. Über 20 Millionen Fahrräder fanden von Ostwestfalen aus ihren Weg in alle Welt. (Auf dem Rad wurde übrigens einer Anekdote zu Folge in Bielefeld der Zweiten. Weltkrieg beendet, als der Bielefelder Pfarrer Karl Pawlowski unmittelbar vor dem Eintreffen der ersten Alliierten Verbände auf seinem Rad die abwehrbereiten deutschen Stellungen abfuhr und die Wehrmachtsoldaten überredete, nach Hause zu gehen.)
    Michael Mertins radelt durch einen Straßenzug, der zu beiden Seiten von alten Ziegelhallen gesäumt wird. Steinerne, überdachte Brücken überspannen die Straße und verbinden die alten Fabrikationshallen. Darauf steht in großen messingfarbenen Lettern Dürkoppwerke A.G.. Michael Mertins erinnert an den Pionier der deutschen Fahrradindustrie:
    "Ja, der Nikolaus Dürkopp: Das ist ja so’n Typ, den gibt es nur einmal. Das war ein gelernter Mechaniker und der wollte gerne zur besseren Gesellschaft gehören, hier in Bielefeld, hat man ihm aber immer verwehrt – er war ja nur Mechaniker. Die Leinenhändler wollten ihn nicht aufnehmen in den 'Ressource'-Club ... Nee, den woll’n wir nicht haben. Da hat er fünf Mal einen Antrag gestellt. Und erst beim fünften Mal und einer Geldzuwendung hat man ihn endlich aufgenommen."
    "Und so blieb er immer Außenseiter. Aber er war der größte Arbeitgeber - er hat über 4.000 Arbeiter hier in Bielefeld beschäftigt! Das war ein Werk von Tor 1 bis Tor 6, das ging über (...) mehrere Häuserblocks, das hat der als Schlosser (...) aufgebaut, mit seinem technischen Verständnis."
    1886 begann Nikolaus Dürkopp in Bielefeld als erster deutscher Industrieller mit der Serienproduktion von Fahrrädern. Er stellte sich damit in eine bis heute fortdauernde ostwestfälische Tradition: Viele der hiesigen Firmen sind Familienunternehmen, heutzutage oft in der vierten oder fünften Generation. Seit dem Niedergang der deutschen Fahrradindustrie in den 50er und 60er Jahren erinnern nur noch die alten Hallen der Dürkopp- und Anker-Werke daran, das Bielefeld einst eine Hochburg des deutschen Fahrradbaus war. Immerhin haben einige Hersteller und Zulieferer die Krise überstanden. Das Dürkopp-Areal ist als externes EXPO Projekt im Jahr 2000 zu einem attraktiven Wohngebiet umgestaltet worden, in dem auch die Kultur eine lebendige Heimat gefunden hat.
    Werbung aus den 50ern in Bielefeld.
    Werbung aus den 50ern in Bielefeld. (Franziska Schiller und Thomas Doktor)
    Ein schmuckloser Zweckbau auf dem alten Gelände von Dürkopp Tor 6. Draußen steht "Theaterlabor" auf der Fassade, drinnen im Foyer sind gerade Gäste angekommen. Erste Lagebesprechung für die diesjährige Ausgabe von "Flausen - Young artists in residence."
    "Mein Name ist Lisa Stepf ich bin Cellistin bei Quartett plus Eins und künstlerische Leiterin und leite auch das Flint Theater."
    Offen für neue Theaterkonzepte
    Die Musiker kommen aus Hannover, die Theatergruppe aus Berlin und Kassel. Es ist bereits ihre zweite Einladung zur künstlerischen Residenz, die ihren ganz eigenen Reiz hat, im Vergleich zur Alltagsarbeit der Künstler.
    "Der große Unterschied ist natürlich, dass man nicht von Anfang an weiß, ah, da hat man Premiere und da muss alles fertig sein. ... Sondern eher das Gefühl ... , wenn man bei dieser ästhetischen Forschung etwas gefunden hat, was gut funktioniert, dann soll man sich etwas anderem widmen, was man sonst nie tut und für uns ist besonders toll, weil wir dieses Wagnis ein Streichquartett mit einer Theaterkompagnie zu verkoppeln ... das hätten wir uns einfach nicht getraut, wenn es am Ende schon in einer Produktion hätte enden müssen."
