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Bielefeld
Eine Stadt sucht eine neue Identität

Anfang der 1990er-Jahre erfanden Studierende auf einer Party die Mär, dass es Bielefeld gar nicht gibt. Die Bielefeld-Verschwörung wurde zu einer Art Mythos. Doch in der Stadt selbst, da ist man diesen Witz mittlerweile leid – und versucht gegenzusteuern.

Von Moritz Küpper | 04.08.2015
    Zwei Spieler von Arminia Bielefeld freuen sich über ihren Sieg gegen Werder Bremen
    Arminia Bielefeld ist wieder in der 2. Bundesliga: Die Stadt sucht ein neues Image. (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
    Ende Juni im vergangenen Jahr. Ein Wochenende lang ist Bielefeld das Zentrum in Nordrhein-Westfalen:
    "In Frieden wollen wir heute gemeinsam uns feiern. Uns Nordrhein-Westfalen, uns Bielefelder und das ist einfach großartig."
    Pit Clausen, der Oberbürgermeister, ist Gastgeber. Er nutzt die Gelegenheit für Eigenwerbung. Die Stadt spielt mit seiner durch die Bielefeld-Verschwörung zwangsläufig aufgedrückten, humorvollen Rolle:
    "Bielefeld. 800 Jahre, das gibt's doch gar nicht. Unglaublich jung, unglaublich modern."
    Und so weiter. Doch an diesem Wochenende feiern die Bielefelder nicht nur ihren 800-jährigen Geburtstag. Die Landesregierung hat auch den NRW-Tag nach OWL, wie Ostwestfalen-Lippe genannt wird, gelegt. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die natürlich auch gekommen ist, weiß dementsprechend, was sich gehört:
    "Ich sehe ganz viele rote Ballons, ich habe gestern gesehen, was da draufsteht: Ich finde, Bielefeld ist Liebefeld." Die Ballons steigen zum Himmel. "Was für ein schönes Bild."
    "Bielefeld ist Liebefeld", so das Wortspiel der Ministerpräsidentin, "Das gibt's doch gar nicht", so lautete dagegen der offizielle, ironische Einfall der Stadt. "Die freundliche Stadt am Teutoburger Wald", hieß dagegen der Stadt-Slogan in den 1980er-Jahren. Alles Ideen und Einfälle, die, um mit den Worten des Erfinders der sogenannten Bielefeld-Verschwörung, Achim Held, zu sprechen, es der konspirativen Theorie durchaus einfach gemacht haben, sich festzusetzen:
    "Es gibt nicht viele Leute, die sagen: Mensch, im Urlaub will ich unbedingt mal nach Bielefeld, weil ich das und das besichtigen will oder so. Und deswegen passt das mit Bielefeld sehr gut, weil man eben sehr viele Leute fragen kann: Waren Sie schon mal in Bielefeld? Und wenn die dann sagen, nein. Dann kann man gleich sagen: Ja, sehen Sie, gibt es nämlich auch gar nicht. Das hätte mit anderen Städten nicht so gut funktioniert."
    Bielefelder sind den Gag satt
    Doch die Bielefelder sind es mittlerweile satt, auf diesen Internetgag reduziert zu werden:
    - "Ich finde es so langsam irgendwann nicht mehr witzig. Man hört es ja jedes Mal, sehr oft, und nach dem 10.000 Mal wird der Witz halt nicht besser."
    - "Ach so, das kommt aus Münster? Ja, doch, da habe ich schon was von gehört. Aber Bielefeld gibt es."
    Und auch das ironische Jubiläumsmotto ist ja eigentlich nur eine Verlegenheitslösung:
    "In Ermangelung anderer Slogans nutzt man dann Humor. Und es ist natürlich so, dass uns das Thema Bielefeld-Verschwörung in Bielefeld eigentlich nervt. Und wir dann irgendwann gesagt haben, wir müssen das Thema aber mal aktiv aufgreifen, statt einfach immer nur zu schmollen."
    Sagt Martin Knabenreich. Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten im vergangenen Jahr war er als Berater und Moderator dabei. Seit Anfang des Jahres ist er Geschäftsführer der Bielefeld Marketing GmbH, vorher war er Chefredakteur von Radio Bielefeld. Knabenreich weiß um die Kraft von Marken, kennt die Wirkung und Haltbarkeitsdauer, die einprägsame, skurrile Geschichten haben – erst recht am Beispiel Bielefeld. Doch das Jubiläumsjahr mit all seiner Ironie, es soll eine Zäsur sein:
    "Aber in der Tat müssen wir jetzt den nächsten Schritt gehen. Und der heißt, jetzt mal rauskriegen, wofür wollen wir künftig stehen, wohin entwickeln wir uns? Wir alle, alle Städte sind in Deutschland familienfreundlich, vielfältig, weltoffen. Das unterscheidet uns nicht. Aber dennoch muss ich doch die Frage beantworten: Warum sollten Menschen in unserer Stadt studieren?"
    Suche nach einer neuen Identität
    Oder arbeiten oder leben oder sich engagieren. Knabenreichs Aufgabe: Er soll der Stadt eine neue Identität verpassen.
    "Ob es am Ende ein Slogan werden wird oder ein neues Logo, sollte man am Anfang eines Prozesses vielleicht noch gar nicht so genau festlegen. Jetzt geht es erstmals darum, rauszukriegen, was unterscheidet eigentlich die eigene Stadt von anderen Städten?"
    Seit dieser Saison spielt Arminia Bielefeld wieder in der 2. Fußball-Bundesliga. Das Unternehmen Dr. Oetker ist wohl nur der bekannteste Name einer enorm wirtschaftsstarken Region Ostwestfalen Lippe. Und auch die Universität kann sich sehen lassen. Doch: Wofür soll Bielefeld jetzt stehen? Ab Herbst sollen deswegen auch Bürger und Experten befragt werden, sagt Martin Knabenreich:
    "Sechs Monate später, das wäre dann im Frühjahr 2016, ein Marketing-Leitbild für uns entwickelt haben und danach in einem halben weiteren Jahr, auch mit professionellen Werbeagenturen darüber reden, wie man das denn nach draußen bringt. Und das Ganze vollständig dann 2017 zur Entfaltung kommt."
    Stadt der totalen Durchschnittlichkeit
    In den 80er-Jahren war Bielefeld vor allem bei Marktforschungsunternehmen sehr beliebt. Der Grund: Die Stadt bildete die totale Durchschnittlichkeit Deutschlands ab. Auch das wäre ja ein Alleinstellungsmerkmal. Marketing-Mann Knabenreich formuliert es ein wenig anders, positiver:
    "Was sind denn die Dinge, hinter denen wir uns wirklich alle wiederfinden, wie Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, wie Solidität. Das sind so Dinge, wo man sagt: Vielleicht ist es genau das, was man so ein bisschen sagt. Ja, dazu bekennen wir uns und da sind wir auch ganz, ganz stolz auf diese Eigenschaften."
    Ob sich damit allerdings der Verschwörungsfluch dann nachhaltig bekämpfen lässt, ist fraglich. Und: Gegen ein bisschen Profit aus diesem nachhaltigen Hirngespinst, dagegen hätten sie Bielefeld sicherlich nichts. Oder um es mit dem Schluss des Film-Trailers zur Bielefeld-Verschwörung zu sagen:
    "Dann sehen wir uns in Bielefeld."