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Bilanz des Koalitionstreffens
"Beide Parteien können hinreichend zufrieden sein"

Beim Treffen des Koalitionsausschusses in Berlin habe man gesehen, wo die Profilierungsfelder von CDU und SPD seien, sagte der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke im DLF. Mit Positionen, bei denen klar war, dass sie für die andere Seiten nicht akzeptabel waren, könnten die Parteien nun in den Wahlkampf gehen.

Albrecht von Lucke im Gespräch mit Ute Meyer | 30.03.2017
    Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke zu Gast in der Markus Lanz Talkshow im ZDF.
    Albrecht von Lucke zu Gast in einer Talkshow. (imago / APress)
    Beim gestrigen Koalitionstreffen war nach Ansicht des Politikwissenschaftlers von Lucke eine Nicht-Einigung in gewisser Weise wichtiger als eine Einigung.
    Union und SPD hätten ihre Ziele erreicht, sagte er im Deutschlandfunk. "Zerknirschtheiten und Unzufriedenheit" aufseiten der SPD seien "ein Stück weit Strategie". Die SPD sei bewusst mit aussichtslosen Vorschlägen in die Gespräche gegangen und könne sich damit jetzt im Wahlkampf profilieren. Klar wurde nach von Luckes Aussage auch die Orientierung beider Parteien: Mit einem Beschluss zu härteren Strafen beim Einbruchdiebstahl habe die CDU klare Signale nach rechts gesandt, um eine Profilierung der AfD zu verhindern. Die SPD setze mit Themen wie der Deckelung der Managergehälter und der Ehe für alle auf Soziale Gerechtigkeit.

    Das Interview in voller Länge:
    Ute Meyer: Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler in Berlin und Herausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik. Schönen guten Tag, Herr von Lucke.
    Albrecht von Lucke: Guten Tag, Frau Meyer.
    Meyer: Unsere Reporter sagen, so wahnsinnig viel rausgekommen ist nicht beim Koalitionsausschuss, trotz langer Sitzung. Überrascht Sie das?
    von Lucke: Nein, keineswegs. Denn das, was herausgekommen ist – und das haben wir ja auch aus den Worten von Herrn Oppermann gehört -, ist natürlich aus Sicht jeweils der Parteien höchst unterschiedlich. Für die SPD ist das herausgekommen, was gewünscht war, nämlich eine starke Profilierung für den Wahlkampf. Wir müssen uns immer eines bewusst machen: Ein solcher Koalitionsausschuss, just am Ende einer Legislaturperiode, hat zwei Zwecke. Er will zum einen noch einmal Regierungsfähigkeit - durchaus von beiden Seiten - demonstrieren, übrigens natürlich noch stärker vonseiten der Kanzlerin, die ja als Amtsinhaberin deutlich machen will, ich bin noch regierungsfähig. Er dient aber zum zweiten natürlich auch stark der Profilierung, der Profilierung für den Wahlkampf, und daran ist natürlich heute besonders die SPD interessiert. Deswegen sind die Zerknirschtheiten von Herrn Oppermann natürlich ein Stück weit auch Strategie. Die SPD ist mit starken Forderungen in den Koalitionsausschuss reingegangen. Sie wusste genau, dass sie an diversen Punkten scheitern würde. Das war aber eingeplant, eingepreist, wie wir zu sagen pflegen, denn jetzt kann es damit in den Wahlkampf gehen.
    Meyer: Kompromisse wurden erzielt vor allem bei Themen der CDU. Härtere Strafen für Einbrecher soll es geben, eine schärfere Verfolgung bei Sozialbetrug, das Verbot von Kinderehen. Hat da nicht auch die CDU sich gut profilieren können?
    "Klare Signale nach rechts, um eine Profilierung der AfD nicht aufkommen zu lassen"
    von Lucke: Ja, durchaus, was die Frage von Themen anbelangt, die man noch abräumen wollte, und das hat natürlich auch einen strategischen Hintergrund, beispielsweise die Regelung der härteren Bestrafung beim Einbruchdiebstahl. Das sind klare Signale nach rechts, die übrigens auch im Interesse der SPD sind, dass man eine neue Profilierung der AfD an diesem Punkt beispielsweise gar nicht erst aufkommen lassen will. Man hat genau in diesem Koalitionsausschuss gesehen, wo die beiden zentralen Profilierungsfelder beider Parteien sind. Deswegen können übrigens auch beide Parteien hinreichend zufrieden sein. Die Union hat noch einmal sehr deutlich gemacht, dass Sicherheit, innere Sicherheit in diesem Land ihr originäres Thema ist. Die SPD hat sehr stark – wir haben es in den Worten von Herrn Oppermann soeben noch mal gehört – auf soziale Gerechtigkeit gesetzt. Die Profilierung in diesen beiden Feldern hat dazu geführt, dass beide sich auf diesen Feldern auch einmal noch durchsetzen konnten, in Teilen jedenfalls, und das war das Signal dieses Ausschusses für beide Parteien.