    Thema der ästhetischen Forschungen ist der seit 2011 in Stuttgart laufende Prozess gegen zwei mutmaßliche Milizionäre, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ruanda. Am Ende der Residenz steht dann im Rahmen des Nachwuchsfestivals "Junge Triebe" ein Werkstattgespräch vor Publikum. Dessen Kommentare und Fragen werden ebenfalls in die weitere Entwicklung des Projektes einfließen. Auch der Gründer und Leiter des Theaterlabors Bielefeld, Siegmar Schröder betont die Bedeutung einer zunächst ergebnisoffenen Arbeitssituation.
    "Aber diese Zeit, erstmal zu recherchieren und zu gucken, ich lasse wirklich mal die Kreativität kommen und ich sehe, was am Ende da passiert: Das zensiere ich noch nicht als Künstler, das ist so extrem wichtig und das passiert in dieser Gesellschaft so selten. Irgendjemand hat letztens im Radio gesagt, ... dass die experimentelle Kunst tot sei. Da hab ich regelrecht einen Angstschauer über den Rücken bekommen und habe gedacht, das darf ja eigentlich gar nicht wahr sein. Dagegen wollen wir natürlich ankämpfen, weil das Experimentelle ... ein ganz wichtiger Bestandteil der Kunst sein kann und sollte."
    Straßentheater, Interventionen im öffentlichen Raum, internationale Kooperationen, etwa mit Kroatien, Polen, Schottland oder Kanada, dafür steht das Theaterlabor seit seiner Gründung 1983. Das Labor sucht die Synergien im Zusammenspiel verschiedener Kunstgattungen, das neben dem Schauspiel eben auch Musik oder bildende Kunst umfasst. Dass vieles erst im Produktionsprozess gefunden wird und auch die Schauspieler ihre Entdeckungen auf der Probe mit teils ganz persönlichen Bezügen beleben, empfindet Theaterleiter Siegmar Schröder als Bereicherung:
    "Ich glaube oft, bei Konzepttheater, das es viel einfacher ist und für mich als Zuschauer aber auch langweiliger. Ich brauche einfach eine Vielfalt, ich brauche immer wieder Anregung und ich muss auch nach der 20. Minute eine Idee haben, also für eine Überraschung muss das Stück gut sein."
    Geocaching zum "kleinen Plumpe"
    Wir begeben uns auf eine moderne Schnitzeljagd durch Bielefeld: Geocaching heißt deren zeitgemäße Variante, bei der anhand von GPS Positionsdaten aus dem Internet verschiedene Stationen aufzufinden sind. Am Ziel gilt es meist eine kleine, versteckte Dose zu finden. Ihr Inhalt: Ein schmaler Papierstreifen, auf den sich die erfolgreichen Schatzsucher mit dem Datum des Fundes eintragen können. Die Bielefelder Variante dieser Suche hört auf den merkwürdigen Namen "der kleine Plumpe". Wer sich dahinter verbirgt erklärt Dr. Gerhard Renda vom Historischen Museum Bielefeld.
    "Der „kleine Plumpe“ erinnert an Friedrich Wilhelm Plumpe, das wird zunächst kaum jemandem etwas sagen, aber wenn ich sage, dass er als Friedrich Wilhelm Murnau bekannt geworden ist - alle Cineasten kennen ihn – einer der berühmtesten Stummfilmregisseure überhaupt. Und der wurde eben als Friedrich Wilhelm Plumpe 1888 in Bielefeld geboren."
    Bielefeld und Hollywood – der Geocach-Pfad führt von der Bahnhofsstraße, in der eine Wandplakette die Stelle markiert, an der einst Murnaus Elternhaus gestanden hat, über sechs Stationen: Meist ehemalige oder noch bestehende Kinos Bielefelds. Die große Liebe der Ostwestfallen zum "Kintopp" zeigte sich in den 50er Jahren an der bundesweiten Position sieben im Verhältnis von Kinos pro Einwohner. Aber nicht nur Murnau, der Regisseur von "Nosferatu“ "Der letzte Mann" oder "Tabu" stammt aus Bielefeld: In den 20er Jahren war ein Bielefelder an einer bahnbrechenden technischen Innovation des Films beteiligt.
