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Big Brother is watching you

In Großbritannien gibt es rund fünf Millionen Kameras, die den öffentlichen Raum überwachen. Seit einigen Monaten gehört zur Uniform von Polizisten ebenfalls eine kleine Kamera. Besonders in Fällen von häuslicher Gewalt ist sie ein unverzichtbares Werkzeug geworden.

Von Julian Bohne | 13.07.2010
    Es ist Samstagabend, kurz vor Mitternacht. Mit Blaulicht und Sirene sind die Police Constables Chris Enwright und Gav Hall unterwegs zu einem Einsatz am Rande von Peterborough, einer Stadt in der ostenglischen Grafschaft Cambridgeshire. Die Einsatzzentrale hat die beiden Bereitschaftspolizisten in ein normalerweise eher ruhiges Wohngebiet geschickt. PC Enwright zitiert aus dem Einsatzbericht:

    "Es geht um ein auf einer privaten Einfahrt stehendes Auto, an dem Schaden entstanden sein soll. Angeblich stehen mehrere betrunkene Männer um das Fahrzeug herum und schlagen darauf ein. Der Besitzer hat die Notrufnummer gewählt."
    Am Einsatzort angekommen steigen Enwright und Hall aus dem Fahrzeug. An ihren Gürteln hängt die polizeitypische Ausrüstung - Handschellen, Funkgerät, Pfefferspray und Schlagstock. Seit einigen Monaten gehört zu PC Enwrights Uniform noch ein weiteres Utensil: Vor jedem Einsatz drückt er auf einen Knopf an einem rechteckigen schwarzen Gerät an seiner Hüfte. Über ein geringeltes schwarzes Kabel ist es mit einer kleinen Kamera verbunden, die auf Brusthöhe vorne an Enwrights schusssicherer Weste befestigt ist. Ständig am Körper getragen schneidet sie jeden Einsatz und jedes Gespräch des Polizisten mit. In dem Wohngebiet gibt es für Enwright jedoch nicht mehr viel zu filmen - die Täter haben sich in die Büsche geschlagen und den Polizisten bleibt nur noch, die Aussage des sichtbar geschockten Besitzers des lädierten Autos aufzunehmen. Doch im Ernstfall hält die Kamera all das fest, was Enwright sieht und hört. Auf dem kleinen Bildschirm an der Speichereinheit zeigt er die Bilder einer Festnahme vom Vortag.

    "Hier lege ich einem Mann gerade Handschellen an. Man kann klar und deutlich hören, wie er mir androht, mich zu schlagen. Ich habe hier also einen hieb- und stichfesten Beweis für das aggressive Verhalten dieses Mannes. Wenn er später in seiner
    Aussage bestreiten sollte, mich bedroht zu haben, können wir ihm anhand dieses Videos sofort das Gegenteil beweisen. Es ist das bestmögliche Beweismittel. Eigentlich sollte das Wort eines Polizisten in einer formalen Aussage genügen. Aber vor Gericht ist so ein handfester Beweis wie dieser unumstößlich. Er ist perfekt."

    Zurück auf der Polizeiwache überträgt PC Enwright das gesammelte Videomaterial auf die Festplatte eines Computers. Von hier aus wird es archiviert und kann beliebig oft auf DVD gebrannt werden, zum Beispiel um der Staatsanwaltschaft als Beweismittel vor Gericht zu dienen. Besonders in Fällen von häuslicher Gewalt seien die Kameras ein unverzichtbares Werkzeug geworden, berichtet der Schichtleiter, Inspector Andrew Pickle:

    "Wenn wir zu einem Einsatz gerufen werden, bei dem häusliche Gewalt vorliegt, dann können wir sofort alle Aussagen der Beteiligten auf Video aufnehmen. Wenn das Opfer aus Angst später keine Aussage mehr machen will, was bei häuslicher Gewalt oft der Fall ist, dann können wir trotzdem die auf Video aufgenommenen Aussagen in unseren Ermittlungen verwenden, und diejenigen Maßnahmen gegen die beschuldigte Partei ergreifen, die wir für angemessen halten."

    Vor zwei Jahren bewilligte das britische Innenministerium ein millionenschweres Budget, um die Kameratechnik für Polizeidienststellen im ganzen Land verfügbar zu machen. Ein Testlauf in der Grafschaft Cornwall hatte ergeben, dass ein Videobeweis vor Gericht oft zu schnelleren Schuldgeständnissen führen und somit Verfahrenskosten sparen kann. Polizisten im ganzen Land sowie die Polizeigewerkschaft loben die Videotechnik. Gerade wenn es die Beamten mit betrunkenen und aggressiven Jugendlichen zu tun bekommen, seien die Kameras ein wirksames Mittel. Inspector Pickle bestätigt dies:
    "Wenn wir an einem Freitag- oder einem Samstagabend Jugendliche wegen Trunkenheit festnehmen, und ihren Eltern am nächsten Morgen berichten, ihr Sohn sei betrunken gewesen, habe Leute geschlagen oder die Polizisten beschimpft, dann ist die übliche Reaktion der Eltern: 'Nein, mein Sohn würde so etwas nie tun.' Wenn wir dann den Bildschirm einschalten, und den Eltern zeigen, was ihr kleiner Johnny am Abend zuvor so gemacht hat, dann hat dies oft eine sehr ernüchternde Wirkung und hat einen Einfluss darauf, wie Eltern ihre Kinder erziehen. Von einem gesellschaftlichen Standpunkt aus gesehen ist das eine gute Sache, denn es zeigt uns Eltern, was unsere Kinder manchmal so anstellen."


    Doch allem praktischen Nutzen zum Trotz ist der zukünftige Einsatz der Technik bei der britischen Polizei alles andere als gesichert. Datenschützer und Menschenrechtler haben längst Bedenken gegen die kleinen Kameras angemeldet. Die neue Regierung unter David Cameron hat versprochen, die bürgerlichen Freiheiten zu stärken und unter anderem den Einsatz von Überwachungskameras strenger zu regulieren. Auch sind die Kameras bei einem Stückpreis von knapp 800 Pfund nicht billig – was sie in Zeiten von Rekorddefizit und drastischen öffentlichen Sparmaßnahmen nicht gerade attraktiver macht.

    Über solche Dinge machen sich die Polizisten Enwright und Hall jedoch heute Abend keine Gedanken. Mit frisch aufgeladenen Batterien und leerer Festplatte sind sie schon wieder auf dem Weg in die Innenstadt von Peterborough – es ist Samstagabend und es dauert nicht mehr lange, bis die Nachtklubs schließen.