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Biennale in Moss
Poetischer Parcours

Die Momentum-Biennale wurde Mitte der 90er-Jahre gegründet und gehört zu den Bemühungen Norwegens, als Kulturland sichtbar zu werden. Dieses Jahr hat das Team um die deutsche Kuratorin Stefanie Hessler mit ihrer Werkauswahl einen poetischen Parcours des kollektiven Unbewussten erschaffen.

Von Carsten Probst | 17.06.2015
    Blick über den Osloer Hafen
    Norwegen will mit der Biennale Momentum 8 als Kulturland sichtbarer werden. Blick über den Osloer Hafen. (imago)
    Umspült von technoiden Soundcollagen der kurdischstämmigen, in Stockholm lebenden Performancekünstlerin Zhala betritt man die große, abgedunkelte Momentum-Kunsthalle in Moss, ein ehemaliges Fabrikgebäude im alten Stadtzentrum. Eine Art Grotte öffnet sich, jedoch nicht aus norwegischem Fels, sondern aus bunten Kunsthaaren - eine Installation der aus Island stammenden Künstlerin Shoplifter, deren Arbeit man unter anderem auch bei der Björk-Ausstellung im New Yorker MoMA sehen konnte.
    Die Trolle und Geister, die in dieser Höhle herumspuken, sind allerdings medialer Natur. Das russisch-weißrussische Künstlertrio Valia Fetisov, Dzina Zhuk und Nicolay Spesitsev hat eine Paranoia-App programmiert, die, auf das Smartphone geladen, eine lückenlose Verfolgung an wirklich jeden Aufenthaltsort ermöglichen. Auf einer Bildschirmwand kann der Besucher seinen voyeuristischen Bedürfnissen anhand einiger Testpersonen frönen. Oder er kann sich in einer Arbeit des schwedischen Künstlerduos Lundahl & Seitl mit aufgesetzten Kopfhörern und verbundenen Augen von Assistenten durch eine Nebelkammer voller synästhetischer Körperempfindungen führen lassen - eine Installation der japanischen Altmeisterin Fujiko Nakaya. Die ersten Eindrücke von dieser achten Momentum-Biennale im kleinen Moss, knapp 60 Kilometer südlich von Oslo erinnern eher an ein Medienkunst-Festival wie die Transmediale in Berlin.
    Wald mit Lautsprechern und Dauerlachen
    Etwas stiller wird es am zweiten Ausstellungsort, einem zu einer Galerie umgebauten ehemaligen Gutshof auf einer Halbinsel direkt am Fjord, ausgesprochen idyllisch gelegen. Der sehr eigene Charakter dieser fern jeden Kunstgetriebes gelegenen Biennale erschließt sich in dieser Umgebung vielleicht am besten. Die in Schweden lebende, aber in Algerien geborene Künstlerin Joanna Lombard hat hier in einem Waldstück Lautsprecher aufgehängt, aus denen gelooptes Dauergelächter erklingt. Zugleich betritt der Besucher einen großen, in den Waldboden gebrannten Kreis, und die Asche der versengten Erde glimmt noch. Nicht von ungefähr fühlt man sich hier an die mysteriösen und leicht unheimlichen Installationen einer Latifa Echakhch oder eines Pierre Huyghe erinnert. Im Haupthaus, der alten Fabrik im Stadtzentrum, ist Joanna Lombard auch noch mit einer vierteiligen Videoinstallation vertreten, in der Laiendarsteller Beziehungen von Erwachsenen und Kindern als Re-Enactment darstellen, eine seltsam entrückte Exkursion in die Untiefen des sexuellen Unterbewussten. In eine ähnliche Richtung weist auch das therapeutische Rollenspiel des in Berlin lebenden Mexikaners Brody Condon, das in einem Nebengebäude aufgezeichnet und dann in die Kunsthalle gestreamt wird und den Betrachter Zeuge eines kollektiven Seelenstrips werden lässt, der ihn unweigerlich fasziniert.
    Deutsche Kuratorin und norwegische Biennale
    Das Team um den deutschen Kuratoren-Jungstar Stefanie Hessler hat durch seine Werkauswahl einen durchaus poetischen Parcours des kollektiven Unbewussten erschaffen, die man vielleicht tatsächlich nur hier, in der Nachwelt Munchs und im kurzen nordischen Sommer so erleben kann. An sich entspricht die Mitte der 90er-Jahre gegründete Momentum-Biennale eher dem Klischee eines kalkulierten weichen Standortfaktors für Gegenden, die gerade einen Strukturwandel durchmachen. Sie gehört zu den seit Jahren andauernden Bemühungen Norwegens, als Kulturland international sichtbarer zu werden.
    Einstweiliger Höhepunkt der Entwicklung ist die Zusammenführung zahlreicher Museen am Osloer Hafen, nicht weit vom neuen Opernhaus - wie etwa die Nationalgalerie und das Museum für Gegenwartskunst. Dessen Direktorin Sabrina van der Ley, diesen Kulturwandel mit Staunen verfolgt.
    "Das ist schon wirklich eine starke Setzung, dass alle großen Kulturhäuser direkt ablaufbar sind. Das ist natürlich extrem besucherfreundlich, das heißt, man muss nicht suchen. Andererseits kann man natürlich die Frage stellen: Wird dann sozusagen der Hauptstadtkern von Kultur befreit. Das war eine Klage von einer Reihe von Osloern - uns wird alles weggenommen und in die schicke neue Hafenwelt gesetzt, gerade was das Munch-Museum betrifft. Das gibt eine extreme Sichtbarkeit."
    Die Recherche für diesen Beitrag wurde teilweise durch die Momentum Foundation ermöglicht.