    Meyer: Aber ist diese schlechte Laune, die der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann vor sich herträgt, wirklich die richtige Taktik jetzt schon für den Wahlkampf?
    von Lucke: Na ja, es ist ja ersichtlich die gleiche Strategie, die auch Martin Schulz an den Tag gelegt hat, nämlich die Profilierung über das Thema soziale Gerechtigkeit. Deswegen so wichtig das Thema Managergehälter. Deswegen übrigens auch aus anderer Hinsicht wichtig das sehr stark, stärker auf die kulturelle Hegemonie setzende Thema Ehe für alle. Das sind beides Themen, bei denen die SPD sehr stark hofft, in einer Mehrheit der Gesellschaft zu punkten. Das belegen ja auch die Zahlen, gerade was die Akzeptanz der Ehe für alle anbelangt, aber auch bei den Managergehältern. Insofern war natürlich die Zerknirschtheit, die Unzufriedenheit Programm. Man musste deutlich machen – Oppermann hat es ja beispielhaft auch gesagt -, es geht mit der Union nicht mehr. Jetzt ist klar, was man in der nächsten Legislatur anstrebt. Das Ironische ist natürlich nur: Man macht hier auch Punkte deutlich, bei denen – wir wissen es alle – nach dem 24. 9. wieder die Konsequenz sein könnte, beide Parteien müssen in der nächsten Großen Koalition zusammensitzen, und dann wird die Frage sein, wer von den beiden Parteien ist in der Lage, von diesen harten Positionen, weitgehenden Positionen wieder zurückzuweichen.
    Meyer: Aber das hört sich jetzt ein bisschen so an, wie Sie das erklären, als ob die Ergebnisse eigentlich schon vorher klar waren und man sich die sechseinhalb Stunden in der Nacht hätte schenken können. Kann es nicht auch sein, dass die CDU jetzt gerade nach den gewonnenen Landtagswahlen im Saarland einfach wieder mit mehr Selbstbewusstsein auftritt und auf der Gewinnerstraße ist?
    "Kalkulierte Vorschläge, die über das Akzeptable hinausgehen"
    von Lucke: Ja! Natürlich ist in gewisser Weise dieser Koalitionsausschuss auch Abbild der konkreten Lage. Die SPD muss attackieren, und Sie sagen es trotzdem zurecht: Sie attackiert auch mit Positionen, bei denen in der Tat sehr klar war, da sie ja gar nicht im Koalitionsvertrag standen, dass sie darin keine Akzeptanz finden würde. Es waren kalkulierte Vorschläge, die über das Akzeptable hinausgehen würden. Auch im Falle der Ehe für alle war das klar, dass die Union dafür keine Zustimmung erteilen würde – aus einem einzigen Grund, oder jedenfalls einem maßgeblichen Grund. Auch in den eigenen Reihen der Union ist die Ehe für alle ja nicht akzeptabel. Deswegen würde sie diesen Sprengsatz nicht im Wahlkampf in die eigenen Reihen detonieren lassen. Das heißt, es ist eine ganz klare Zielsetzung gewesen: Die SPD muss attackieren, sie muss Offensive zeigen, deswegen die deutlichen Forderungen. Deswegen auch solche Forderungen, die ihr ja durchaus erhalten bleiben, und das war im Sinne der Akteure, denn sie braucht Forderungen für den Wahlkampf, die sie klar von der Union absetzen, die deutlich machen, es geht etwas anderes, wenn wir die SPD als stärkste Partei im nächsten Parlament haben, wenn Martin Schulz Kanzler wird. Das ist die Devise und das ist die Stringenz dieses Ausschusses wie des Wahlkampfes der SPD.
    Meyer: Welche Rolle hat nun gespielt, dass jetzt doch der frisch gebackene SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz mit beim Koalitionsausschuss zugegen war?
