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Bilanz der Berlinale
Ein paar Stars und gutes Essen

Ob der Berlinale-Sieger, der chinesische Krimi "Schwarze Kohle, dünnes Eis", wirklich der beste Film des Festivals war, darüber ließe sich streiten. Für DLF-Filmkritiker Christoph Schmitz gehörte er zumindest zu den Besten eines wieder einmal mittelmäßigen bis schwachen Wettbewerbs. Die Berlinale wollte vor allem gefallen und moralisieren.

Von Christoph Schmitz | 16.02.2014
    Der chinesische Schaupieler Liao Fan (l.) und Regisseur Diao Yinan posieren am 15.02.2014 in Berlin auf der Pressekonferenz der Preisträger während der 64. Internationalen Filmfestspiele. Ihr Film "Bai Ri Yan Huo" (Schwarze Kohle, dünnes Eis) wurde mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, Liao Fan erhielt den Silbenen Bären als bester Darsteller.
    Schaupieler Liao Fan (l.) und Regisseur Diao Yinan: Ihr Film "Bai Ri Yan Huo" (Schwarze Kohle, dünnes Eis) bekam den Goldenen Bären (Britta Pedersen/dpa)
    Ein Film aus China hat den Goldenen Bären 2014 gewonnen, "Black Coal, Thin Ice", "Schwarze Kohle, dünnes Eis" von Diao Yinan. Ein Detektivstück im Stil des Film noir. Leichenteile werden auf den Förderbändern von Kohleminen im eiskalten Norden Chinas gefunden. Die identifizierten Leichen führen zu einer schweigsamen jungen Frau in einem Waschsalon. Als Privatermittler nimmt der bei der Kriminalpolizei rausgeschmissene Zhang Zili die Fährte auf – ein Glückstag für seinen Darsteller Liao Fan. Er erhielt einen Silbernen Bären für den besten Schauspieler.
    Schmutzig, traurig, müde sind Stadt, Landschaft und Menschen, fast immer ist es Nacht im Film, Tod und Liebe liegen eng beisammen. In intensive Bilder verwandelt die Regie den dunklen Fortschritt. Ob "Schwarze Kohle, dünnes Eis" von Diao Yinan wirklich der beste Film des Festivals war, darüber ließe sich streiten. Er gehörte jedenfalls zu den besten eines wieder einmal insgesamt mittelmäßigen bis schwachen Wettbewerbs. Den herausragenden Film, der alle anderen in den Schatten gestellt hätte, gab es nicht.
    Den britischen Beitrag "71" von Yann Demange über den irischen Bürgerkrieg mit keiner einzigen Auszeichnung zu ehren, war ein Fehler. Denn "71" ist nicht nur ein politischer Film aus vergangenen Tagen, sondern ein Inbild kriegerischer Gewalt und Gegengewalt. Auch Dominik Grafs Historienfilm "Die geliebten Schwestern" über die Liebe Friedrich Schillers zu den Lengefeld-Schwestern außen vor gelassen zu haben, ist mehr als schade. Denn Graf ist eine wundervoll leichte, lichte und moderne Gefühlsstudie gelungen.
    Dass der Wettbewerb im Grunde kein wirklich innovatives Kino zu bieten hatte, konnte die Jury nicht besser dokumentieren als mit der Verleihung des Alfred-Bauer-Preises. Dieser Preis "für neue Perspektiven in der Filmkunst" ging an die Verfilmung eines britisches Theaterstücks mit den Mitteln des Theaters inszeniert: gemalte Garten- und Hauskulissen, Vogelgezwitscher aus dem Lautsprecher, Theaterdialoge – "The life of Riley" von Regiealtmeister Alain Resnais.
    Seine Liebeskomödie zwischen drei Seniorenpaaren und dem geheimnisvollen Verführer George erzählt Alain Resnais auf heitere, altersweise Art. So theatermäßig künstlich alles aussieht, so lebendig ist dieser Kunstfilm des 92-jährigen Regisseurs. Auffällig in diesem Jahr war, dass eine ganze Reihe von Wettbewerbsfilmen sich traditioneller Erzählformen bediente. Genre-Kino mit etwas Kunstanspruch war angesagt und ein fast altertümlicher Ton wie bei Resnais und in "The little house" des Japaners Yoji Yamada. Yamada erzählt im Rückblick die Geschichte einer Haushälterin in der Familie eines Unternehmers im Tokio vor und während des Zweiten Weltkriegs. Eine liebliche Puppenstubenwelt, die in Flammen aufgeht.
    Die Darstellerin des Hausmädchens, Haru Kuroki, erhielt zu Recht den Silbernen Bären für ihre Schauspielleistung. Ihr Auftritt bei der Preisverleihung war so bezaubernd wie ihr Spiel:
    "The little house" von Yoji Yamada war einer der wenigen Höhepunkte des Berlinale-Wettbewerbs. Zu denen zählte auch Wes Andersons schrilles "The Grand Budapest Hotel" über den Niedergang einer Belle Époque-Welt und Richard Linklaters Familiengeschichte "Boyhood", beide mit Silbernen Bären geehrt. Doch von den 20 Kandidaten für den Goldenen Bären hätten 11 erst gar nicht antreten dürfen.
    Zu viel Normalkino und austauschbare Fernsehware gab es zu sehen. Konsequent war es von der Jury, diese Filme auch nicht zu prämieren. Feo Aladags politisch brav-korrekter Afghanistan-Film "Zwischen Welten" etwa oder das esoterisch aufgeblasene Drama um eine Wunderheilerin in Claudia Llosas "Aloft" oder der sozialpädagogisch triefende Film "Macondo" über Asylanten in Wien von Sudabeh Mortezai, um nur wenige zu nennen. Festivalchef Dieter Kosslick setzt mit seinen rund 400 Festivalfilmen unbeirrt mehr auf Quantität statt auf Qualität. Das Kino von Weltformat will oder kriegt er nicht nach Berlin. Ob er den Wink der Jury versteht, ist unwahrscheinlich. Die hat nämlich auch den ästhetisch mutigsten Film honoriert. Den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch erhielten die Geschwister Dietrich und Anna Brüggemann. "Kreuzweg" heißt ihr Film.
    Minimalistisch, streng, in 14 Kapiteln jeweils ohne Schnitt erzählen die Brüggemanns den Kreuzweg eines Mädchens unter bekloppten Fundamentalkatholiken bis zum Hungertod. So schmerzhaft muss Kino sein. Die Berlinale aber will vor allem gefallen und moralisieren. Dieter Kosslicks Talent besteht primär darin, ein paar Stars auf den roten Teppich zu bekommen und für gutes Essen zu sorgen. Aber von Brot allein wird man bekanntlich auch nicht satt.