    "Es ist so, dass einer der Erfinder des Tonfilms, Joseph Massole, ebenfalls aus Bielefeld stammte und der hat zusammen mit zwei Kollegen ... ein Tonfilmverfahren entwickelt und in der Niedernstraße ... gab es ein sehr ... großstädtisches Kino ... das Gloria und dort lief dann auch der erste Tonfilm: Al Jolson – 'The Jazz Singer', der lief dann als erster Tonfilm in Bielefeld."
    Kino- und Filmstadt
    52 Grad, 1,32 Minuten, nördlicher Breite und 8 Grad, 3,26 Minuten östlicher Länge: Das Lichtwerk-Kino bildet das Ziel der cineastischen Reise durch Bielefeld. Es befindet sich im Ravensberger Park, einem Gelände auf dem einst die größte Flachsspinnerei auf dem europäischen Festland ansässig war. Heute sind in den alten Fabrikgebäuden im Gründerzeit- und Tudorstil die Volkshochschule und das historische Museum beheimatet.
    Nachdem sich auch der Sonntagsspaziergang ins Log eingetragen hat, geht es über die Bleichstraße, die wie der Ravensberger Park an Bielefelds große Zeit als Leineweberstadt erinnert, nach Osten in den Ortsteil Heeper.
    Aufruf zum 2. Vorlauf über 75 Runden im Steherrennen auf der Bielefelder Radrennbahn. Fahrradhistoriker Michael Mertins schwärmt von dieser einzigartigen Anlage unter freiem Himmel.
    "Man sieht fast eine Wand, 46 Grad Neigung. Die lässt also Geschwindigkeiten zu, das ist unglaublich. Der Bahnrekord mit dem Motorrad von 1956 steht auf 122 km/h, das heißt neun Sekunden eine Runde bei einer Rundenlänge von 333,3 Metern. Wenn dann drei Gespanne nebeneinander fahren, und dann versuchen, in der Schlussphase sich gegenseitig auszuschalten, das ist ein Erlebnis - die Zuschauer, die hier sind, da sitzt keiner mehr."
    Steherrennen auf der Bielefelder Radrennbahn.
    Steherrennen auf der Bielefelder Radrennbahn. (Franziska Schiller und Thomas Doktor)
    Eben schiebt Schrittmacherlegende Christian Dippel, neunfacher Deutscher Meister und Weltmeister sein schweres Triumph-Motorrad ins Stadionrund:
    "Ich bin in Bielefeld aufgewachsen in der Nähe der Radrennbahn und bin auch als Kind öfter zum Steherrennen gegangen. Der Schrittmacher gibt dem Rennfahrer Windschatten, damit er dieses Tempo auch erreichen kann."
    Erbaut 1953, war die Rennbahn einst die modernste Anlage ihrer Art in Europa, bis zu 16.000 Zuschauer verfolgten an den Wochenenden die Rennen, bei denen die Bielefelder Fahrradbauer wie Dürkopp oder Anker mit eigenen Rennställen an den Start gingen. Heute wuchert Gras zwischen den Sitzbänken der Tribüne. Seit 2012 steht die Bahn unter Denkmalschutz, ein Förderverein kämpft um deren Erhalt.
    Sechs Gespanne von je einem auf dem Motorrad stehenden Schrittmacher und einem Radfahrer dahinter jagen durch das Spannbetonrund. Der Lärm der Maschinen und der Geruch von Benzin liegen in der Luft. Am Heck der Motorräder ist eine Rolle angebracht, die bei Kontakt zwischen Rennrad und Motorrad Stürze verhindern soll. Der Begriff “von der Rolle sein“ bezeichnet übrigens das Abreißen des Windschattens, wenn der Abstand zur Stehermaschine zu groß wird.
    Die Leineweberstadt Bielefeld: Eine Stadt mit großer Industriegeschichte und einer lebendigen Kulturszene, eine Stadt im Grünen - wer den Ausflug nach Bielefeld mit lokalen Spezialitäten beschließen will, greift neben einigen Scheiben "Pumpernickel", einem Vollkornbrot aus Roggenschrot zur "Bielefelder Luft", einem Pfefferminz-Likör mit Weizenkorn. Aber Vorsicht vor Übergenuss: Nicht, dass man am Ende doch noch zu der Überzeugung gelangt: Bielefeld – das gibt’s doch gar nicht.