    "Martin Schulz ist auf Augenhöhe mit der Kanzlerin"
    von Lucke: Ich halte das für sehr wichtig und auch für sehr richtig aus seiner Sicht, denn wir haben ja erlebt, dass das bisher gefahrene Programm, keine Einbeziehung in Regierungshandeln – das war die Devise -, ich bin der kleine Mann aus Würselen, der eigentlich eher von unten mit den Bürgern Politik macht, diese Strategie hat im Saarland ja eine Relativierung erfahren. Sie ist nicht hundertprozentig aufgegangen. Dass Martin Schulz jetzt in diesem Koalitionsausschuss dabei war, zeigt, er ist willens, dieses Land zu regieren. Er ist auf Augenhöhe mit der Kanzlerin, mit der er übrigens ja all die Jahre davor als EU-Parlamentspräsident auch ein gelungenes Verhältnis hatte. Sie waren ja hoch einträchtig in vielen Situationen. Jetzt hat er gezeigt, ich bin willens, in die Verantwortung zu gehen. Das ist gerade aus seiner Sicht, meines Erachtens, wichtig. Und er hat gezeigt, an welchen Punkten er jetzt sich weiter polarisieren will, nämlich genau den gleichen Punkten der sozialen Gerechtigkeit, die dieser Koalitionsausschuss als die nicht beantworteten - aus Sicht der SPD jedenfalls - deutlich gemacht hat.
    Meyer: Wir hören nach dem Koalitionsausschuss, die Gespräche, auch zwischen Martin Schulz und Angela Merkel, aber auch zwischen den anderen Protagonisten der Koalition, seien sachorientiert und kollegial gewesen. Wir haben allerdings auch Informationen, dass Arbeitsministerin Nahles die Sitzung früher verlassen hat. Wie sehr geht es denn wirklich in solchen Sitzungen, Koalitionsausschüssen zur Sache?
    "Beide gehen mit klaren Positionen in diesen Wahlkampf"
    von Lucke: Na ja, das tut es natürlich in vielen Situationen. Ich bezweifele bloß, dass es in diesem Fall besonders zur Sache gegangen ist, weil faktisch doch klar war, dass beide Fraktionen, beide Parteien ganz klare Interessen haben. Übrigens sind beide auch noch hinlänglich unbeschädigt. Angela Merkel, wie Sie zurecht sagen, ist ja mit einer fast schon Wiedergeburt aus der Saarland-Wahl hervorgegangen. Das heißt, der Kurs von Martin Schulz ist nicht hundertprozentig aufgegangen. Trotzdem ist der Schulz-Effekt, von dem wir seit Monaten berichten, ja nicht völlig vorbei. Das heißt, beide gehen mit klaren Positionen in diesen Wahlkampf. Dafür haben sie sich ein Stück weit die Bestätigung geholt. Und die Debatten, die lange geführt worden waren, meines Erachtens eher Debatten, die nicht pro forma geführt wurden, sicherlich ein sachlicher Austausch der Argumente. Aber letztlich überwiegt bei einem solchen Koalitionsausschuss so kurz vor einer Wahl die strategische Abwägung, was nützt uns und was nützt dem Gegner, und das ist ein dann durchaus sachliches Übereinkommen. Denn beide Parteien wissen doch, dass sie sich in diesem Wahlkampf als Gegner begegnen müssen. Aber allerdings immer auf die Strategie hinaus, dass sie vielleicht am 24. 9. wieder zusammenarbeiten werden.
    Meyer: Das heißt, von einer wirklich sachorientierten inhaltlichen Zusammenarbeit innerhalb der Großen Koalition können wir uns von jetzt an bis zur Bundestagswahl verabschieden?
    "Es war das Ziel, deutlich zu machen, dass keine Einigung möglich ist"
    von Lucke: Ja, unbedingt! Das ist doch ganz klar. Das sagt der Herr Oppermann zurecht, Herr Kauder durchaus ja auch. Es wird nach einem solchen Ausschuss, der jetzt quasi klargezogen hat, wo die Profilierungsfelder sind, es wird in diesen Punkten keine weitergehende Einigung geben. Das war ja gerade auch das Ziel der SPD, der Union natürlich aber genauso, in einigen Punkten deutlich zu machen, dass dort gerade keine Einigung möglich ist. Das Ziel war witzigerweise, ironischerweise diesmal eines, wo ein Stück weit die Nichteinigung wichtiger war als die Einigung in wesentlichen Punkten. Denn deutlich zu machen, wo man sich im Wahlkampf profilieren will, das war zumindest für die SPD das entscheidende Ziel dieses Ausschusses. Bei der Kanzlerin meines Erachtens noch mal stark die Bedeutung der Regierungsfähigkeit, aber auch in ihrem Fall natürlich der Union war es deutlich, diese Felder sind die Profilierungsfelder der Union, genauso wie es andere Felder für die SPD dort sind.
    Meyer: Danke schön! – Albrecht von Lucke war das, Politikwissenschaftler aus Berlin und Herausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.